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Fika ist das neue Hygge. Die Kaffeepause mit duftenden Kardamomschnecken ist den Schweden heilig.

© Fredrik Johansson/elvanfoto

Malmö: Zeit für eine Fikapause

Kopenhagen lieben alle. Zeit, die Stadt mit ihrer schwedischen Nachbarin zu betrügen: Malmö ist nur 22 Zugminuten entfernt.

Schwupp! Einmal über die Brücke, schon ist man da. Zwischen dem Flughafen Kopenhagen und dem Hauptbahnhof Malmö liegen gerade mal 22 Minuten Bahn. So schnell kann man gar nicht gucken, wie man in Schweden ist. Oder doch, etwas hat man gesehen: einen schlanken Lulatsch von Hochhaus, der sich um sich selber zwirbelt. Der „Turning Torso“ des spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava, mit 190 Metern das höchste Gebäude Skandinaviens, ist Malmös neues Wahrzeichen.

Wo Dänemark aufhört und Schweden beginnt, ist seit der Eröffnung der knapp acht Kilometer langen Öresundbrücke im Jahr 2000 nur schwer zu sagen. Man fährt einfach schnell mal für einen Kaffee oder Museumsbesuch von einer Seite zur anderen. Vor allem der alten Industriestadt Malmö hat die Brücke – Krimifans aus der gleichnamigen schwedisch-dänisch Fernsehserie bekannt – neuen Schwung verliehen. Für Pendler wie Touristen ist es ideal, zwei Städte, ja, zwei Länder zum Preis von einem. Wobei Malmö deutlich günstiger als Kopenhagen ist, auch weniger überlaufen.

Västra Hamnen, Westhafen, so heißt das Quartier, in dem der „Turning Torso“ steht. Eine gute Viertelstunde zu Fuß vom Hauptbahnhof und der Altstadt entfernt, entsteht auf dem Gelände der einst größten Werft der Welt seit der Jahrtausendwende ein neues Wohn- und Arbeitsviertel – ein Experimentierfeld für nachhaltige Architektur. Statt zurück, auf die untergegangene Industrie, schaut Malmö jetzt nach vorne. An der 1998 gegründeten Hochschule liegt der Schwerpunkt auf Informations- und Umwelttechnologie, die Busse fahren mit Biogas.

Malmö eignet sich perfekt zum Fahrradfahren

Vielleicht noch charakteristischer für das neue Viertel als der Torso ist ein anderes Projekt: „Ohboy“. Der erste bis auf einen Behindertenparkplatz komplett stellplatzfreie Neubau Schwedens, in dessen Erdgeschoss ein Motel untergebracht ist. Zur Grundausstattung der Zimmer gehören Klappfahrräder.

Klar, dass der Architekt selber mit dem Fahrrad um die Ecke biegt. Anstelle eines Schals trägt er den halskrausenartigen Airbag für Radler, der in Malmö erfunden wurde, im Rucksack seine Badesachen. Cord Siegel kommt gerade aus dem eisigen Meer. Das Wetter scheint ihn nicht zu stören, der gebürtige Deutsche geht selbst im Winter mit Vergnügen schwimmen. Oh, boy.

Dass die Stadt Malmö Siegels Architekturbüro h+s von der Stellplatzpflicht befreite, gilt als kleine Sensation. Dabei liegt es so nahe – das platte Malmö eignet sich perfekt zum Fahrradfahren. „Innerhalb von 20 Minuten ist man überall.“

Lustig sieht das langgestreckte Gebäude mit den Bullaugen aus, wo Sichtbeton auf lokales Eschenholz trifft. 31 Hotellofts und 51 Wohnungen, viel Grün auf den Balkons, Erdwärme unter und gemeinsame Dachterrasse sowie Solarpaneele auf dem Haus. Den Bewohnern wird der Verzicht aufs Auto so leicht wie möglich gemacht, mit großen Aufzügen, in die auch Räder passen, reichlich Garagenplatz für diese, dazu Gemeinschafts-Lastenräder und eine elektronische Anzeigetafel im Foyer für Bus und Bahn.

Fika heißt die heilige schwedische Kaffeepause

Die Ausstattung der Hotel-Maisonettes haben einheimische Designer und Handwerker besorgt. An Möbelmachern herrscht in Malmö kein Mangel, das Ikea-Hauptquartier liegt nur eine Stunde mit dem Schnellzug weiter nördlich. Aber wer will schon in Älmhult leben? Da hat Malmö, Schwedens drittgrößte und jüngste Stadt, mehr zu bieten. Vom renommierten Museum für Moderne Kunst, Ausgehmöglichkeiten ohne Ende, bis zu Stadtstränden, individuellen Läden, Kino und Oper.

Vor Ohboys froschgrünen Hotelzimmertüren wogt, einem Meer gleich, eine gigantische Skateboardlandschaft. Sie gehört zu den Attraktionen von Västra Hamnen, das sonst noch etwas steril wirkt.

