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 Kurs auf Amerika - und die ganze Welt: Greta Thunberg, Klimakämpferin und vielleicht eine nächste Jeanne d'Arc?

© AFP

Längst nicht mehr bloß „Klimaaktivistin“: Was aus Greta Thunberg werden kann

Die junge Schwedin engagiert sich glaubwürdig für die Rettung der Erde. Gegenüber den Trumps und Bolsonaros hat sie einen bedeutenden Vorteil. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Peter von Becker

Wunderkinder sind bisher meist aus den Künsten bekannt. Mozart oder der junge Daniel Barenboim, die Geigerin Anne-Sophie Mutter oder das poetische Genie Arthur Rimbaud, das mit 17 Jahren seine literarische Karriere beschloss. Auch im Sport, im Schach oder bei TV-Quizsendungen werden Frühbegabte zur Attraktion.

Neu aber ist das Phänomen in der Politik. Dass eine heute 16-jährige Schülerin binnen eines Jahres als bis dahin völlig Unbekannte zur Weltberühmtheit aufsteigt, von Regierungsspitzen empfangen wird, internationale Konferenzen prägt und Millionen junge Menschen nicht nur an den Fridays for Future bewegt, das hat es noch nie gegeben.

Wirkt wie Popstar-Rummel

Jetzt ist Greta Thunberg zusammen mit ihrem Vater und zwei Profiseglern auf einer Yacht zur Atlantiküberquerung gestartet. Das enorme Medienecho, das sie auf ihrem Weg zum UN-Klimagipfel in New York begleitet, mag dabei manche Menschen auch nerven. Es wirkt wie ein Popstar-Rummel. Und ein Star ist das Mädchen allemal – dem kann sie selber gar nicht mehr entkommen. Allerdings ist sie trotz ihrer Popularität eben keine Figur des Showbusiness. Sondern eine politische Person. Wobei das Attribut „Klimaaktivistin“ längst zu kurz greift.

Greta Thunbergs Reden und Interview-Äußerungen sind zumeist erstaunlich reif und zugleich sympathisch formuliert. Immer spricht sie über die Notwendigkeit der Demokratie, nie über eine „Ökodiktatur“, die ihre Gegner unterstellen. Das alles geht weit über einen eher situativen Protest-Aktivismus hinaus. Was ihrem Engagement umso mehr Glaubwürdigkeit verleiht. Freilich, wo der Glaube wächst, gedeiht auch die Verklärung. Vielen erscheint die junge Schwedin in ihrem heiligen Ernst, wenn sie von der Rettung der Erde spricht, schon wie eine moderne Jeanne d’Arc.

Die beiden Amerikas: Trump und Bolsonaro

Selbst an diesem Bild haftet indes ein Stück Wahrheit. Ein Stück realer Politik, ganz jenseits der quasireligiösen Erhöhung. Geht es doch angesichts des immer gegenwärtigeren Klimawandels um den Kampf eines Mädchens gegen die Ignoranz und Arroganz der politisch Mächtigen. Thunberg ist nun auf dem Weg nach beiden Amerikas. Auf New York soll die Weltklimakonferenz in Chile folgen. Also ist es auch eine Reise zu Trump im Norden und zumindest in die Nähe von Bolsonaro im Süden des Kontinents. Zu zwei Leugnern der von Menschen betriebenen Ressourcenausbeutung und klimatischen Verheerung.

Plötzlich aber treten da nicht mehr nur die gewöhnlichen politischen Matadore oder wirtschaftlichen Interessenvertreter gegeneinander an. Greta Thunberg könnte eine Widersacherin werden, die den Supermachos à la Trump und Bolsonaro ihre üblichen Waffen raubt. Amerika in seinem ewigen Pionier- und Jugendkult liebt junge Heldinnen und Helden. Schon das ist ein Faktor im gesellschaftlichen, politisch-kulturellen Klima. Und wie wollen die Trumps und Bolsanaros in ihrer notorischen verbalen Aggressivität mit einem ihnen auch medial trotzenden, Idealismus und wunderkindliche Weisheit verkörpernden Mädchen umgehen?

Das US-Magazin „Time“ hat Greta Thunberg schon auf die Liste der 100 weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten gesetzt. Auch solche Listen muss man nicht überschätzen. Aber Greta Thunberg ist in Amerika bislang noch nie aufgetreten.

"Kinder an die Macht"

Als die Beatles und die Rolling Stones einst als „Wonderboys“ aus Europa mehr als nur die Jugend Amerikas in Verzückung versetzten, kamen sie noch mit dem Flugzeug. Landet Greta demnächst mit ihrem Segelschiff als neue Jeanne d’Arc des Klima- und Umweltschutzes an den Küsten der Neuen Welt, ist allein das bereits eine Sensation. Mit noch unabsehbarer Dynamik.

Vor 90 Jahren kam in Paris ein Kultstück der Moderne auf die Bühne: Roger Vitracs „Victor oder Die Kinder an die Macht“. Die Geschichte eines etwas unheimlichen Wunderjungen spielte im September 1909. Im September 2019 wird man in New York bald beobachten, ob aus Greta einmal eine Victoria werden kann. Eine Siegreiche, für die Zukunft.

Nach dem frühen Ruhm liegt allemal noch ein harter Weg vor dem Teenager als Weltretterin. Doch sie hat eine Bewegung angestoßen, die nicht nur Wunderkindern dank der sozialen Medien (siehe auch Rezo) mehr politische Macht denn je verleiht.

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