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Dr. WEWETZER: Stippvisite im Darm

Seit gut zehn Jahren gibt es in Deutschland das Darmkrebs-Vorsorgeprogramm mit der Darmspiegelung.

Berechtigt zur Teilnahme ist man ab 55 Jahren, seit Beginn des Programm haben etwa 20 bis 30 Prozent der Altersgruppe mitgemacht – immerhin. In den USA wird die Darmspiegelung schon seit längerem intensiver genutzt. Dort haben diese Woche Wissenschaftler der Harvard-Universität eine positive Bilanz der Vorsorge gezogen. Die Darmkrebs-Vorsorge ist nicht angenehm, aber sie hat ihre Verdienste.

Die Forscher um Andrew Chan werteten Informationen von fast 90 000 Männern und Frauen aus. Es waren Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die im Abstand von zwei Jahren einen Fragebogen über ihren Gesundheitszustand ausfüllten, und das 22 Jahre lang. Wenn alle Teilnehmer eine Darmspiegelung hätten machen lassen, wären 40 Prozent aller Fälle von Darmkrebs verhütet worden, lautet ein Fazit. Das liegt daran, dass bei der Untersuchung des Dickdarms Schleimhautwucherungen (Polypen) abgetragen werden können. Diese Gewächse bergen ein nicht unerhebliches Krebsrisiko. Wer von den Versuchspersonen sich der Darmspiegelung unterzog, hatte ein um 68 Prozent geringeres Risiko, an Darmkrebs zu sterben. Mit anderen Worten: Da dieser Tumor die Todesursache bei etwa drei Prozent der Bevölkerung ist, kann die Vorsorge durchaus ins Gewicht fallen. Aus drei werden dann nur noch ein Prozent. Vorsorge ist kein Wundermittel, aber sie wirkt, im Rahmen des Möglichen.

„Die Studie unterstreicht eindrucksvoll, dass die Darmspiegelung die Mehrzahl der Darmkrebs-Todesfälle verhindern kann“, sagt Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Dies spiegele sich auch in den Sterberaten an Darmkrebs (der Zahl der jährlichen Todesfälle bezogen auf 100 000 Einwohner) wider. Sie ist in den USA seit Jahren rückläufig. Vergleichbare Entwicklungen wären auch für Deutschland zu erwarten, wenn das Angebot der Darmspiegelung noch besser genutzt würde. Brenner hat in der bislang größten deutschen Studie gezeigt, dass das Darmkrebsrisiko bei Teilnehmern an der Darmspiegelung in den nächsten zehn Jahren um 77 Prozent verringert ist.

Eine Alternative zur Darmspiegelung, der Koloskopie, ist der Test auf Blut im Stuhl. Es deutet auf Krebs hin, ist aber kein Beweis. Der Stuhltest ist einfacher, dafür ungenauer. „Selbst ein bereits bestehender Darmkrebs wird durch die herkömmlichen Stuhltests nur in der Hälfte der Fälle entdeckt“, sagt Brenner. Nach einer ebenfalls jetzt erschienenen amerikanischen Untersuchung senkt ein jährlicher Bluttest das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, um etwa ein Drittel. Das klingt so, als ob der Bluttest halb so gut ist wie die Darmspiegelung, die ja das Sterberisiko um zwei Drittel verringert. Doch ist es nicht statthaft, beide Studien gleichzusetzen, dazu sind sie zu unterschiedlich. Bei vielen anderen Krebsarten wäre man froh, überhaupt einen einzigen vernünftigen Test zur Früherkennung zu haben – geschweige denn zwei.

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