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In der Fortsetzung von "Homecoming" spielt Janelle Monáe die Veteranin Jacqueline, hinter deren Gedächtnisverlust erneut die finsteren Machenschaften des Geist-Konzerns stecken.

© Ali Goldstein/Amazon Studios

2. Staffel „Homecoming“: Anziehende Absurdität

Auch ohne Julia Roberts trickst „Homecoming“ ein paar Naturgesetze aus. Die Serie überzeugt durch die langsamste Hochgeschwindigkeitserzählung der TV-Geschichte.

Die Idee, alles zu vergessen, was die Welt, wie wir sie kannten, grad ins Wanken bringt, wird mit jedem Irrsinn da draußen verlockender. Kein Corona mehr und kein Klimawandel, weder Andreas Scheuer noch Donald Trump, selbst Massentierhaltung, AfD, Dieselskandale und die Grundrente – raus aus dem Gedächtnis, als hätte nichts davon je existiert. Wie befreit würde man sich da wohl fühlen. Und wie gefangen.

Denn so entspannend die Vorstellung einer gereinigten Erinnerung für posttraumatisch belastete Kriegsveteranen des Hilfsprogramms „Homecoming“ vor zwei Jahren auch erschien – im Laufe der gleichnamigen Amazon-Serie zeigte sich das Präparat zur medizinischen Verdrängung unliebsamer Gedanken an Tod und Sterben mit jeder Folge mehr als ernste Gefahr fürs seelische Wohl der Probanden zum Wohl eines dubiosen Agrokonzerns namens Geist: unfreiwilliger Probanden wie dem Afghanistan-Heimkehrer Walter, aber auch selbst gewählter wie der Geist-Angestellten Audrey.

Mit ihrer Entscheidung, sich mit der knallroten Substanz vom Wissen um kriminelle Machenschaften ihres Arbeitgebers zu befreien, endete Anfang 2019 der gefeierte Zehnteiler auch in Deutschland. Zugleich aber öffnete sie damit das Tor jener Fortsetzung, die am Freitag auf einem traumhaft schönen See ihren Anfang nimmt. Ohne Gedächtnis, Orientierung und Ruder erwacht die neue Hauptfigur in einem Boot und erfährt zurück an Land, dass sie Jacqueline heißt, offenbar Veteranin ist und ins Krankenhaus sollte.

Da man ihr (Janelle Monáe) dort jedoch unterstellt, drogensüchtig zu sein, flieht diese Jackie ins Freie, und spätestens als der Wagen ihres Fluchthelfers an einer Werbetafel des Vergessensserums made by Geist vorbeifährt, wird deutlich: die zweite Staffel ist nach kaum einer Viertelstunde bereits mittendrin im mysteriösen Pharmaskandal der ersten. Überhaupt: das Tempo.

Mehr noch als in den ersten zehn rund halbstündigen Episoden nimmt die Fernsehadaption des Podcasts der beiden Showrunner Micah Bloomberg und Eli Horowitz zwar von Beginn an Fahrt auf. Aber wie sein Vorgänger Sam Esmail schafft es auch der neue Regisseur Kyle Patrick Alvarez dabei, die Physik ein wenig auszutricksen.

Wenn die neue Hauptfigur mit dramaturgischer Höchstgeschwindigkeit tief und tiefer in den Abgrund eines Reinigungsmittelherstellers auf kriminellen Abwegen eintaucht, scheint sie sich bei allem Schwung ständig in Zeitlupe zu bewegen und wirkt auch mimisch entsprechend sediert. Janelle Monáes irritierend unbewegliches Gesicht mag dabei zwar ein bisschen damit zusammenhängen, dass ihre Darstellerin bloß Quereinsteigerin aus dem Musikfach und damit schauspielerisch ungebildet ist; zugleich aber sorgt ihr Stoizismus im Strudel anhaltender Eskalation dafür, dass die Geschichte trotz des Ausscheidens von Julia Roberts – die weiterhin als Produzentin tätig ist – unwiderstehlichen Sog entfaltet.

Für Julia Roberts war „Homecoming“ vor zwei Jahren die erste Serie für einen Streamingdienst.
Für Julia Roberts war „Homecoming“ vor zwei Jahren die erste Serie für einen Streamingdienst.

© picture alliance/dpa

Wobei der noch andere Ursachen hat als das fantastische Drehbuch und die fesselnde Ästhetik. Allem voran ein Soundtrack, der nicht wie üblich viel Klavier unter den Geigenteppich kehrt, sondern dramatische Geräuschkulissen alter Hollywoodschinken kompiliert, bis man sein Sofa in einem Programmkino der siebziger Jahre wähnt. Erst mit dieser retrofuturistischen Klangatmosphäre kommt die mystische Story zum Tragen, in der sich das scheinbare Opfer Jackie zusehends zum handelnden Subjekt ihres eigenen Schicksals erweist und unverhofft mit der zwielichtigen Geist-Mitarbeiterin Audrey (Hong Chau) verbunden wird.

Als dann auch noch der schmierige Versuchsleiter Colin Belfast (Bobby Cannavale) und sein früheres Versuchskaninchen Walter Cruz (Stephan James) zurückkehren, als die Geschichte von gestern also auch personell in die Fortsetzung von heute mündet, entwickelt „Homecoming 2“ sogar noch mehr anziehende Absurdität als „Homecoming 1“. Und sie wird spätestens dann zur Metapher auf die selbstreferenzielle Macht weltverändernder Konzerne, als sich in Person von Leonard Geist ein Mächtiger gegen das eigene Imperium wendet – und dabei zu scheitern droht.

„What the fuck ist Homecoming?“, fragt der vermeintliche Firmenchef, als ihm seine Assistentin berichtet, das Programm zur Heilung gemütskranker Soldaten sei aus dem Ruder gelaufen. Besser lässt sich die Entkopplung des Shareholderkapitalismus von den Bedürfnissen der Kunden, also Menschen, kaum darstellen. Und packender schon gar nicht. Keine Serie zum Vergessen!

Jan Freitag

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