© LMU München, TSP
Live-Reportage von der Intensivstation
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„Ich bin fertig. Zu viel hat mich hier beeindruckt, erschüttert, bewegt“
09.12.2021, 17:17 Uhr
Dennis Pohl
Sidney Gennies
Vater und Sohn, ungeimpft + eine covidkranke Mutter, die ihr Baby noch nie gesehen hat + das Personal am Limit + der Tag am LMU-Klinikum zum Nachlesen.
Es ist eine Art Rettungsinsel in einer der am schwersten von der vierten Corona-Welle betroffenen Regionen Deutschlands: das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München . Laut bundesweitem Intensivregister ist in dem Krankenhaus, das zu den größten und wichtigsten in Europa zählt, Stand heute fast kein Intensivbett mehr frei . Dennoch bitten jeden Tag mehrere Kliniken in ganz Bayern das LMU-Klinikum um Hilfe, weil sie mit besonders schwer betroffenen Corona-Patienten nicht mehr umgehen können.
Mehr zum Thema auf Tagesspiegel Plus: Wie lange es das noch leisten kann, weiß niemand . Doch Pflegende und Ärztinnen und Ärzte kämpfen in München-Großhadern jeden Tag darum, dass alle, also Menschen mit und ohne Corona-Erkrankung eine Behandlung bekommen. Was bedeutet das konkret?
Tagesspiegel-Reporter Dennis Pohl begleitete die Medizinerinnen und Mediziner einen Tag exklusiv in einer mehrstündigen Live-Reportage . Hier der Tag zum Nachlesen:
Live-Reportage aus der Klinik
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Neun Stunden , sechs Stationen, dutzende Personen und aktuell noch ziemlich unfassbare Eindrücke . Die Schicht ist durch und ich kann es nicht anders sagen: Ich bin fertig. Zu viel hat mich hier beeindruckt, erschüttert, bewegt, um es in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Mir bleibt nur, mich aufrichtig bei allen Pflegenden, Ärztinnen, Ärzten und sonstigen Mitarbeitenden zu bedanken. Hier und überall in Deutschland , wo die Menschen in den Kliniken an ihre persönlichen Grenzen gehen, um uns irgendwie durch diese Pandemie zu bringen. Ihr seid toll!
Tagesspiegel-Reporter Dennis Pohl ist am Ende seiner Live-Reportage. Und auch sonst am Ende. Wie muss sich erst das Pflegepersonal fühlen?
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Tagesspiegel
Auch nach der Besprechung herrscht in der Notaufnahme Hochbetrieb . Matthias Klein geht zunächst im vollen Warteraum zu einer 81-Jährigen Patientin , die gestürzt ist. Nichts Schlimmes, sagt er. „Aber das Problem ist, dass wir für jede Person erstmal Platz machen müssen“ , sagt Klein. Auch das mache die Pandemie schwerer, er müsse etwa Verdachtsfälle in isolierten Räumen belassen , bis ein PCR-Test vorliegt. Das kann Stunden dauern . „Aber da sind wir schon weiter als in den ersten Wellen“, sagt Klein. Damals hätte es bis zu 18 Stunden gebraucht, um ein gesichertes Ergebnis zu erhalten. Heute reichen ein bis zwei.
Arzt Matthias Klein verschafft sich im Wartebereich der Notaufnahme einen Überblick.
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Dennis Pohl
Während wir sprechen, kommt ein Intensivmobil vor der Tür an. Ein ECMO-Patient sei darin, sagt die begleitende Ärztin, aus einem anderen Klinikum. Matthias Klein stört das hohe Patientenaufkommen allerdings weniger, sagt er. Vielmehr kommen für seinen Geschmack zu wenige Personen rein. Um rund 15 Prozent habe die Zahl an Notfällen hier in Großhadern im November abgenommen , sagt er. Viele hätten Angst, sich im Klinikum mit Corona zu infizieren. „Das birgt die große Gefahr, dass aus ersten Symptomen etwas viel schlimmeres wird, weil die Ursache nicht rechtzeitig gefunden wird“ , sagt Klein.
Der Intensivtransport bringt einen weiteren ECMO-Patienten.
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Dennis Pohl
Lagebesprechung – welche Therapien wirken?
