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„Erdowo, Erdowie, Erdogan“. Mit dem Spottlied auf den türkischen Staatspräsidenten machte die von Christian Ehring moderierte Satiresendung 2016 Schlagzeilen. Einen solchen Skandal hat es danach allerdings nicht mehr gegeben.

© NDR/Matzen

10 Jahre „extra3“ mit Christian Ehring: „Wir witzeln aus sicherer Distanz“

Christian Ehring moderiert seit zehn Jahren „extra3“. Über die Grenzen von Satire und den Streit mit der Politprominenz.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren so viele Menschen überzeugt, man dürfe seine Meinung nicht frei äußern. Ganz falsch ist das nicht: Wer sich bei Twitter in Ton oder Wortwahl vergreift, kann je nach Prominenz umgehend einen „Shitstorm“ auslösen. Um eine derartige Empörung gar nicht erst zu provozieren, wird nicht nur in der ARD alles auf die Goldwaage gelegt. Einzig „extra3“ zeichnet sich bereits im fünften Jahrzehnt durch eine bissige Meinungsfreude aus.

Seit zehn Jahren wird das NDR-Magazin von Christian Ehring moderiert; die Ausgabe vom Donnerstag ist seine persönliche Jubiläumssendung. Der 48-jährige Kabarettist bestätigt zwar, die Zeiten, „in denen Satire unter dem Radar flog oder nicht richtig ernst genommen wurde, sind definitiv vorbei“, versichert aber auch: „Ich hatte nie das Gefühl, dass man im Sender nicht sehr eindeutig hinter uns steht.“

Für einen echten Skandal sorgte 2016 ein Schmählied über Recep Tayyip Erdogan. Der Präsident fühlte sich durch „Erdowo, Erdowie, Erdogan“ beleidigt und forderte eine Stellungnahme der Bundesregierung. Diese verwies jedoch auf die hierzulande herrschende Pressefreiheit. Ehring selbst bekam 2017 eine Strafanzeige, weil er die AfD-Politikerin Alice Weidel als „Nazischlampe“ bezeichnet hatte; die Anzeige wurde abgewiesen.

[„extra3“, ARD, Donnerstag, 23 Uhr]

Braucht man als Satiriker heutzutage ein dickeres Fell? Ehring, der auf eine dreißigjährige Berufserfahrung zurückblicken kann, stimmt zwar zu, aber nicht wegen etwaiger Strafanzeigen, die seien relativ selten und verliefen meist im Sande. Ein dickes Fell brauche man „wegen der Schwarm-Aggressivität in den anonymen Hallräumen des Internets. In manchen Fällen erfordert es Mut, sich überhaupt noch zu äußern.“ Er selbst komme vergleichsweise glimpflich davon, aber er weiß von diversen Kolleginnen und Kollegen, „die beschimpft und bedroht werden. Die schlimmsten Widerwärtigkeiten sind meist frauenfeindlich oder rassistisch oder beides.“

"Skandale zeigen, dass Satire wirkt"

Ehring wirkt zwar nicht wie ein Mensch, der anfällig für Größenwahn sein könnte, aber internationale Verwicklungen löst man als Satiriker schließlich nicht alle Tage aus. Er relativiert die Meriten jedoch umgehend: „Wir witzeln aus sicherer Distanz. In der Türkei geht man für Kritik schon mal ins Gefängnis.“ Trotzdem wertet er eine Reaktion wie die Empörung Erdogans positiv: „Weil solche Skandale zeigen, dass Satire etwas bewirken kann.“

Mit deutlich mehr Stolz erfüllen den am Niederrhein aufgewachsenen Kabarettisten dennoch jene „extra3“-Ausgaben, in denen die Redaktion spontan auf aktuelle Ereignisse reagieren musste, etwa nach dem Sturm aufs Washingtoner Kapitol im Januar.

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Rechtsextremisten sind naturgemäß dankbare Opfer für „extra3“, aber ähnlich wie gute Politmagazine zeichnen sich auch gute Satiresendungen durch die Devise „nach allen Seiten beißen“ aus. Das wiederum hat zwangsläufig zur Folge, dass der Beifall auch mal von der falschen Seite kommt. Damit kann Ehring jedoch genauso gut leben wie mit dem Frust von jenen, „die das Gefühl haben, wir müssten doch eigentlich auf ihrer Seite sein. Der Vorwurf der Einseitigkeit wird uns sehr häufig gemacht. Solange er von allen Seiten kommt, machen wir vermutlich etwas richtig.“

Die Verantwortlichen treffen, nicht die Opfer

Eine ähnlich klare Haltung hat der Kabarettist, der seit über zwanzig Jahren eine enge Verbindung zum berühmten „Ko(m)mödchen“ in Düsseldorf hat und auch in einem Vorort der Stadt lebt, zur Grenze von Satire. Man könne über so gut wie alles reden. Entscheidend sei, dass es die Verantwortlichen treffe und nicht die Opfer: „Bei einem Beitrag über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat ein Witz, der dazu führen könnte, dass sich die Leidtragenden ein zweites Mal verhöhnt fühlen könnten, nichts verloren.“

Während sich bei einigen Satirikern im Lauf der Jahre eine gewisse Neigung zum Zynismus eingestellt hat, scheint sich Christian Ehring eine zuversichtliche Grundhaltung bewahrt zu haben. Hoffnung macht ihm vor allem die junge Generation, von der es gern heißt, sie halte sich bereits für politisch aktiv, wenn sie einen kritischen Hashtag wie „#Black lives matter“ teile.

Der „extra3“-Moderator sieht die Tendenz, ein Statement mit politischem Engagement zu verwechseln: „Man fühlt sich gut und wärmt sich am Zuspruch der Gleichgesinnten. Aber war das nicht schon immer so?“ Auf die Generation der heute Zwanzigjährigen schaut er mit viel Zuversicht: „Ich erlebe junge Erwachsene als empathisch, klug, pragmatisch und als weniger hedonistisch als frühere Generationen. Ich glaube, die hauen uns raus.“

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