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Forscher bauen eine Messstation vor der "Polarstern" auf. Die Mission will den Klimawandel in der Arktis erforschen.

© AWI/Stefan Hendricks

"Mal eben einkaufen ist nicht": Wie ein Koch im arktischen Eis arbeitet

Kai Rosenhagen kocht in einer besonderen Küche: Auf der "Polarstern" versorgt er 100 Crewmitglieder, die ein für Jahr auf einer Eisscholle forschen.

Wenn der Lieferdienst ins Polareis kommt, muss es schnell gehen. Sobald die Eisbrecher mit Nachschub sich der „Polarstern“ nähern, werden die Kisten mit Proviant rasch vom Liefer- auf das Forschungsschiff umgepackt. Denn sonst gäbe es in den Wochen danach Essen mit Gefrierbrand für die 100 Besatzungsmitglieder. „Man muss bedenken hier herrschen arktische Temperaturen“, sagt Kai Rosenhagen, Schiffskoch auf der „Polarstern“. Bis zu minus 45 Grad kalt kann es im Arktischen Meer im Winter werden.

Rosenhagen liefert den Treibstoff für die ambitionierteste Polarexpedition der vergangenen Jahrzehnte. Ein Jahr lang lassen sich um die 100 Wissenschaftler und Crewmitglieder auf der „Polarstern“ durch das Arktische Meer treiben. Die Besonderheit: Die „Polarstern“ suchte eine Scholle, an der sie andocken und so festgefroren mit dem Packeis durch die nördlichen Breitengrade driften kann. Am 20. September legte das Schiff im norwegischen Tromsø ab, am 4. Oktober fand es eine geeignete Scholle.

Ein bisschen aufregend war es schon, im Polarmeer herumzuschippern, auf der Suche nach einer Eisscholle, sagt Rosenhagen. Der 45-Jährige erinnert sich noch an die ersten Schritte auf der Eisscholle, an die das Schiff am 4. Oktober andockte: „Kurzer Treff mit einem kooperierenden russischen Eisbrecher, der noch Material und Wissenschaftler brachte. Dann zurück zur Scholle und fest war unsere Polastern. Der erste Schritt für mich auf so einer Eisfläche - unbeschreiblich. So gesehen wieder auf festem Boden."

Solche Ausflüge sind aber eher die Ausnahme. Normalerweise beginnt sein Tag um 4:45 Uhr mit dem Weckerklingeln, um 5 Uhr gesellt er sich zu der Bäckerin, die in der Küche bereits das Brot für das Frühstück vorbereitet. Um 6 Uhr kommt der zweite Koch dazu, das Team serviert Frühstück für die ganze Crew. Die Arbeit geht nahtlos über in die Vorbereitung des Mittagessens. „Die Mannschaft liebt es gutbürgerlich“, schreibt er per Mail. Telefonieren ist nicht auf dem Forschungsschiff, dafür sind die Datenkontingente zu begrenzt und Funkmasten fehlen in der Arktis. Rinderfilet am Sonntag, wochentags Bohneneintopf oder auch mal zum Frühstück als Zugabe Bayrischer Leberkäse - die Crew mag es fleischig. „Die Currywurst mit Pommes darf nicht fehlen“, schreibt er. Dank moderner Lagertechnik kann der gelernte Koch und ehemalige Brandschutzkoordinator auf frische Ware wie Obst und Gemüse zurückgreifen, wenn er täglich das Menü plant. Trotzdem muss er ständig ein Auge auf die Lagerbestände haben. „Mal eben einkaufen ist nicht.“

Kai Rosenhagen holt Gemüse aus der Vorratskammer der "Polarstern".
Kai Rosenhagen holt Gemüse aus der Vorratskammer der "Polarstern".

© Esther Horvath/promo

Von 12.30 Uhr bis 15 Uhr hat Rosenhagen Mittagspause, danach geht es wieder in die Küche oder er widmet sich Büroarbeiten wie Lagerhaltung und Menüplanung. Zwischen 18.30 und 19 Uhr ist Feierabend, danach duscht er, schaut noch etwas Fernsehen oder trifft sich mit Kollegen. Sieben Tage die Woche geht das so, kurz vor Weihnachten soll er abgeholt werden und ist mit viel Glück an Silvester wieder zu Hause bei seiner Frau und den zwei Kindern in Bardowick im Landkreis Lüneburg.

