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Schminken hilft. Anja und Serjoscha bereiten sich auf eine politische Performance in der ukrainischen Stadt Mariupol vor.

© ZDF und Ivette Löcker

3Sat-Reihe "Ab 18!": Zukunft mit Schnittlauch

Die Doku-Reihe „Ab 18!“ erzählt vom Leben junger Menschen quer durch Europa, von Russland bis nach Berlin.

Was wie die Altersbeschränkung für Filme klingt, ist eine preisgekrönte Dokumentar-Reihe über das Leben junger Heranwachsender. 3Sat zeigt nun sechs neue „Ab 18!“-Filme, beginnend mit „Der Patriot" von Katja Fedulova über den jüngsten Abgeordneten der Duma, des russischen Parlaments. Und weil Wasja der LDPR des Krawall-Nationalisten Wladimir Schirinowski angehört, Mussolini gut findet, außerdem „Negern, Schwulen, Behinderten und sexuellen Minderheiten“ ein einträgliches Leben bescheinigt, weil sie Sozialhilfe kassierten, blickt man als Zuschauer zugleich in ein Milchbubi-Gesicht und in Abgründe. Wasja hat aber am Küchentisch ein Problem. Denn seine Frau Katja will nicht nur „irgendwelche Wohltätigkeiten“ vollbringen, wie es sich nach Wasjas Ansicht gehört, sondern selbst politisch aktiv werden und kandidieren. Wie Wasja sich selbst inszeniert und zu Hause um seine Autorität ringt, hat eine gewisse Komik. Übelkeit erregend sind allerdings die Bilder von dem cholerischen Schirinowski, der seine Vasallen auf Journalistinnen hetzt.

Die Qualität der Reihe liegt vor allem darin, dass den jungen Protagonisten mit Offenheit und Neugier begegnet wird und dass es wie im klassischen Dokumentarfilm keine Kommentare aus dem Off gibt. Im äußersten Fall kommt es mal zu einem Wortwechsel wie in „Bela Palanka“ zwischen Emrah und Autorin Johanna Bentz. Bela Palanka heißt der kleine serbische Ort, in dem Abgeschobene wie Emrah, der im Gegensatz zu Serbisch fließend Deutsch spricht, weil er seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland lebte, in einem „Hotel“ untergebracht wurden und nun ohne Arbeitserlaubnis die Zeit totschlagen. Emrah, der in Deutschland mehrfach im Gefängnis landete, scheint alle Vorurteile über junge Roma zu erfüllen: Er klaut mit einem Kumpel Obst und macht gerne auf cool. Der Einstieg ist unglücklich, und die Idee mit dem Film im Film, mit Szenen aus Emrahs Kindheit und Jugend, die er selbst inszenieren soll, hat auch etwas Unbeholfenes. Aber nach und nach gelingt ein differenziertes und vorurteilsfreies Porträt dieses jungen Mannes, dem man glauben möchte, wenn er sagt: „Ich bin selber schuld, dass ich hier in dem Schlamassel sitze.“

Blinde studiert Jura in Marburg

Ein weiterer Höhepunkt der auf zwei Tage verteilten Reihe ist der Film „See you“ über die als Jugendliche erblindete Mara aus Marburg, die Jura studiert und mit ihrem ebenfalls blinden Freund die Hochzeit plant. Mara beeindruckt mit ihrer positiven Lebenseinstellung („Ich fühle mich nicht behindert“), gleichzeitig beeindruckt Autor Sobo Swobodnik mit der Akribie, mit der er die Details, die es bei der Bewältigung des Alltags zu bedenken gibt, erfasst und für Nicht-Blinde veranschaulicht. Neben den zum Teil verschwommenen oder fast schwarzen Bildern soll auch die Tonspur erlebbar machen, wie Mara ihre Umwelt wahrnimmt.

Sehenswert außerdem „Anja und Serjoscha“, der Film über ein Freundespaar aus dem umkämpften Mariupol im Südosten der Ukraine, das zeitweise von den Separatisten besetzt war. „Wir dachten, dass wir sterben, bevor wir 18 wurden“, sagt Anja lachend. „Wir haben es vermasselt.“ Eher spröde dagegen der Film am Dienstag mit der Berlinerin Lola, die mit ihrer Freundin auflegt und für die Musik alles ist. „Lolas Lieder“ und auch „Mein letztes Video“ (ebenfalls am Dienstag) über Youtuber Anton Großmann („Reyst“) erzählen weniger dramatische Geschichten, aber ebenso von einer Generation auf der Suche nach einem Platz in der Zukunft – oder wenigstens nach einer „Wohnung des Glücks“ mit einem Balkon, auf dem sie Schnittlauch pflanzen könne, sagt Lola. Thomas Gehringer

„Ab 18!“, 3sat, Montag, um 22 Uhr 30, Dienstag , um 22 Uhr 25

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