Da! Endlich hat man einen Geldautomaten gefunden und Kronen gezogen – ohne Bares fühlt man sich so nackt –, und dann kann man damit nicht mal einen Cappuccino zahlen. Die Schweden setzen ganz auf die Karte. Aber Koffein wäre jetzt schon nett. Geht in Malmö immer. Fika heißt die heilige schwedische Kaffeepause. „There is always time for Fika“, steht auf dem Schild im hübschen Café des Ab Småland, einem von diversen Einrichtungsläden und Designzentren. Oder doch lieber ins traditionelle Café Katarina? Auch in der neuen Edelmarkthalle Saluhall kriegt man Latte und dazu die obligatorischen duftenden Kardamomschnecken. Und ein ebenso schönes wie günstiges Souvenir: eine Leinentasche mit dem Logo der selbst am Sonntag geöffneten Markthalle.

Die Stadt hat sich zu einer Foodie-Metropole entwickelt

Nordische Küche, die sich stark aus der Natur speist, ist schon lange angesagter als die französische. Und Malmö hat sich zu einer der Foodie- (und Vegan-) Metropolen Skandinaviens entwickelt. Nirgends im Land gibt es so viele Kneipen und Lokale wie hier. Zutaten gibt’s reichlich, die Stadt liegt im Schlaraffenland, in der Provinz Skåne am südlichsten Zipfel, die sich als Toskana Schwedens anpreist. Was man jetzt, im eisigen Spätwinter, nicht merkt – außer daran, dass sich die Einheimischen alle wundern über den Schnee. Den verschlägt’s nicht oft hierher. Im Frühjahr fährt man durch blühende Obstgärten. Die Hälfte der Äpfel, in die Schweden beißen, kommt von hier, wo sogar Wein wächst.

In Malmö wird jeder fündig, egal wie prall das Portemonnaie, pardon, wie belastbar die Karte. Von zahlreichen orientalischen Imbissen – Malmö nennt sich Falafelhauptstadt Schwedens – über Weinbars wie die L’Enoteca in der Altstadt bis zum Sternelokal Bloom in the Park. Mit Parks ist Malmö so reich gesegnet wie mit Lokalen. Ein besonders lauschiges Örtchen ist das Slottsträdgårdens Kafè.

Um sich einen Überblick über die kulinarische Vielfalt zu verschaffen, schließt man sich am besten der Food Tour „Matkaravan“ an. Dabei lernt man gleich einige angesagte Viertel kennen wie Möllevången. Im alten Arbeiterviertel und heutigen Hipster-Kiez sind neben Künstlern und Musikern viele Köche zu Hause.

„Die Schweden mögen es gern salzig“

Im Disgusting Food Museum sind Süßigkeiten aus Chemikalien, stinkende Früchte und Käse mit Maden zu sehen.
Im Disgusting Food Museum sind Süßigkeiten aus Chemikalien, stinkende Früchte und Käse mit Maden zu sehen.

© Disgusting Food Museum Malmö

Der Rundgang startet auf dem Marktplatz Möllevångstorget, wo jeden Tag Obst und Gemüse verkauft wird. Vor 100 Jahren wuchsen hier noch Gurken und Kohl. In der Nähe liegt ein Einkaufszentrum aus den 60er Jahren, Mitt Möllan, dessen Herz nun ein Food Court bildet. Die quirlige Chefin der „Marsala Box“, die mit einem Imbiss auf einem Parkplatz anfing, echtes Streetfood also, verkauft nun im Warmen indisches Essen. Auch wenn sie aus Pakistan stammt. In ihr ausgebackenes Gemüse hat sie schwedische Fähnchen gesteckt, dem einheimischen Geschmack hat sie sich angepasst: „Die Schweden mögen es gern sehr salzig.“

Zum Nachtisch gibt’s hinreißendes Himbeerhibiskussorbet von Kold Ice Cream. Um die Ecke verkauft Möllans Ost 300 verschiedene Sorten Käse, die meisten davon aus Schweden, wie der milde, fette Priesterkäse, mit Aquavit gereift. Kräftiges Brot kann man dort dazu erstehen – der perfekte Ort, um sich für ein Picknick einzudecken.

Noch mehr? Unbedingt! In Lyran, einem unprätentiösen Lokal mit offener Küche, wird nordische Küche in moderner Gemütlichkeit serviert. Die Speisekarte listet nur die Zutaten, nicht die Gerichte. Die Winterbirnen kommen von „Bondens Skafferi“, die Johannisbeeren vom letzten Sommer und die Endivien „von unseren Freunden auf dem Platz“.

Der Westen boomt, der Osten hat zu kämpfen

Weiter geht’s zum Folkets Park, dem ältesten Volkspark Schwedens, ein Ort des Vergnügens mit Minigolf, Musik und Kindertheater. Mittendrin steht das Restaurant Far in Hatten. Jugendstiltapeten und Flair sind noch original, aber seit ein paar Jahren wird der „Vater im Hut“ von jungen Leuten betrieben, die Schinken, Speck und Pasteten selber machen. Im Biergarten mit Zirkusatmosphäre steht ein kunterbuntes Möbelallerlei, am Wochenende rollen die Einheimischen zum traditionellen Waffelbrunch an.

