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Hof und Gebäude der David Chipperfield Architects GmbH in Berlin-Mitte.

© Kai-Uwe Heinrich

Kreative Arbeitsräume: Wie Architekten ihre eigenen Büros gestalten

Einraumwürfel, Wasserballons an der Decke, offene Schiebetüren – und in London grunzen Schweine im Hintergrund.

Chipperfield, Berlin

Am Anfang war die Klavierfabrik. Auch wenn in dem historischen Backsteinbau schon lange keine Pianos mehr produziert wurden, als das Büro Chipperfield Anfang des 21. Jahrhunderts auf den Gewerbehof zog. Ideale Lage, in Fußnähe zur Museumsinsel, der Großbaustelle des Büros. Mit dem Erfolg der Architekten wuchs auch der Bedarf an Raum. Also entschloss man sich, einen ganzen Campus zu entwickeln, in dem man sich Dinge erlaubte, die mit den meisten Investoren nicht zu machen wären. Zum Beispiel: sich Zeit zu lassen, den Raum nicht auszureizen und vollzustellen, die Tiefgarage wegzulassen, die neuen Gebäude als „Einraumstapel“ zu planen, jedes mit vier Außenwänden, nackter Beton, innen wie außen. Obwohl am Hofeingang kein Wegweiser steht, finden die kreativen Nachbarn aus Mitte den Weg auf den Campus, der öffentlich zugänglich ist.

Auf dem Hof spürt man die kreative Verbindung von Alt und Neu.
Auf dem Hof spürt man die kreative Verbindung von Alt und Neu.

© Kai-Uwe Heinrich

In der Kantine kann jeder essen, von dem Geschirr und mit dem Besteck, das David Chipperfield entworfen hat. Zum Speisen kommen auch Kunden oder solche, die es werden könnten, gerne in die Joachimstraße. Vor allem im Sommer, wenn man auf dem kopfsteingepflasterten Hof unter Platanen sitzt. Ein Arbeitsplatz, an den man gerne kommt, ein Show-Room für die eigene Architektur. Das Besondere daran (und ihren Preis) zu erklären, sei nicht immer einfach, sagt der für den Entwurf des Ensembles verantwortliche Co-Geschäftsführer Alexander Schwarz, da man ganz auf spektakuläre Formen verzichtet. Auf dem Hof kann man das Besondere nicht nur sehen, sondern spüren. Zum Beispiel die kreative Verbindung von Alt und Neu, die seit dem Neuen Museum als Spezialität des Büros gilt, die atmosphärischen Qualitäten von Beton. Und im neuen Vorderhaus hat Familie Chipperfield ein Zuhause gefunden.

Snøhetta, Oslo

Das norwegische Büro Snøhetta versteht sich als Kollektiv.
Das norwegische Büro Snøhetta versteht sich als Kollektiv.

© Snøhetta

Eigentlich war die Halle nur als Baustellenwerkstatt gedacht: Hier am alten Hafen wollten die Architekten die Riesenmodelle ihrer Osloer Oper ausprobieren. Der Ort direkt am Wasser hat sie so beschwingt, dass sie beschlossen, zu bleiben. Die Transparenz der großen Fenster, der leichte Übergang zwischen drinnen und draußen, das horizontale Layout passen zur Philosophie des norwegischen Büros, das sich als Kollektiv versteht und mit der schwungvollen Oper international berühmt wurde. Bei Snøhetta sitzen die Mitarbeiter nicht nach Teams geordnet, sondern kunterbunt gemischt, jeder neben jedem und alle, einschließlich der Chefs, im selben Riesenraum. Im Zweijahresrhythmus werden die Plätze neu gemischt, damit niemand sich in Gewohnheiten einrichtet, sämtliche Kollegen einander kennenlernen.

Bei Snøhetta sitzen die Mitarbeiter nicht nach Teams geordnet, sondern kunterbunt gemischt.
Bei Snøhetta sitzen die Mitarbeiter nicht nach Teams geordnet, sondern kunterbunt gemischt.

© Marte Germann Johnsen

Wobei - fremd sind sie sich nicht. Jeden Mittag um zwölf treffen sich die Mitarbeiter zum Lunch an zwei langen Tafeln, die das Herzstück bilden. Der große Umzug wird jedes Mal mit einem Fest gefeiert. Auch der Baldachin in der Mitte, über einer farbenfrohen Sofalandschaft, wurde ursprünglich für eine Party gestaltet: Hafenwasser, in lauter Plastiksäckchen gefüllt und nebeneinander gehängt, ein Kronleuchter der anderen Art. Eine breite Treppe dient als Amphitheater, in dem sich jeden zweiten Montag die Mitarbeiter zur informellen Besprechung treffen. Dabei darf, ja soll gelacht werden. Ein Snøhetta-Meeting gilt als gelungen, wenn alle Anwesenden einmal gemeinsam in Gelächter ausbrechen. Denn nur wer sich wohl und frei als Mitglied der Gemeinschaft fühlt, so die Erfahrung der Architekten, bei dem werden kreative Prozesse in Gang gesetzt. „Collective Intuition“ heißt eine gerade erschienene Monografie über das Büro.