Matthias Klein und Joachim Pircher besprechen sich online mit Kollegen
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Dennis Pohl
Nachdem sie sich auf dem Weg noch kurz um einen älteren Patienten mit Covid-Diagnose gekümmert haben, der gestürzt war und über Schmerzen klagt, sitzen Matthias Klein und sein Kollege Dr. Joachim Pircher in ihrem Büro. Die Ärztinnen und Ärzte des Klinikums, die regelmäßig mit Corona arbeiten, haben sich online zusammengeschaltet, um neueste Erkenntnisse zu Verlauf und Therapie von Covid-19 auszutauschen. Wie jeden Tag um 14 Uhr. Heute geht es um die Behandlung verschiedener Stadien und darum, was man nicht machen sollte. Das antivirale Medikament Remdesivir zum Beispiel, das noch vor einem guten Jahr eingesetzt wurde, solle tunlichst vermieden werden. Ein Arzt meldet sich, er halte diese Vorgabe für „übertrieben.“ Morgen gehe es um Omikron, sagt Klein.
Der Strom neuer Covid-Patienten reißt nicht ab
In der zentralen Notaufnahme wird gerade die Automatiktür repariert, sechs Millionen Mal hat sie sich in etwas mehr als einem Jahr geöffnet, sagt die Frau von der Haustechnik. Drinnen steht Dr. Matthias Klein, Leiter der Notaufnahme , vor einem Bildschirm und studiert die aktuellen Fälle. 35 Notfälle sind gerade vor Ort, bei zweien liegt eine gesicherte Covid-19-Diagnose vor, bei dreien hegt der Mediziner einen dringenden Verdacht. Auf dem Monitor steht: „Atemwegsprobleme“ .
Dr. Matthias Klein, Leiter der Notaufnahme, hat aktuell 35 Fälle zu versorgen.
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Dennis Pohl
Klein wechselt auf dem Bildschirm in eine andere Ansicht, zwei neue Notfälle sind schon angemeldet. Neurologischer Notfall und Chirurgie . 21 und 54 Jahre, beide weiblich. In München sind die beiden Standorte der LMU-Klinik, also hier in Großhadern und in der Innenstadt, gerade die einzigen Notaufnahmen, die noch Fälle in Verbindung mit Covid-19 aufnehmen . „Wir haben eigentlich keine Kapazitäten, keine Intensivbetten“, sagt Klein. „Aber wir versuchen, die anderen Häuser zu entlasten.“ Zweimal hat sich die Klinik heute im zentralen Leitsystem auf grün schalten lassen, also offen. Immer waren sofort neue Covid-Patienten auf dem Weg. Was passiert, wenn auch die LMU sich auf rot stellt? „Dann wird zwangsverlegt, die nächstgelegene Klinik wird einfach angefahren.“ Das wollen alle vermeiden. Aber es gelingt nur selten.
Auf einem Bildschirm werden die aktuellen Notfälle angezeigt.
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Dennis Pohl
"Wir sind die ersten und die letzten am Patienten"
Die Krankenpflegerinnen Kessy Eschner und Lisa Rohlfing würden ihren Beruf jederzeit wieder ergreifen. Doch sie fordern im Video Unterstützung. Auch politisch.
Plötzlich Probleme mit der externen Lunge
Etwas stimmt mit der ECMO-Maschine nicht. Die Pflegekräfte springen sofort auf.
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Dennis Pohl
Wenig später kommt Unruhe auf . Der 35-Jährige Patient aus Heidelberg muss in den OP. Seine ECMO zeigt Unregelmäßigkeiten , das kann man an der Art des Durchflusses des Bluts durch die Schläuche erkennen. Hier springen sie leicht auf und ab, der Druck ist also zu hoch . Die ECMO muss ausgetauscht werden. Mehrere Pflegende und Ärzte machen die Geräte fertig für den Transport, etwas Blut spritzt auf den Boden , ein Arzt löst die künstliche Niere, dann beginnt die Fahrt in die vierte Etage.
Der Patient muss schnell in Etage 4 transportiert werden. Seine externe Lunge muss ausgetauscht werden.
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Dennis Pohl
Krafttanken im Aufenthaltsraum
Im Aufenthaltsraum liegt noch ein Brief eines ehemaligen Patienten, der es geschafft hat.
