zum Hauptinhalt
Tagesspiegel-Kolumnistin Maris Hubschmid traut sich was.

© KItty Kleist-Heinrich

Maris Hubschmid zieht sich aus: Mein Leben als Aktmodell

Bevor sie losgeht, lackiert sie ihre Nägel - das Einzige, was bedeckt bleibt. Dann steht sie, entblößt, für 40 Euro drei Stunden lang still. Ein Selbstversuch

Keine Sekunde war mir in den Sinn gekommen, es könnte daran scheitern, dass mich niemand nackt sehen will. „Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin. Ich interessiere mich dafür, Aktmodell zu sitzen.“ Kichert die jetzt in sich hinein? „Dafür ist die richtige Ansprechpartnerin Frau Strauch. Ich stelle durch“, sagt die Dame am Telefon, als sei das ein ganz normales Anliegen. Für mich fühlt es sich nicht so an.

Auch Frau Strauch fragt nicht: „Sind Sie exhibitionistisch veranlagt?“, sondern erkundigt sich nach Alter und Gewicht. Dann kommt die Enttäuschung: „Zu jung, zu leicht.“

20 Kilo zu viel sollte ich schon haben, sagt auch die freundliche Frau bei der nächsten Universität, sonst sei ich für sie uninteressant. Wenn ich wolle, könne ich mich dennoch in ihre Kartei aufnehmen lassen. „Perspektivisch.“ In dem Vertrag, den sie mir drei Tage später schickt, wird ein Stundenlohn von 6,25 Euro ausgelobt. So wenig ist mein Mut Wert? Zudem soll ich mich ein volles Jahr auf Abruf bereithalten.

Im Internet stoße ich auf ein privates Institut. Die Workshops sind für jedermann offen. Ich zögere. Sich von einem ambitionierten Kunststudenten mustern zu lassen, ist das eine. Doch einen Abendkurs mit Workshop kann jeder besuchen. Menschen, für die Nacktheit genauso aufregend ist wie für mich. Dafür schreibt das Institut prompt zurück. Ein Termin sei noch frei. Für drei Stunden zahlt es 40 Euro.

Bloß keine Röhrenjeans

In den verbleibenden Wochen betrachte ich meinen Körper mit anderen Augen. Ich probiere neue Gymnastikübungen – und zerbreche mir den Kopf über mein Outfit. Weil am Ende Entblößung steht, bekommt der Akt des Ausziehens Bedeutung: Schnell soll es gehen, keine Gürtel und Knöpfe also, bloß keine Röhrenjeans, denen man sich nur auf einem Bein hopsend entwindet. Überhaupt: Nichts, das Abdrücke auf der Haut hinterlässt. Ich wähle eine Jogginghose und kaufe Socken ohne Gummi.

Als der Tag da ist, lackiere ich Finger- und Fußnägel, das einzige, das zu bedecken mir bleibt. „Die Teilnehmer werden zielgerichtet an die Figur herangeführt“ lese ich. Die 13 Frauen und drei Männer sind mehr, als ich erwartet hatte. Wir können, sagt der Leiter. Also raus aus den Klamotten. Soll ich mir ein Handtuch umwickeln? Das bedeutet Enthüllung auf der Präsentationsfläche, fehlt nur noch das „Tattaa“.

Lieber gehe ich gleich in die Mitte des Raumes. Kurze Intervalle, erklärt der Leiter, erst zwei Minuten, dann fünf, dann 15 – „Zeit für jeden Pickel ist nicht“. Da sitze ich, die Teilnehmer im Kreis um mich herum, Fleisch gewordene Nacktscanner. „Gönnt ihr mehr Volumen, sie ist schlank, aber nicht so schlank“, höre ich den Lehrer sagen. Und „An dieser Stelle kannst du richtig in die Fläche gehen.“

Was ich sehe, schmeichelt mir

Dann: „Wechsel!“ Jetzt erkenne ich die Herausforderung: mir immer neue Stellungen zu überlegen. Weil ich Blickkontakt vermeiden will, starre ich auf meine Füße und die Uhr. Ich linse auf das Blatt einer jungen Frau vor mir. Was ich sehe, schmeichelt mir.

Mit einem Mal finde ich es angenehm warm. Das reglose Sitzen, das Geräusch andächtigen Kritzelns entspannt auf meditative Weise. Ich habe den besseren Job als diejenigen, die in kurzer Zeit ein Bild von mir erschaffen: Ihre Hektik ist spürbar.

In der Pause betrachte ich die Werke. Sie gefallen mir. Mein Wunsch, so anonym wie möglich zu bleiben, verflüchtigt sich. Ich unterhalte mich mit den Teilnehmern: Mit ihren Zeichnungen wollen sich die meisten an Hochschulen bewerben.

Die haben ihre Prüfung noch vor sich, denke ich, als ich wieder aufs Podest steige – meine ist gleich vorbei. Von dem Geld werde ich mir etwas Schönes zum Anziehen kaufen.

Zur Startseite