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Mathias Döpfner glaubte an eine Verschwörung gegen Julian Reichelt.

© dpa

Affäre um Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt: Springer-Chef Döpfner wollte vermeintliches Komplott aufdecken

Wollte Springer den Fall Reichelt vertuschen und unliebsame Zeugen ausspionieren? Das behauptet die „Financial Times“. Springer dementiert.

Die Trennung des Springer-Konzerns von Julian Reichelt als "Bild"-Chef war die Medienstory des Jahres 2021. Und wie sich ein ums andre Mal zeigt, ist die Story nicht auserzählt. Die britische Tageszeitung „Financial Times“ (FT) hat nun den Fall thematisiert.

Der Bericht gibt dem zeitlichen Verlauf des Verhaltens der Konzernspitze rund um die internen Ermittlungen zu den Vorwürfen gegen Reichelt einen neuen Spin. Demnach haben die Führungskräfte um CEO Mathias Döpfner bereits vor der Compliance-Untersuchung von den schweren Vorwürfen verschiedener "Bild"-Mitarbeiterinnen gegen Reichelt gewusst.

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Dieser Zirkel soll im Kern mehr Kenntnis gehabt haben, als das Unternehmen nach außen dargestellt habe. Zudem sollen sich Springer-Chef Döpfner und Spitzenkräfte während der Ermittlungen und nach deren Abschluss für den Schutz Reichelts eingesetzt haben. An einer Stelle sollen sie ihm geraten haben, die Vorwürfe allesamt abzustreiten.

Wie die FT weiter berichtet, soll Döpfner eine Art Komplott gegen Reichelt hinter dem Fall vermuten. Das Ganze habe nichts mit "Sexismus oder MeToo" zu tun. Ähnliche Äußerungen Döpfners waren schon in der Vergangenheit bekannt geworden.

Mehr an Vertuschung als an Aufklärung interessiert?

Aber das ist noch nicht alles. Döpfner, immerhin einer der profiliertesten - und auch umstrittensten - Medienmanager des Landes, der gleichzeitig Präsident des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) ist, soll eine Untersuchung angestoßen haben, um das von ihm vermutete Komplott aufzudecken.

Der Fall Julian Reichelt, damals Chefredakteur der "Bild", lässt den Springer-Konzern nicht los.
Der Fall Julian Reichelt, damals Chefredakteur der "Bild", lässt den Springer-Konzern nicht los.

© dpa

So sollte eine der Ex-Freundinnen von Reichelt Gegenstand der Untersuchungen sein und neben ihr zwei Satiriker, die sich öffentlich zu dem Fall geäußert hatten und der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre. Auch er war Reichelt öffentlich angegangen.

Der "FT"-Bericht legt nahe, dass die Konzernspitze mehr an der Vertuschung des Falles als an der Aufklärung interessiert gewesen sein soll. Erst nach der Tiefenrecherche der "New York Times" und des Investigativ-Teams der Ippen-Mediengruppe, die das Ausmaß der Affäre öffentlich machte, habe Döpfner die Reißleine gezogen.

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Der Konzern hatte Mitte Oktober 2021 Reichelt von seinen Aufgaben an der Spitze von Deutschlands größtem Boulevardblatt entbunden. Schon im Frühjahr 2021 hatte es interne Ermittlungen - die Compliance-Untersuchung - zu Vorwürfen des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen gegeben.

Reichelt hatte zunächst eine zweite Chance bekommen und blieb an der Redaktionsspitze. Bis es zum Rauswurf kam.

Der Medienkonzern hatte das Ende so begründet: „Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat.“

Springer hält an seiner Version fest

An dieser Linie, respektive seiner Version der Story, hält der Springer-Konzern bis heute fest. Entsprechend teilte ein Konzernsprecher der dpa mit: „Der Artikel zeichnet ein irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung.“ Aber welches Bild stimmt denn dann?

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Da bietet Springer nichts an. Der "FT"-Artikel zitiert ein Vorstandsmitglied des Konzerns mit den Worten, wären sämtliche Untersuchungsergebnisse bekannt geworden, sei das "not survivable", sprich nicht zu überleben. Mehr als nur Reichelts Kopf wäre fällig gewesen.

In der "Süddeutschen Zeitung" spricht eine ehemalige Mitarbeiterin Reichelts davon, sie sei "schockiert", wie sehr es für Springer stets nur um die Wirkung in der Öffentlichkeit gegangen sei, während man "für die Betroffenen kaum Verantwortung übernommen hat".

Heißt: Die Story ist noch nicht in ihrem Schlusskapitel angekommen, was auch daran liegt, dass die betroffenen Parteien - Springer/Döpfner und Reichelt - nicht zuerst an rückhaltloser Aufklärung, sondern mehr an der jeweiligen Interpretation der Vorfälle interessiert sind.

Die Wahrheit scheint zwischen den Polen zu liegen, unklar ist nur noch, wo genau. Springer beharrt darauf, Reichelt habe die Unwahrheit gesagt, Reichelt nennt die Vorwürfe "Lügen" und nennt seine Entlassung einen "Fehler".

Immerhin scheint die Story auch eine Love Story zu sein. Die "SZ" berichtet davon, Reichelt soll mit seiner aktuellen Freundin sehr glücklich sein. Sie ist Mitarbeiterin bei der "Bild". Der Boulevard schreibt seine besten Storys selbst.

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