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Künstlerin Lee Krasner: Die Unbeirrbare

Als sie sich den Arm brach, malte sie mit links weiter. Aufgeben war für Lee Krasner keine Option. Nun würdigt eine Ausstellung die amerikanische Malerin.

Sie war die Pest. Das hat ihr die Akademie schriftlich gegeben: Eine Nonstop-Plage zu sein, die „auf ihrem eigenen Willen besteht, statt Schulregeln zu befolgen“, wie es im Zeugnis hieß.

Die Studentin hatte es gewagt, mit einer Freundin in den Keller der National Academy zu gehen. Was Frauen – aus welchen Gründen auch immer – verboten war. Aber Lee Krasner ließ sich nichts sagen. Schon als Teenager hatte sie sich von der jüdischen Religion verabschiedet, weil sie sich nicht als Wesen zweiter Klasse in der Synagoge auf die Galerie verbannen lassen wollte. Damals hatte sie Nietzsche und Schopenhauer für sich entdeckt.

Mit 13 wusste sie, was sie werden wollte: Künstlerin. Eine verwegene Idee. Lena, wie sie damals noch hieß, Jahrgang 1908, wuchs in einer jüdisch-orthodoxen Familie auf. Ihre Eltern waren vor den russischen Pogromen aus ihrem Shtetl in die USA geflohen, betrieben im damals noch fast ländlichen Brooklyn einen Fisch- und Gemüsestand.

Sie förderten die Ambitionen ihrer Tochter nicht, hielten sie aber auch nicht zurück. Wahrscheinlich wussten sie: Hat eh keinen Zweck. Also suchte Lena sich die einzige High School in New York, die einen Kunstschwerpunkt für Mädchen anbot, und pendelte, zwei Stunden am Tag. Einer ihrer Brüder hat sie mit Lesestoff versorgt, Dostojewski, Gogol, Turgenjew.

Ihre sture Entschlossenheit hat sich gelohnt. In der Frankfurter Schirn wurde gerade eine umfassende Schau der amerikanischen Künstlerin eröffnet (bis 12. Januar), die zuvor in der Londoner Barbican Art Gallery zu sehen war und von den britischen Kritikern überschwänglich gefeiert wurde. Verblüfft bewunderten dort Museumsbesucher die Frische, Vitalität und Vielfalt ihres Werks, die starken Farben, die fast zu tanzen scheinen. Was Lee Krasner selber gerne und, wie sie in trockener Unbescheidenheit sagte, auch ziemlich gut tat: Mit dem Kollegen Piet Mondrian legte sie einen heißen Boogie-Woogie in den New Yorker Nachtclubs hin.

Ein ganzes Œuvre gibt es plötzlich zu entdecken. Denn ihre letzte richtig große Museumsausstellung in Europa liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, 1965 in der Whitechapel Gallery. Es war zugleich ihre erste richtig große Schau.

Wie kann es sein, dass eine Künstlerin, die die „Financial Times“ nun als „Genie“ bezeichnet, die schon in jungen Jahren in der Kunstwelt bekannt war, staatliche Aufträge bekam und es als Frau wagte, abstrakt zu malen, so lange fast unsichtbar blieb? „Ich bin eine Frau, Jüdin, Witwe, eine verdammt gute Malerin, danke schön, und ein bisschen zu unabhängig“, lautete Krasners Erklärung.

Vor allem war sie für viele lange Zeit nur Mrs. Pollock. Die malende Frau jenes Mannes, den das „Life Magazine“ 1949 als möglicherweise größten Künstler Amerikas feierte, der bis heute als der Star des abstrakten Expressionismus, einer der einflussreichsten Künstler seiner Zeit, hoch gehandelt wird.

2006 brach Jackson Pollock posthum einen Rekord, als eins seiner riesigen Gemälde für 140 Millionen US-Dollar verkauft wurde. Berühmt sind die Fotos des Action Painters, auf dem „Jack the Dripper“ Farbe über die auf den Boden genagelte Leinwand schleudert. Ein Bild zeigt Lee Krasner, wie sie auf einem Hochsitz sitzt und zuschaut. Die Neider meinten, dass sie überhaupt nur aufgrund seines Namens ausgestellt wurde.

Auch darauf hatte Lee Krasner eine knappe Antwort: „Ich habe vor Pollock, während Pollock, nach Pollock gemalt.“ Als sie sich 1941 kennenlernten, war sie die treibende Kraft, die ihn anderen Künstlern und Kritikern vorstellte. Sie war es auch, die bei ihm uneingeladen an die Tür klopfte. Sie sollten beide, zwischen Picasso und Braque, in einer New Yorker Schau ausstellen.

Da Pollock der einzige Name darin war, den sie nicht kannte, ließ sie sich seine Adresse geben – nur eine Straße von der eigenen Wohnung im Village entfernt – und marschierte hin. Überwältigt, ja, sprachlos sei sie gewesen beim Anblick seiner Gemälde. „Als würde der Boden unter mir nachgeben.“ Sie verliebte sich in den Künstler und den Mann, der drei Jahre jünger war als sie.