Aber Malmö ist kein Bullerbü, ist noch immer eine geteilte Stadt. Der Westen boomt, der Osten hat zu kämpfen – zum Beispiel mit extrem hoher Arbeitslosigkeit. Hier draußen wohnen all jene, die sich die Neubauten im prosperierenden Westen so wenig wie die Altbauten der Mitte leisten können. Die Malmöer sind stolz auf die eigene Multikulturalität, 177 Nationen leben hier. Ohne Probleme geht das nicht ab. Immer wieder machen Kriminalität und Schießereien internationale Schlagzeilen, passieren Morde auf offener Straße. Über die Brücke kommen auch Waffen und Illegale in die Stadt.

Rosengård heißt die bekannte Großwohnsiedlung, in der fast 24 000 Menschen leben, viele davon Migranten. Touristen verirren sich selten hierher, doch um die Stadt wirklich kennenzulernen, sollte man das Viertel mal ansteuern. Auch Rosengård, wo Fußballstar Zlatan Ibrahimovic aufgewachsen ist, entwickelt sich weiter. Freundlicher, grüner – menschlicher soll es werden.

Es gibt sogar eine Falafelqueen

Hier ist das 2008 gestartete Yalla Trappan zu Hause, ein Integrationsleuchtturmprojekt, in dem Einwanderinnen, meist ohne Ausbildung, nicht nur professionell kochen, sondern auch schwedische Sprache und Arbeitskultur lernen. Dazu gehört: Handys weg. Während des Kochens liegen sie übereinander auf dem Schrank und zappeln kräftig. Männern und Kindern fällt es offenbar schwer zu akzeptieren, dass die Frauen nicht jederzeit antworten.

Da Yalla Trappan ein beliebtes Cateringunternehmen betreibt, sind die Frauen bekannt in der ganzen Stadt. Vor allem Mona, „die Falafelqueen“. Dabei ist die 37-Jährige im Irak ganz ohne Kichererbsenbällchen aufgewachsen. Jetzt wirft sie Zwiebeln und Lauch, Knoblauch und Petersilie, Koriander und Kichererbsen in den fleischlosen Fleischwolf, dreht die Masse wieder und wieder durch, würzt mit Pfeffer und Salz, geröstetem Sesam und Kumin – „gut gegen Blähungen“.

Mona, die mit 15 ihr erstes Kind bekam, jetzt drei hat und von ihrem Mann getrennt lebt, ist eine Königin der guten Laune, die ihre Kolleginnen mitreißt, auch wenn diese mal traurig sind. Johann, der Küchenchef, freut sich hier zu arbeiten, in der Ausbildungsküche werde mehr gelacht als in jedem Restaurant.

Jüngste Sehenswürdigkeit: das Disgusting Food Museum

Im Café der Damen (Von Rosens Väg 1) kriegt man neben Frühstück und Mittagessen noch selbstgemachte Marmeladen und köstliches Fröknäcke zum Mitnehmen – Knäckebrot mit Sesamkörnern, Kürbiskernen und Anis, für das man jede Chipstüte stehen lässt.

Zum Abschluss der kulinarischen Reise könnte man Malmös jüngste Sehenswürdigkeit besuchen, das Disgusting Food Museum. Da steckt drin, was dran steht: ekelhaftes Essen. Stinkende Früchte, verwester Hering, Süßigkeiten aus Chemikalien, Käse mit Maden. Dabei geht es nicht darum, den Appetit zu verderben, sondern über Esskulturen zu diskutieren.

Wer sich einen gefälligeren Abschluss wünscht, fährt raus – was man sowieso tun sollte – und kehrt bei Daniel Berlin ein. Früher hat der Zweisternekoch im Turning Torso in Malmö gekocht. Jetzt serviert er in seinem Dorfkrug deluxe Gemüse aus dem eigenen Garten. Das Lunchmenü kostet 130 Euro, das Dinner 200, eine Investition, die sich lohnt. Denn was die Nordische Küche so reizvoll macht, ist nicht nur das, was auf dem Teller liegt, sondern der Teller selbst, der Stuhl, auf dem man, der Tisch, an dem man sitzt. Beste Handwerkskunst. Eine Schule des guten Geschmacks.

Reisetipps für Malmö

Hinkommen

Mit Easyjet nach Kopenhagen, ab 43 Euro, dann 22 Minuten mit dem Zug nach Malmö.

Unterkommen

Ohboy, Lilla Varvsgatan 24, ab 99 Euro, ohboy.se.

Rumkommen

Die Foodtour Matkaravan (am schönsten durch Möllevången) kostet knapp 50 Euro, matkaravan.se.

Mehr unter: visitsweden.de.

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