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Nicht mehr den Mund zuhalten. Die „3 nach 9“-Moderatoren Judith Rakers und Giovanni di Lorenzo bei der dienstältesten Talkshow im deutschen Fernsehen.

© Radio Bremen/Frank Pusch

500 Folgen "3 nach 9": Runder Tisch mit Haltung

Vom „Anti-Magazin“ zum Talk-Dauerbrenner: Die 500. Ausgabe von „3 nach 9“.

War früher alles besser? Die 500. Ausgabe der Talkshow „3 nach 9“ an diesem Freitagabend ist wieder mal ein guter Anlass, über diese Frage nachzudenken, zudem die Plauderrunde von Radio Bremen – bei aller Talkshow-Inflation der vergangenen Jahre – die dienstälteste deutsche Talkshow ist. Seit rund 41 Jahren sitzen dort Leute an einem runden Tisch und unterhalten sich miteinander. Und die Zuschauer zu Hause regen sich gerne mal auf. Die einen sagen, die prominenten Gäste wie Hitler-Darsteller Oliver Masucci oder Gregor Gysi heute Abend kommen dorthin, um ihr Buch, ihren Film oder ihre CD in die Kamera zu halten. Die anderen loben die Denkanstöße, die immer noch von der monatlichen Bremer Talkshow ausgehen.

Die Idee war die Gründung eines "Anti-Magazins"

Das Rezept für „3 nach 9“ klingt einfach. Das Format beruhte ursprünglich auf einer Idee des Ex-Radio-Bremen-Programmdirektors Dieter Ertel. Dieser wollte ein „Anti-Magazin“, live und unmittelbar, von Überraschungen und von der Geistesgegenwart der Beteiligten lebend. Das ging so weit, dass sich bei den damals drei Moderatoren die eingeladenen Gäste den ihnen genehmsten aussuchen konnten und umgekehrt. „Wir hoffen, dass auch die eingeladenen Gäste nicht unbeteiligt bleiben. Das Ende der Sendung ist noch offen“, kündigt eine Frauenstimme die erste Sendung am 17. November 1974 an.

Ganz so spontan ist das heute mit den Gastgebern Judith Rakers und Giovanni di Lorenzo („Zeit“-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber) nicht mehr. Die Herausforderungen für die Moderatoren haben sich nach Einschätzung des Redaktionsleiters Helge Haas verändert. „Früher waren Stars nicht so erprobt in Talkshows. Sie waren weniger taktisch in dem, was sie gesagt haben“, erklärte Haas der dpa. Heute sei es schwieriger, Prominente dazu zu bringen, Einblicke in ihre Persönlichkeit zu geben. Eine Sendung sei dann gut, wenn man merkt, was die Leute bewegt, die Mischung aus Unterhaltung und Information einer der Erfolgsgründe der ältesten deutschen Fernseh-Talkshow. „Wir schaffen es immer wieder, kleine Denkanstöße zu geben.“ Bei der Jubiläumssendung soll das unter anderem mit den Schauspielern Christoph Maria Herbst und Oliver Masucci gelingen, die für die Verfilmung der Hitler-Satire „Er ist wieder da“ vor der Kamera standen.

Mehr als 3500 Gäste seit 1974

Seit der ersten Ausstrahlung im November 1974 waren mehr als 3500 Gäste bei „3 nach 9“. Bei der Auswahl achtet die Redaktion auf eine bunte Mischung. Gäste mit Haltung bevorzugt. Einer von Haas’ Wunschkandidaten ist Ex-Außenminister Joschka Fischer, der inzwischen Privatier ist. 46 Moderatorinnen und Moderatoren leiteten die 1976 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Talkshow. Unvergessen die Debütanten Wolfgang Menge, Marianne Koch und Gert von Paczensky. Unvergessen später Juliane Bartel, Lea Rosh, Dagobert Lindlau oder Karl-Heinz Wocker. Unvergessen legendäre Momente wie der mit Fritz Teufel, der den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer 1982 mit einer Wasserpistole und Zaubertinte attackierte oder das Gespräch von Charlotte Roche mit dem krebskranken Regisseur Christoph Schlingensief über Krankheit, Vermarktung, Leben und Sterben. 1990 war der Republikaner Franz Schönhuber zu Gast. Vor dem gläsernen Studio versuchten Demonstranten, den Auftritt Schönhubers zu verhindern, wobei Steine gegen die Scheiben des Studios geworfen wurden und die Sendeleitung unterbrochen wurde. Und Gastgeber Karl-Heinz Wocker wurde schon mal von einer Frau der Mund zugehalten, worauf der Moderator der Frau in den Finger biss.

Aufregende, kontroverse Momente, wie sie, um es vorsichtig auszudrücken, nicht mehr in jeder Talkshow vorkommen, was auch Giovanni di Lorenzo weiß, der seit 1989 bei „3 nach 9“ moderiert. Die Stereotypen der Kritik an der Talkshow seien so alt wie die Talkshow selbst. „Der Talkmoderator ist vergleichbar mit dem Fußballtrainer.“ In erster Linie müsse man mit den Zuschauern auskommen, die man hat.

Ist der klassische Talk nun veraltet? Vielleicht muss es in Sachen Talkshow gar keine Fernseh-Revolution sein. Das kann Jan Böhmermann versuchen.

- „3 nach 9“, NDR, RBB, Freitag, 22 Uhr

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