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Werkstattbesuch. Puppenbauer Norman Schneider (mit RBB-Redakteurin Nina Paysen) kreiert neue Figuren von Moppi, Pittiplatsch und Schnatterinchen.

© rbb/Thomas Ernst

60 Jahre Sandmännchen: Die Ente ist sicher

In die Gegenwart überführt: Der RBB feiert den 60. Geburtstag des Sandmännchens – mit alten Bekannten.

Ach Ereignislosigkeit, du Kerzenlicht im Stroboskopgewitter der Entertainmentindustrie, wat haste dir verändert! Einst wurden die Kleinsten am Bildschirm gut unterhalten, wenn Flip zum Himmel sah und verträumt „im Moment passiert nicht so viel“ sagte, als sei dies der schönste Zustand seiner zweidimensionalen Blumenwiesenwelt.

So friedlich, träge durfte es dauernd zugehen, als der Trickfilmgrashüpfer 1976 sein Bildschirmdebüt feierte. Vier Jahrzehnte später werden „Biene Maja“ und „Wicki“ dreidimensional beschleunigt wie die epileptischen Schnittstürme bei SuperRTL. Allerorten ein Tosen, Brüllen, Hetzen am Splitscreen – bis plötzlich, wie aus Flips heiterem Siebzigerjahrehimmel, eine Art Hund mit einer Art Ente und einer Art Maulwurf eine Art Garten entrümpelt, in dem sich wenig regt außer dem Gefühl, das schon mal gesehen zu haben, nur irgendwie anders. Blasser, rauer.

Pittiplatsch ist zurück! Wobei die Plüschikone der ostdeutschen Kleinkindunterhaltung nie weg war. Seitdem ORB und SFB (heute RBB) das „Sandmännchen“ nach dem Mauerfall vom DFF übernommen hatten, laufen Wiederholungen vom braunen Kobold und seiner Freunde Schnatterinchen und Moppi. Sie laufen sehr erfolgreich, allerdings in einer Szenerie und Sprachfarbe, die bei Kritik am digitalen Überwältigungsgestus rückständig wirkt.

Zum 60. Geburtstag vom Sandmännchen, das am 22. November 1959 neun Tage vor der westdeutschen Kopie im Osten auf Sendung ging, schenkt der RBB [„60 Jahre süße Träume“, Freitag, RBB, 20 Uhr 15; „Unser Sandmännchen“, RBB, täglich, 17 Uhr 50] dem Vorabendprogramm ein rundumsaniertes Pittiplatsch-Remake mit frischen Puppen, Deko und Personal.

Wenn am nächsten Dienstag ein paar weitere zu den gut 1000 Auftritten hinzukommen, „werden die Figuren natürlich in die Gegenwart überführt“, sagt Produktionsleiterin Anke Hagemeier. „Trotzdem wollten wir so wenig wie möglich verändern.“

Mischung aus Achtung, Ehrfurcht und Hingabe

Nostalgie erhöht dem Fernsehen schließlich nur dann die Quotenernte, wenn das Alte nicht ganz hinterm Neuen verschwindet. Im Kunstblumenbeet von Pittiplatsch gibt es fortan folglich mehr Plaste und Kulissen bei weniger Holz und Stegreif, aber im Grunde bleibt das Wesentliche unverändert. „Es ist ein echter Balanceakt“, sagt Hagemeier – und lädt zum Beweis seines Gelingens ins Studio Hamburg.

In der Halle herrscht molliges Licht, die falsche Pracht der Kunststoffpflanzen wirkt darunter warm wie auf Erde gewachsen, doch Vorsicht: Für Romantiker bergen Setbesuche stets das Risiko nachhaltiger Desillusionierung. Auch das idyllischste Kinderprogramm entsteht nicht aus Traumstaub, sondern harter Arbeit.

Während Christian Sengwald, Susi Claus und Martin Paas die drei Figuren ihrer Kindheit durch moderne Headsets reden lassen, sind Pittiplatsch, Schnatterinchen und Moppi von zwei Dutzend Kameraleuten, Bühnenbildnern, Ton- und Lichttechnikern und Regisseurin Sandra Schießl von der Stop-Motion-Schmiede „Trikk17“ umgeben.

So liebevoll die Zuckerwattewelt mit Moppis Fass, Schnattis Trog und Pittis Höhle auf zwei Ebenen auch gestaltet ist – im sonderbar statischen Geruch von Studio fünf verliert das Sandmännchen jede Magie, die Kindlichkeit des fertigen Bildschirmprodukts.

Dass die Plüschwesen werktags vor 18 Uhr müde Kleinkinderaugen traumbereit erzählen, muss andere Gründe haben als Postproduktion und Schnitt. Es liegt an einer allgegenwärtigen Mischung aus Achtung, Ehrfurcht und Hingabe, die alle Verantwortlichen hier spüren.

„Ich war sofort schockverliebt in Moppi“, sagt der Solinger Synchronsprecher Martin Paas im brandenburgisch-brummeligen Tonfall eines Zotteltiers, das kein Geringerer als der weltweit angesehene Figurenbauer Norman Schneider aus Jim Hensons Muppets-Schule entworfen hat. „Wir sind zwar ein bisschen dynamischer als früher“, fügt Schnatterinchens Frauchen Susi Claus mit Berliner Akzent hinzu, „aber das Tempo ist trotzdem so niedrig, wie es das Format verlangt.“

Und wenn der studierte Puppenspieler Christian Sengwald in Pittiplatschs krächzendem Singsang vom Privileg schwärmt, „diese Legende in einer total technik- und schimpfwortfreien Zone“ zu bewegen, zeigt sich, dass Pittiplatsch nicht nur ein Stück Kindernfernsehen mehr ist.

Es ist eine Herzensangelegenheit, bei der es schon als Ereignis gilt, wenn Moppi in der Auftaktfolge auf eine Harke tritt und Schnatterinchen heranwackelt, um zu sehen, was die gediegene Langeweile des Kleinkinddaseins da durchbricht. Ein Kobold, ein Hund und ein Entchen. Wunderbar. Naknak.

Jan Freitag

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