zum Hauptinhalt
Läuft bei Dir. Kinder machen erste Schritte, wann sie wollen und benötigen dabei keine Hilfe.

© imago/biky

Kolumne: Der Kinderdok: Lauflernschuhe sind Quatsch

Der Kinderdok berichtet anonym und schonungslos vom täglichen Wahnsinn seiner Arbeit. Diese Woche gibt er Tipps zum Schuhkauf. Jetzt auch als Podcast

Neulich in der Praxis fragte mich eine Mutter, wann sie nun endlich mit den Laufschuhen anfangen soll – bei dem acht Monate alten Säugling. Viele irritiert das ja immer noch: dass Kinder mit einem Jahr angeblich laufen sollen. Tun sie nämlich in aller Regel nicht. Kinder laufen, wann sie wollen und wenn ihre genetische Programmierung es auslöst. Wie alle Säugetiere werden Kinder automatisch laufen, ohne dass wir ihnen das zeigen müssen. Laut Lehrbuch ist das erst jenseits des ersten Geburtstages, bei manchen – und das ist dann immer noch normal – sogar erst mit 18 Monaten.

Hilfe benötigen die Kleinen dabei nicht. Auch wenn das der freundliche Schuhverkäufer von nebenan anders sieht. Der Begriff Lauflernschuhe ist bereits ein Widerspruch in sich. Mit Schuhen lernt es sich meist schlechter laufen, sie sind so überflüssig wie die Lauflernhilfen oder „Gehfreis“, die allerorten angeboten werden. Letztere sind sogar gefährlich, produzieren sie nämlich Spitzfüße und Querschnittslähmungen bei Treppenstürzen.

Ohne Schuhe laufen lernen!

Also ohne Schuhe laufen lernen! Übrigens auch ohne Handreichung der Eltern. Hangelt sich ein Kind allein von Ast zu Ast, von Tisch zur Couch und zurück, bekommt es schneller ein Gefühl für Körperkoordination, Gewicht und Balance. Das ist die Analogie zu den Stützrädern am Fahrrad oder den Schwimmflügelchen. Die Fußsohle war einst nur ein Teil eines Greiforgans, deshalb ist die Sensorik besser schulbar ohne Schuhe, ohne Hände, durch alleiniges Ausprobieren.

Wem das zu kalt ist, der kann auf Söckchen mit Gumminoppen zurückgreifen. Das Herauszögern des Schuhkaufs bis zum selbstständig freien Laufen spart zudem Geld. Bis dahin vergehen bequem ein bis zwei Schuhgrößen. Natürlich können die Eltern dann keine drei Streifen an die Füße packen oder den Nike-Swoosh, das bedeutet eventuell weniger Aufmerksamkeit in der Krabbelgruppe.

Füße genauestens ausmessen

Aber dann läuft das Kleine, und Oma kann endlich die ersten Schuhe kaufen. Passen sollten sie. Dazu die Füße genauestens ausmessen und nicht allein auf das Wohlbefinden des Kindes Rücksicht nehmen. So wie sich Kleinkinder in die engsten Schuhe quetschen oder diese verkehrt herum anziehen, würden sie auch mit zwei Nummern größer herumrennen. Neuere Studien zeigen, dass eine Fußfehlstellung im Schulalter seltener genetisch veranlagt ist als man denkt, hingegen zu klein gewordene Schuhe die Zehen irreversibel nach innen lenken können, sodass es zu Schiefständen kommt.

Daher regelmäßig nachmessen, ob die Zehen genug Luft haben: Bei Hausschuh A zu Hause, Hausschuh B im Kindergarten, den Halbschuhen für die Übergangszeit, den Winterstiefeln mit Neopren-Hightec-Silberfäden, den Gummistiefeln, ohne die gar nichts geht, und noch den hübschen Selbstgewählten für die besonderen Momente. Letztere werden die Kinder immer anziehen.

An Geschwisterkinder weitergeben?

Weitergeben dürfen die Eltern Schuhe auch, praktisch bei fünf Geschwisterkindern. So schnell, wie der Laufling aus den ersten Tretern rauswächst, können die gar nicht ausgelatscht werden. Das erzählen uns die Schuhverkäufer natürlich anders.

Unser Kolumnist betreibt eine Praxis in Süddeutschland, bloggt unter kinderdok.blog und schreibt alle vier Wochen an dieser Stelle.

Zur Startseite