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Dennis Pohl
Während ich meine Eindrücke aufschreibe, fällt mir in der Küche der Station ein Brief samt Bild auf. Er stammt vom Sohn eines ehemaligen Patienten, wie mir zwei Krankenschwestern in ihrer Pause erklären. Der Mann kam ebenfalls aus Heidelberg, seine Lunge war durch eine Corona-Erkrankung so stark geschädigt, dass er auf eine ECMO-Therapie angewiesen war. Hier in München, ergänzt Oberarzt Michael Irlbeck, der inzwischen dazugekommen ist, sollte er eigentlich eine neue Lunge bekommen. Aber er war zu schwach. „Der musste es allein schaffen“ , sagt Irlbeck. Hat er schließlich, wie das Foto an der Pinnwand zeigt. Er sei inzwischen in der Reha, es gehe ihm stetig besser. „Solche Sachen bekommen wir manchmal“ , sagt die Pflegerin in der Küche. „Das freut uns extrem, es spendet uns Kraft.“ Für einen Moment sieht es aus, als kämpfe sie mit den Tränen. „Er sieht ganz anders aus jetzt“ , sagt sie.
Zwei Zimmer weiter liegt ein Patient mit derselben Krankheit wie die Frau, nur dass der Verlauf bei diesem jungen Mann alles andere als günstig ist. Der 35-Jährige kam aus Heidelberg, ihm wurde hier in München eine neue Lunge eingesetzt. Doch nach ein paar Tagen zeigte sich, dass die Transplantation für das Herz des Mannes zu viel war , es stellte seine Arbeit ein. Seitdem hängt er an der künstlichen Lunge, hat eine Thrombose erlitten, sein rechtes Bein wurde aufgeschnitten , zwei Schläuche fließen in seinen geöffneten Brustkorb. „Ich glaube nicht, dass wir das Bein retten können“ , sagt Kessy Eschner. Eigentlich bräuchte der Mann eine Eins-zu-eins-Betreuung, aber das ist meist nicht möglich, schon gar nicht in diesen Zeiten. Zu viele Kapazitäten nehmen derzeit die Covid-Patienten ein.
Das Bein des Patienten kann wohl nicht gerettet werden. Da die Aufnahme verstörend wirken kann, wurde sie von der Redaktion verpixelt.
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Dennis Pohl
„Bei ihm ist es besonders schwer“ , sagt Lisa Rohlfing. „Wir haben ihn noch wach kennengelernt. Das macht es ziemlich belastend.“ Auch Eschner geht es so, wie sie sagt. „Wir kennen mittlerweile die ganze Familie, da ist es schon oft schwierig.“ Und in solche Situationen kommen Pflegende wie Rohlfing und Eschner durch die Pandemie immer häufiger. „Sonst konnten wir so einen Fall auch mal abgeben“ , sagt Eschner. „Jetzt ist er komplett bei uns – wie viele andere.“
Lisa Rohlfing, Pflegerin
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Dennis Pohl
Auf der ITS 2 treffe ich Kessy Eschner und Lisa Rohlfink , die hier als Krankenpflegerinnen arbeiten. Gerade steht die Mobilisierung einer Patientin an, die auf eine neue Lunge wartet. Vier Pflegerinnen braucht es dafür , die Patientin ist zwar ansprechbar, aber mit allerhand lebenserhaltenden Geräten verkabelt. Die vier heben schwer , während sie die Muskeln der Patientin massieren, die Patientin kämmen, ihren Rücken kratzen.
Vier Pflegerinnen werden benötigt, um die Patientin zu mobilisieren
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Dennis Pohl
Allen vier Pflegerinnen merkt man dabei an, dass sie hier mit einem Menschen arbeiten. Und das zu keinem Zeitpunkt vergessen. Sie sind bemüht, die belastende Prozedur für die Patientin möglichst erträglich zu machen. Sie sogar für einen kurzen Moment zum Lachen zu bringen : Ob sie ihr nicht mal die Haare nachfärben könnten, fragen sie. Ob ihr Mann denn kochen könne? Wie es den Kindern geht. Bevor ich ein Foto mache, rückt sich die Patientin die Haare zurecht. „Ist ja für die Zeitung“ , sagt sie und lächelt entkräftet.
Übrigens: Wie es derweil auf Berliner Intensivstationen aussieht , hat Reporter Hannes Heine hier recherchiert:
Elizabeth Tödter arbeitet auf der Intensivstation bis zur Erschöpfung. Schon wieder. Schicht mit einer, die kaum fassen kann, was alles versäumt wurde.
tagesspiegel
Dr. Michael Irlbeck warnt im Video vor Leichtsinn und mahnt zur Impfung
Alle diese Patienten dachten, sie wird's schon nicht erwischen. Ich bin zu jung, ich bin zu gesund, ich werde nicht so schwer erkranken. Leider ist für diese Patienten das Gegenteil eingetreten. Allein in den letzten beiden Tagen haben wir zwei Patienten verloren, die unter 40 Jahre alt waren
Dr. Michael Irlbeck, Oberarzt Anästhesie der Intensivstation
Was trotz der hohen Belastung und der Schwere der Fälle auffällt: Ärztinnen und Ärzte, Pflegende und sonstiges Personal gehen in jeder Situation äußerst respektvoll und ruhig miteinander um. „Sonst würde das hier niemand packen, ganz sicher“ , sagt Michael Irlbeck, Oberarzt der Anästhesie der Intensivstationen.