Sauerbruch Hutton, Berlin

Mit Blick ins Grüne. Die Büroräume von Sauerbruch Hutton an der Lehrter Straße.
Mit Blick ins Grüne. Die Büroräume von Sauerbruch Hutton an der Lehrter Straße.

© Jan Bitter

Wenn Louisa Hutton Londoner Kollegen durch die Büroräume an der Lehrter Straße führt, ist es ihr fast peinlich. So viel Platz! In der britischen Hauptstadt wäre das unbezahlbar. Wobei auch Hutton und Matthias Sauerbruch kleiner angefangen haben. 1995, sie arbeiteten gerade am roten GSW-Hochhaus an der Kochstraße, zogen sie in das Backsteingebäude auf dem alten Moabiter Garnisonsgelände, auf dem sich Künstler, Designer, Musiker angesiedelt hatten. Die Leute, sagt Hutton, sind für das Leben auf diesem Campus so wichtig wie die Bauten. Einige von ihnen schlossen sich später zusammen, um das Ganze zu kaufen, darunter auch Sauerbruch Hutton, die dann die Kriegslücken peu à peu mit Neubauten auffüllen konnten.

So viel Platz. Gearbeitet wird auf mehreren Etagen.
So viel Platz. Gearbeitet wird auf mehreren Etagen.

© Jan Bitter

An den Eingang stellte das Paar ein Wohnhaus, in dessen Penthouse die beiden selber einzogen. Mit Blick aufs Büro, das sich noch im ursprünglichen Haus, dem Königlichen Corps-Bekleidungsamt befindet - jetzt mit moderner Aufstockung. Nun wird auf mehreren Etagen gearbeitet, es gibt ruhigere und lebendigere große Räume, zum Teil noch mit den ursprünglichen gusseisernen Stützen, im Keller werden die Modelle gebaut. In der aufgestockten, lichten Etage sitzen der Empfang, die Chefs und der flexible Projektraum, der für Meetings wie für Weihnachtsfeiern genutzt wird. Eine Terrasse gehört auch dazu, mit Aussicht auf die Baumreihe, die das Grundstück begrenzt. Nicht weit vom Hauptbahnhof, aber ein Gefühl: fast wie auf dem Land.

Kleihues, Berlin

Architekturbüro Kleihues in der alten Müllverladestation an der Spree.
Architekturbüro Kleihues in der alten Müllverladestation an der Spree.

© Thilo Rückeis

Das Boot liegt bereit: in der Wassergarage unterm Großraumbüro. Bewegt wird es selten. Die Architekten haben zu viel zu tun. Mit dem Bundesnachrichtendienst zum Beispiel oder dem Pergamonmuseum. Außerdem ist Jan Kleihues Segler und Motorbootfeind. Aber das Gebäude hat selbst schon was von einem Schiff. Als Kleihues’ Vater Josef Paul vor Jahrzehnten die alte Müllverladestation an der Spree kaufen konnte, griff der Architekt zu. Die Nähe zur Paris Bar, seiner Kantine, hat dabei sicher auch eine Rolle gespielt. Vor gut 20 Jahren stieß Sohn Jan mit seinem Team dazu. Es gibt sicher unkompliziertere Büroräume als diesen denkmalgeschützten Bau in Charlottenburg, aber wenige, die so spektakulär sind. An den Wänden: viel Kunst. Wenn Jan Kleihues, dessen Vater 2004 starb, im ersten Stock arbeitet, setzt er sich so, dass er nicht die ganze Zeit Ausflugsbooten wie der „Heiterkeit“ hinterherschaut. Wer könnte da noch konzentriert zeichnen?

Die Teams arbeiten im Großraum an Achtertischen.
Die Teams arbeiten im Großraum an Achtertischen.

© Thilo Rückeis

Sein eigenes Büro steht meistens leer. Entweder hockt der 57-Jährige oben im Besprechungszimmer oder unten im Großraum, wo die Teams sich auf Achtertische verteilen. Morgens um elf und nachmittags um vier gibt’s eine Kaffeepause, drinnen am Tresen oder draußen auf der Plattform am Wasser. Aus kommunikativen Gründen, aber auch, damit der Cappuccino nicht über die Entwürfe fließt. An die Spielwiesen von Co-Working Spaces und Google & Co glaubt Jan Kleihues nicht. Alle vier, fünf Wochen trifft man sich zum Apéro. Dann wird von Projekten wie dem Nationalmuseum in Oslo berichtet und Aperol Spritz getrunken. Besucher sind begeistert von der früheren Müllverladestation – und dass sie mit dem Auto auf den Hof fahren können. Architekturbüros mit eigenem Parkplatz findet man in Berlin selten.