Für Rosenhagen ist es das erste Mal auf der „Polarstern“. Das Schiff erforscht für das Alfred-Wegner-Institut die Antarktis und die Arktis. Die „Mosaic“-Expedition aber ist etwas ganz Besonderes: 140 Millionen Euro kostet die etwa 2500 Kilometer lange Reise mit der Eisscholle, 19 Nationen sind beteiligt, über die Dauer von 390 Tagen sollen 600 Experten im Wechsel an Bord des Eisbrechers arbeiten. Das Ziel: Das arktische Klima und damit die Folgen des Klimawandels verstehen. Denn die Arktis gilt als das Epizentrum des globalen Klimawandels, der sich hier am frühesten und deutlichsten bemerkbar macht. Um mehr als vier Grad ist die Durchschnittstemperatur hier teilweise schon gestiegen. Um die Messungen durchzuführen, wurden direkt nach dem Andocken auf der Scholle mehrere Messstationen um die „Polarstern“ aufgebaut, in bis zu 50 Kilometern Entfernung. Die Wissenschaftler mussten schnell sein, denn seit dem 21. Oktober herrscht für 150 Tage die Polarnacht.

Eisbärenwachen schützen die Forscher

Das Vorbild der Expedition ist die Reise des Norwegers Fridtjof Nansen von 1893 bis 1896. Nansen driftete drei Jahre lang mit dem Holzsegelschiff „Fram“ am Nordpol vorbei, zwei Expeditionen fanden statt. Dabei unternahm er Wettermessungen, vermaß die Tiefe des Meeres und testete Wasserproben. Mit einer Schlittenhundexpedition versuchte er gar, zum Nordpol zu gelangen - vergebens. Stattdessen mussten er und die „Fram“ nach drei Jahren nach Norwegen zurück.

Die „Mosaic“-Expedition ist zwar besser ausgestattet, aber eben auch wesentlich komplexer als Nansens Vorhaben: Auf der Scholle befinden sich Stationen zur Vermessung des Eises, eine meteorologische Station, eine Station zur marinen Forschung, eine Station zur Forschung unter dem Eis mithilfe von ferngesteuerten Geräten und eine eigene Landebahn für Versorgungsflugzeuge. Allerdings haben sich Technik und wissenschaftlicher Forschungsstand in den vergangenen 126 Jahren deutlich weiterentwickelt. Außerdem sind alleine sechs Crewmitglieder als „Eisbärenwachen“ abgestellt. Nansen und sein Begleiter Hjalmar Johansen jagten Eisbären, Walrosse und Robben, um die neun Monate Winterlager zu überleben.

Solche Methoden hat Rosenhagen nicht nötig, Zulieferungen durch Eisbrecher sei Dank. Seine Fitness und Seetüchtigkeit musste er trotzdem beweisen, bevor er die Reise antreten konnte. Dazu kommt der psychische Aspekt - in seinem Fall die Trennung von der Familie, die er durch Telefonate und WhatsApp-Nachrichten zu überbrücken sucht. „Drei Monate auf engsten Raum ist nicht jedermanns Sache. Natürlich muss man Gesundheitschecks machen, denn wir sind im Eis, mal ausfliegen oder runter nach Hause geht nicht“, schreibt Rosenhagen. Umso wichtiger ist sein Job. Er versucht, seine Crew zu verwöhnen - vor allem im Polarwinter und an Feiertagen. Auch dann gilt übrigens eine Null-Promille-Grenze auf dem Schiff. Zu Weihnachten und Silvester wird er nicht mehr an Bord sein, sein Kollege Sven Schnieder wird ihn ablösen. „Der hat schon was liefern lassen, was er der Mannschaft zaubern wird“, schreibt Rosenhagen vom Schiff, das in der Polarnacht eingefroren ist. „Ich weiß, was es ist, aber ich sag nicht, was.“

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