Jackson Pollock hat einen enormen Einfluss auf sie gehabt – und sie auf ihn. Die beiden respektierten und unterstützten sich als Künstler. Als sie 1945 in intimer Runde heirateten, schlug Pollocks Mäzenin Peggy Guggenheim Lee Krasners Einladung mit den Worten aus: „Seid ihr nicht schon verheiratet genug?“ Die beiden Frauen konnten sich nicht leiden.

Das junge Ehepaar zog raus aus der Stadt mit all ihren Versuchungen, nach Long Island, in ein kleines Farmhaus, ohne Zentralheizung, aber mit viel Aussicht. Renoviert haben sie selbst, das Geld war knapp, aber sie wussten sich zu helfen. Fahrstunden nahm Lee Krasner bei einer Schriftstellerin im Tausch gegen Malunterricht.

Er bekam die große Scheune als Atelier, sie ein kleines Zimmer im ersten Stock. So konventionell war sie dann doch. Oft luden sie Freunde zu sich ein, sie kochte, er backte. Mit dem Rad fuhren sie an den Strand, sammelten Muscheln sowie Bilder im Kopf. Zu Hause hörten sie Jazz, Krasner war für den Möbelbau zuständig.

Aus einem Wagenrad schuf sie einen Tisch, der zugleich Kunstwerk ist, das in der Ausstellung in Frankfurt zu sehen ist. Eine wunderbare, farbenfrohe Collage, in der sie Spuren des gemeinsamen Lebens einarbeitete, Mosaiksteine von Pollock, Scherben, Muscheln, Schlüssel. Inzwischen betreibt die Pollock-Krasner-Foundation das Haus und die Studios als Museum.

Jetzt werden beide als bedeutende Pioniere des abstrakten Expressionismus gewürdigt. Eine Schublade, in die Lee Krasner sich ungern stecken ließ. Auf einen erkennbaren Stil wollte sie sich nicht festlegen, erfand sich immer wieder neu. Nicht als Strategie, sondern weil es sich so richtig anfühlte. „Wir lassen niemals vom Entdecken“, lautet eins ihrer Lieblingszitate, von T.S. Eliot. Unendliche Neugier bescheinigte sie sich.

Lee Krasner schöpfte, ganz bewusst, aus dem Unbewussten. So genau wollte sie gar nicht wissen, wo ihre Inspiration herkam, wer oder was welchen Einfluss auf ihre Arbeit hatte. Dass sie Picasso, Mondrian, Miró, Matisse und Pollock bewunderte, konnte der Betrachter ja selber sehen.

„Stop and Go“ hat Krasner eins ihrer Werke genannt. Wenn es geradeaus nicht vorwärts ging, machte sie eben so lange weiter, bis sie einen Abzweig fand. Oder nahm einen neuen Weg. Einmal, angewidert von ihren eigenen Werken, riss sie diese von der Wand, ließ die Fetzen auf dem Boden liegen. „Mord“ nannte sie diesen Akt. Aber sie sorgte auch für die Wiederauferstehung. Als sie das Atelier wieder betrat, fand sie faszinierend, was sie da sah und setzte die Leichenteile zu Collagen zusammen.

Aufgeben war keine Option. Nicht in der Zeit ihrer größten Schaffenskrise, in den frühen Jahren mit Pollock, als sie drei Jahre lang nichts als graue Platten hinkriegte, bis sie sich mit ihren „Little Images“ aus geometrischen Zeichen und Hieroglyphen herausmalte. Nicht als sie sich den rechten Arm brach, und dann mit links weitermalte, wobei die Fingerspitzen der Rechten mithalfen, die Farbe direkt aus der Tube aufzutragen.

Und nicht nach dem Tod ihres Mannes, mit 44 Jahren. Wie sie angesichts des Schocks und der Trauer weitermalen könnte, wurde sie gefragt. Das sei so, als frage man sie, ob sie leben wolle. Natürlich! Kunst und Leben waren für sie eins.

Als dann auch ihre Mutter starb, sie in noch tieferer Trauer versank und an notorischer Schlaflosigkeit litt, stand Krasner eben nachts auf und nahm den Pinsel in die Hand. Und zwar in der Scheune. Warum sollte sie Pollocks Atelier leer stehen lassen, das so viel Platz hatte? Jetzt fing sie an, größere Bilder, mit größerer Geste zu malen.

Sie war eine Intellektuelle, mit großer Liebe zur Literatur, wovon allein die sprechenden Titel zeugen, die sie ihren Arbeiten gab. Zu ihren Gefährten gehörten Edward Albee und Susan Sontag, die ihr ein großes Talent zur Freundschaft beschied. Autoren wie Poe, Joyce und Rimbaud hatten die Künstlerin geprägt, ihr Interesse am Abstrakten gefördert.

