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Der Schauspieler Bruno Ganz starb am 15. Februar im Alter von 77 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich.

© imago/Sven Simon

Kolumne: Moritz Rinke erinnert sich: Die schönste Stimme im Himmel

Mit Bruno Ganz ging einer der größten Schauspieler seiner Generation, findet unser Kolumnist und erinnert sich an das erste Treffen mit ihm.

Eine meiner ersten Theatererfahrungen machte ich mit Bruno Ganz. Er war 28 Jahre alt, ich zwei. Getroffen haben wir uns im Bremer Theater. Ganz probte mit Peter Stein den „Torquato Tasso“ von Goethe. Meine Mutter hatte in der Stadt zu tun (vermutlich hatte sie ein Date), und jubelte dem Choreografen des Bremer Theaters, mit dem sie auch schon einige Dates gehabt hatte, nun ihren Sohn unter.

„Stell ihn einfach in den Probenraum, es ist gut, wenn der Junge modernes Tanztheater sieht“, habe sie zum Choreografen gesagt, der an diesem Tag „Kriegsanleitung für Jedermann“ probte und das Attentat auf Rudi Dutschke nachstellte – oder Schlimmeres, auf jeden Fall mochte ich das nicht und wurde in die Probe von Peter Stein gesetzt, der als sanfter galt, zumindest in seinen Inszenierungen. Und da hörte ich nun die Stimme von Bruno Ganz.

Wie soll man sich denn an etwas in diesem Alter erinnern? Erstens war ich schon fast drei und zweitens vergisst man so eine Stimme nicht! Bruno Ganz hatte schon damals diese besondere, wie vom Himmel heruntergehauchte. Natürlich saß ich damals nicht im Theater und dachte, oh, das ist aber ein gut sprechender Schauspieler, von dem gucke ich mir noch andere Rollen als den Tasso von Goethe an. Als meine Mutter ihr Date beendet hatte, wollte ich einfach nicht weg.

Der Schauspieler Robert Hunger-Bühler hat zum Tod von Bruno Ganz die Stimme dieses Schauspielers in der „Neuen Zürcher Zeitung“ beschrieben: „Staunend wie ein großes Kind schienst Du Deine Silben jedes Mal auf der Bühne neu zu verfertigen. Deine Vokale konnten gurren und gellen, metallisch und samten, und sie raunen wie Geröll. Deine Konsonanten hingegen schnellen, zischen und streicheln.“

Plötzlich war sie wieder da

1987 war ich das erste Mal in Berlin und sah in den Kant-Kinos „Der Himmel über Berlin“. In dem Film von Wim Wenders und Peter Handke steigen Engel aus dem Himmel als Beobachter der Menschen. Ich hatte keine Ahnung, wer der Schauspieler war, der den Engel Damiel spielte, aber meine Mutter klärte mich später auf. Die Engel Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander, leider auch schon tot) waren so voller Mitleid für die Menschen, dass der Engel von Bruno Ganz sogar seine Unsterblichkeit opferte, um ihnen auf der Erde zu helfen.

Und da war plötzlich wieder diese Stimme, diese schönste Stimme der Welt, aus den frühen Tagen in Bremen. „Als das Kind Kind war, war das die Zeit der folgenden Fragen: Warum bin ich ich und warum nicht du? Warum bin ich hier und warum nicht dort?“

Kurt Hübner, der verstorbene Intendant des Bremer Theaters, erzählte einmal die Geschichte, dass ihm Ganz am Bett vorsprechen musste, weil Hübner Grippe hatte. (Lesen Sie bitte auch Peter von Becker: „Der Engel über Berlin“.). Ganz soll so leise gesprochen haben, vermutlich samtig, streichelnd, dass Hübner ihn bat, immer näher ans Bett zu treten. Am Ende soll er auf der Bettkante den Prinzen von Homburg gesprochen haben. Hübner sagte, er habe ihn daraufhin engagiert. Andere sagen, Ganz habe Angst vor Hübner gehabt und sei nicht ans Bett getreten, sondern hätte dem Kleiderschrank vorgesprochen, worauf ihn Hübner nicht engagieren wollte und nur einer insistierte, Peter Zadek (leider auch schon tot).

Es ist wirklich traurig. Mit Ganz ging wieder einer dieser Generation und vielleicht einer ihrer größten. Und mit ihm auch ein Verständnis für Texte, das einige für zu kunstfertig hielten, aber das man heute kaum noch finden kann.

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