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In den 1980er Jahren konnte gerade noch verhindert werden, dass durch den Friedhof in Weißensee ein sechsspurige Autobahn gebaut wurde.

© ZDF/Nadine Grothkop

3sat-Doku „Schalom Genossen – Juden in der DDR“: Verfolgte zweiter Klasse

In der DDR gehörte der Antisemitismus zur Staatsdoktrin. Gerade deswegen tat der Staat sich schwer mit dem jüdischen Leben in Ostdeutschland.

Nach dem Holocaust schien es unvorstellbar, dass jüdisches Leben jemals wieder auf deutschem Boden Fuß fassen würde. Wider Erwarten entstanden dann doch jüdische Gemeinden. Nicht nur im Westen, sondern auch im Osten, wo Antisemitismus zur Staatsdoktrin gehörte. Eine 3Sat-Dokumentation erinnert an die Diskriminierung von Juden in der DDR [„Schalom Genossen – Juden in der DDR“, 3sat, Mittwoch, 20 Uhr 15].

Ganz zum Schluss, als der Arbeiter- und Bauernstaat schon gefühlt Geschichte war, so zeigen Nina Rothermundt und Stefan Mathias in ihrem Film auf, folgte dann doch noch ein Bedauern von offizieller Seite. Am 12. April 1990 entschuldigt sich Sabine Bergmann-Pohl, damals Vorsitzende der DDR-Volkskammer, für ein dunkles Kapitel ostdeutscher Geschichte: „Das erste frei gewählte Parlament der DDR bekennt sich im Namen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zur Mitverantwortung für Demütigung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder.“

Diese Entschuldigung kommt eigentlich zu spät. Sie hat aber großen Symbolwert. Denn das SED-Regime verstand sich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Insofern gehörte das Leugnen jeglicher Verantwortung für den Holocaust „zum grundlegenden Selbstverständnis der DDR“. Zwar galten Holocaust-Opfer offiziell als Verfolgte. Deren Entschädigung kam jedoch nicht in Frage. Und zwar aufgrund eines antisemitischen Klischees: Man wolle doch nicht „den jüdischen Kapitalisten ihr Eigentum nachwerfen“.

Weniger Rente als verfolgte Kommunisten

Diese Staatsdoktrin führte unter anderem dazu, dass die vermeintlich klassenlose Gesellschaft hinsichtlich des Verfolgtenstatus’ ein Zwei-Klassen-System einführte. Im Gegensatz nämlich zu kommunistischen Widerständlern, die in der SED-Terminologie als „Kämpfer gegen den Faschismus“ verehrt wurden, galten Juden nur als „Opfer des Faschismus.“ Aus diesem Grund erhielten jüdische Holocaustopfer beispielsweise auch weniger Rente als Kommunisten. Im KZ Buchenwald wurde für ermordete Juden nicht einmal ein Gedenkstein errichtet. Begründung: Man wolle keine Opfergruppe „aus religiösen Gründen“ hervorheben.

Prekär wurde die Situation für jüdische Gemeinden nach der Gründung des Staates Israel, der gemäß Stalins Doktrin als „imperialistischer Feind“ galt. In der DDR keimte daraufhin ein neuer Antisemitismus auf. Juden standen unter dem Generalverdacht des Zionismus. Stasiakten belegen, dass sie seit Beginn der 50er Jahre bespitzelt wurden. Jüdische Gemeinden waren zwar nur sehr klein. Die DDR-Führung wies ihnen dennoch eine wichtige politische Funktion zu. Nach außen hin sollten sie signalisieren: „Wir sind die wahre Heimstadt der Juden.“

Eine Autobahn durch den Friedhof

Welche Herausforderung das Praktizieren jüdischen Glaubens in dieser ambivalenten Situation bedeutete – davon vermittelt der Film eine lebhafte Vorstellung. So konnte man den Mitte der 1980er Jahre projektierten Bau einer sechsspurigen Autobahn, die nach dem Willen der SED durch den jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee führen sollte, gerade noch verhindern. „Das war“, so Micha Guttmann, ehemaliger Generalsekretär des Zentralrates der Juden, „ein wichtiger Hinweis darauf, dass es zu einer Entspannung gekommen war“.

Ein Einsehen hatten die Genossen allerdings nicht allein aus Gründen der Pietät. „Das hatte“, so die zu Wort kommende Rabbinerin Ulrike Offenberg, „den Hintergrund, dass die DDR pleite war“. Die Pflege vernachlässigter Grabstätten war ein Signal an die vermeintliche jüdische Lobby in den USA. Im Gegenzug spekulierte das Politbüro darauf, dass durch die Erleichterung des Exports von DDR-Gütern in die USA Devisen in den leeren Kassen des Arbeiter- und Bauernstaates gespült würden. Daraus wurde aber nichts. Kurze Zeit später war die DDR Geschichte. Linken Antisemitismus gibt es aber immer noch.

Manfred Riepe

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