Aus Rimbauds „Zeit in der Hölle“ hat Krasner sich eine Passage an die Wand malen lassen. „Warum mich ausliefern? Welches Vieh anbeten? Welches Heiligenbildnis angreifen? Welche Herzen soll ich brechen? Welche Lüge muss ich aufrechterhalten? In wessen Blute waten?“

Kurz vor ihrem eigenen Tod, mit 75, wurde Lee Krasner endlich mit einer großen Museumsretrospektive in den USA geehrt, die in Texas ihren Anfang nahm. Im Rückblick erklärte die Künstlerin es zu einem Segen, nicht früher berühmt geworden zu sein. Es hätte sie ihre Freiheit gekostet. Dann wäre es um Geld gegangen, um die Begehrlichkeiten von Galeristen und Sammlern.

Lee Krasner hatte erlebt, wie der Ruhm und der damit verbundene Druck Jackson Pollock den Rest gegeben hatten. Schon als Jugendlicher hatte er mit dem Trinken begonnen, die gewalttätigen Ausbrüche seines Vaters geerbt. 1950 schrieb er einem Freund, er sei gefangen in Trinkgelagen und Depressionen, die ein Rekordtief erreicht hätten.

Kurz darauf setzte er sein Testament auf, in dem er alles seiner Frau vermachte. „Ich wäre längst schon tot, wenn es sie nicht gäbe.“ Dass das Paar keinen Nachwuchs hatte, erklärte Lee Krasner auch damit, dass Pollock ihr schon Kind genug gewesen sei. Ansonsten hat das Muttersein sie nicht gereizt.

Alle Therapien und Medikamente halfen Pollock nicht, von seinen Leiden loszukommen. In den Jahren vor seinem Tod hat er kaum noch was gemalt, in den letzten 18 Monaten gar nichts mehr. Vor seinen Exzessen floh Lee Krasner 1956 nach Frankreich, ihre erste Europareise – ein Besuch bei Freunden, den sie eigentlich zusammen machen wollten. Pollock blieb auf Long Island mit seiner jungen Geliebten. Die saß, zusammen mit einer Freundin, im Auto, als der Künstler im Suff gegen einen Baum fuhr. Der 44-Jährige und die Freundin waren tot. Lee Krasner flog aus Paris sofort nach Hause.

Es war der Beginn eines neuen Lebens. Jetzt war sie die Witwe. Und die Nachlassverwalterin. Auch das nahmen ihr Leute krumm: dass sie das Erbe ihres Mannes geschickt verwaltete, die Preise hochsetzte, seinen Ruhm vermehrte. Sie hielt Pollock mit seiner Kunst am Leben. Mit Peggy Guggenheim gab es ein Wiedersehen vor Gericht, die Sammlerin und Förderin Pollocks erhob Ansprüche auf weitere Werke. Krasner gewann.

Penetrant und laut ist sie gewesen, so laut und lebendig, wie die Farben, die sie benutzte. Auch in der Kunstwelt hätten einige sie wohl gern suspendiert, wie es die Akademie getan hatte, als sie verbotenerweise in den Keller stieg. „Ich bin allen auf die Füße getreten“, sagte Lee Krasner einmal, „weil sie es verdient haben.“

Vereinnahmen ließ sie sich nicht, von Pollock-Fans so wenig wie früher von ihrer Familie. Als ihre große Schwester in jungen Jahren starb, weigerte Lee Krasner sich, ihren Schwager zu heiraten, wie es die Tradition verlangte. Das musste dann ihre jüngere Schwester tun.

Sie war Künstlerin, basta. Wobei sie die weibliche Form, „female artist“, für sich ablehnte: „I am an artist.“ Dennoch schloss Krasner sich in den 70er-Jahren der „Women in Arts“-Bewegung an, demonstrierte mit Gleichgesinnten vor dem Museum of Modern Art gegen die eklatante Unterrepräsentanz von Frauen in Sammlung und Ausstellungen.

Ihren späten Ruhm hat Lee Krasner, so wie andere Künstlerinnen ihrer Generation, auch der feministischen Bewegung zu verdanken. Ihr eigener Lehrer, der aus Deutschland stammende Hans Hofmann, ein künstlerisch übergriffiger Chauvi, bei dem sie dennoch enorm viel lernte, nämlich den Übergang vom akademischen Zeichnen zur Moderne, hatte sie als Studentin mit den Worten gelobt: „Die Arbeit ist so gut, man würde gar nicht denken, dass sie von einer Frau stammt.“

Am Schluss landete Lee Krasner doch noch im Olymp, dem Museum of Modern Art. Als die Retrospektive, die in Texas begonnen hatte, 1984 in New York ankam, war die Künstlerin allerdings schon gestorben. Begraben wurde „die Mutter Courage des abstrakten Expressionismus“, wie ein Freund sie nannte, auf Long Island, nahe ihrem Mann.

Auf Pollocks Grab liegt ein hünenhafter Felsbrocken. Der deutlich kleinere Stein auf Lee Krasners Grab nimmt sich dagegen aus wie ein Ei. Als könnten jederzeit ein paar neue Ideen und scharfe Bemerkungen schlüpfen.

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