Vater und Sohn mit Covid auf der Intensivstation
Am 2. Dezember wurde ein 30-jähriger Patient eingeliefert, erzählt mir gerade Dr. Michael Irlbeck , Leiter der Intensivstationen hier in Großhadern. Der Patient liegt auf der Intensivstation, sein Zustand ist stabil. Gestern wurde dann noch sein Vater eingeliefert, 52 Jahre alt. Beide waren ungeimpft . Gerade musste der Vater intubiert werden, sein Zustand hatte sich rapide verschlechtert. Seine letzte Frage, bevor er sediert wurde: „Wie geht es meinem Sohn?“
OP-Koordinator Bernhard Heindl im Video
Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt mir gegenüber die OP-Koordinatorin Bettina Heckmair . Gesprächsfetzen dringen zu mir, es geht um Aufnahmen, Verlegungen, freie Betten, OP-Termine. Innerhalb von zehn Minuten klingelt ihr Telefon ein halbes Dutzend Mal. Sie sagt öfter „Ja, okay“ als nein.
OP-Koordinatorin Bettina Heckmair
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Dennis Pohl
OP-Manager Heindl steht derweil vor der Aufgabe, mit den knappen Ressourcen zu wirtschaften. Rund 4000 Operationen fielen seit Beginn der Pandemie aus , sagt er – pro Jahr. „Die Auswirkungen auf die Betroffenen sind immens“ , sagt Heindl. „Auf psychischer wie physischer Ebene.“
Elektive Operationen, das ist so ein schwammiger Begriff. Das ist viel zu unklar.
Bernhard Heindl
Prof. Bernhard Heindl, OP-Manager
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Dennis Pohl
Aktuell, sagt Heindl weiter, verschiebe man alles, was ein paar Wochen warten kann, da im OP-Bereich ganze 11 Säle geschlossen wurden. Das Personal wurde zu den Intensivstationen versetzt . „Dadurch gerät dieses feine Räderwerk hier schon aus dem Lauf“, sagt Heindl.
Voll eingekleidet: Tagesspiegel-Reporter Dennis Pohl
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Im OP-Bereich zwei Stockwerke höher hingegen herrscht Ruhe. Nachdem ich von dem Leiter des OP-Managements Prof. Bernhard Heindl in Kittel und Haarnetz eingekleidet wurde, laufen wir entlang der rund vier Dutzend Operationssäle . In einigen wird gearbeitet, „Lungentransplantation, Herz, Oberschenkelfraktur, Tumorerkrankung, Gefäßchirurgie“ , sagt Heindl im Vorbeigehen.
Oberschenkel-Operation
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Dennis Pohl
Einige Meter weiter wird eine ältere Person am Oberschenkel operiert, sie hat eine Fraktur erlitten . Eine Ärztin arbeitet am geöffneten Schenkel. „Solche Sachen müssen wir sofort machen“ , sagt Heindl. „Wenn wir da zu lange warten, hat das negative Auswirkungen.“ Aber gerade ältere Menschen bräuchten nach einem solchen Eingriff zwingend ein Intensivbett. Und die sind nicht da. „Wir spielen dann auch hier mit den Hütchen“ , sagt eine junge Ärztin als Anspielung auf die Aussage von Oberarzt Stefan Stern-Straeter von der Intensivstation.
Ein Patient stirbt, ein Bett wird frei
Der Patient ist am Vorabend verstorben. Sein Platz ist bereits für den nächsten verplant.
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Dennis Pohl
Auf der ITS 4 ist derweil ein Zimmer frei geworden. Ein Covid-Patient, der nach einer Nierentransplantation reingekommen war, ist verstorben. Montagabend, 20:04 Uhr. Stern-Straeter hat noch versucht, ihn wiederzubeleben . Aber nichts zu machen, wie er sagt. Der Tote wurde zwar schon weggebracht, aber im System noch nicht ausgebucht . Um 7 Uhr war sein Platz allerdings schon wieder an jemanden aus dem OP vergeben.
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