Feilden Fowles, London

Das Büro der Architekten Feilden und Fowles ist ein Zwischennutzungsprojekt in einer Stadtfarm in London.
Das Büro der Architekten Feilden und Fowles ist ein Zwischennutzungsprojekt in einer Stadtfarm in London.

© Feilden Fowles

Urbaner geht’s nicht. Das große St. Thomas Hospital nebenan, ein paar Schritte entfernt Waterloo Station mit 99 Millionen Passagieren im Jahr, auf der anderen Seite der Themse das britische Parlament, und hier, mittendrin: eine Farm. Mit Hühnern, Schafen und Schweinen, mit Gemüse, Blumen und Salat, hinter einer alten Mauer versteckt. Im Zentrum eine offene Scheune, als kommunaler Treffpunkt, Schule und Partyraum, und, als Einziges richtig isoliert, ein Klassenzimmer. Denn dieser Stadtbauernhof in einem der ärmsten Viertel Londons steht vor allem Schülern und labilen Erwachsenen offen. 2014 wurde die Farm eröffnet, zwei Jahre später zogen deren Architekten, Edmund Fowles und Fergus Feilden, mit ihrem Büro auf das 100 Meter lange, sehr schmale Gelände. Das St. Thomas Krankenhaus hatte ihnen das brachliegende Ruinengrundstück für ein paar Jahre zur Zwischennutzung überlassen.

Die ganze Konstruktion ist einfach gehalten und lässt sich leicht wieder auseinandernehmen.
Die ganze Konstruktion ist einfach gehalten und lässt sich leicht wieder auseinandernehmen.

© DAVID GRANDORGE

Feilden und Fowles haben daher alles so einfach wie möglich gehalten, eine Holzrahmenstruktur gewählt, statt einer Klimaanlage sorgt ein Spalt unterm überhängenden Dach für Durchlüftung. Das Ganze lässt sich leicht wieder auseinandernehmen. Wenn die Architekten beim Telefonieren im Garten rumlaufen, müssen sie ihren Gesprächspartnern schon mal erklären, woher das Quieken und Grunzen im Hintergrund kommt. Klienten laden sie gern in ihr Büro ein. Wo könnten sie besser erklären, was ihnen am Herzen liegt: soziale Projekte, zurückhaltende Bauten für Kultur und Bildung, möglichst schlichtes, aber ausgeklügeltes Bauen, die Nähe zur Natur. Die preisgekrönten Mittdreißiger hoffen, dass ihr Zwischennutzungsprojekt als Modell Schule macht. Brachen, so sagen sie, gäbe es in London genug.

Graft, Berlin

Das Berliner Büro der Graft Architekten an der Heidestraße.
Das Berliner Büro der Graft Architekten an der Heidestraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sie haben ihr Ziel erreicht: „The pursuit of happiness“ hatten sie sich von Beginn an auf die Fahnen ihres Büros geschrieben. Wenn Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit von ihren Anfängen im Los Angeles der 90er Jahre erzählen, wirken sie wie drei große von der Architektur und vom Leben begeisterte Jungs. In ihrer kleinen WG haben die Studienfreunde ihr erstes Büro betrieben, bevor sie zusammen in ein Häuschen mit verwildertem Garten zogen, die „Villa Kunterbunt“, wo gefeiert und entworfen wurde, wo sie draußen grillten und Modelle bauten. Wer die extravaganten, zum Teil futuristisch wirkenden Häuser des Trios kennt, mag überrascht sein über ihr Berliner Büro an der Heidestraße. Auf mehrere Etagen in den alten Gewerberäumen verteilt, wirkt es völlig unspektakulär, funktional. Als flexible Werkstatt, nicht als Showroom verstehen die drei das Ganze. Statt in teures Mobiliar, um Kunden zu beeindrucken, investiere man lieber in Köpfe und Programme.

Das auffälligste Stück in dem Großraumbüro ist die Bibliothek.
Das auffälligste Stück in dem Großraumbüro ist die Bibliothek.

© Tobias Hein

Das – bei Architekten übliche – Großraumbüro ist für sie nicht Not, sondern Tugend. Auch in ihrem eigenen Raum stehen die Schiebewände meistens offen. Das Trio glaubt „an den kuratierten Zufall des inspirierenden Austauschs“, dass man als Team mehr kann als allein. Weshalb Heimarbeit bei Graft die Ausnahme, nicht die Regel ist. Jeder soll mitkriegen, was die anderen machen, und sich nicht zu häuslich einrichten an einem Platz. Beweglich bleiben, heißt die Devise. Das auffälligste Stück: ihre Bibliothek, ein Regal, das sie für einen Kunden entworfen haben. Arbeit und Leben, für sie nie wirklich zu trennen, sollen nun wieder näher zusammenrücken. In der Invalidenstraße werden sie ein neues Gebäude fürs Büro bauen, wo alle drei mit ihren Familien oben einziehen wollen.

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