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Ihr Gesicht konnte ganze Gefühlswelten erzählen: Hannelore Elsner starb am Ostersonntag im Alter von 76 Jahren.

© imago/David Heerde

Kolumne: Moritz Rinke erinnert sich: Das sagenhafte Lächeln von Hannelore Elsner

1996 sah unser Kolumnist die Schauspielerin das erste Mal im Theater und war von ihr sofort überwältigt.

„Eko Eko Azarak, Eko Eko Zamilac, Eko Eko Karnayna, Eko Eko Aradia“ – mit diesem Worten trat Hannelore Elsner in mein Leben. 1996 habe ich sie das erste Mal erlebt. Mein Theaterprofessor in Gießen schickte mich in die Frankfurter Aufführung „Eine tot-normale Frau“, inszeniert vom Regisseur Jan Fabre. Das Stück war ein Monolog für Hannelore Elsner, der mit den zitierten wilden Worten begann. Dabei lief sie im schwarzen Kapuzenkleid mit einem Dolch in der Hand an einer Wand entlang und ritzte Zacken ins Bühnenbild.

Der Regisseur, der auch das 90-minütige Monodrama geschrieben hatte, war offenbar nicht nur okkulten Dingen zugeneigt, sondern auch Fantasien, mit denen ich mich als Student bis dahin noch nicht so beschäftigt hatte. Sadomasochistischer, transvestitischer Fetischismus plus matriarchalische Hexenrituale, Cross-Dressing, solche Dinge. Die Schauspielerin hatte ich zuvor nur im Fernsehen gesehen, wo sie als „Die Kommissarin“ Sätze der Kragenweite „Harry, hol schon mal den Wagen“ sagte.

Hannelore Elsner war überwältigend. Mit welcher Hingabe sie spielte und offenbar Dinge in sich zu entdecken bereit war. Tanzend, unfassbare Texte sprechend, ständig mit diesem Dolch beschäftigt. Und sie spielte nicht nur, sie war da! Ihr Gesicht konnte mit Bewegungen der Lippen und Augen ganze Gefühlswelten erzählen. Ihr Lächeln, das sie für einen Augenblick über ein verstörtes Gesicht ziehen ließ, hatte etwas von Caspar David Friedrichs „Eismeer“. „Durch Tod zu neuem Leben“, zumindest formulierte ich das so in meiner Hausarbeit für den Professor.

„Ich ruiniere mich gerade“

Ein paar Jahre später schrieb ich die Moderationstexte für die Eröffnungsgala der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover. Hannelore Elsner sollte die Texte sprechen und zusammen mit Max Raabe durch das Programm führen. Man muss hinzufügen, dass die Organisation der Weltausstellungsgala eine Katastrophe war. Die Bühne war klein, das Protokoll irrwitzig, der Inspizient besoffen, dabei hatte er Legenden wie die Scorpions, den Buena Vista Social Club und eben Hannelore Elsner hinter der Bühne zu koordinieren.

Ich weiß noch, dass die alten Herren vom Buena Vista Social Club aus Kuba in ihren Garderoben weinten, nachdem sie über die Musikinstrumente der Scorpions gestürzt waren. Und dass Birgit Breuel, die Generalkommissarin der Expo, bei ihrer Eröffnungsrede unfreiwillig Menschen in den Orchestergraben schubste, weil 2000 Kinder auf der Bühne herumstanden.

Das war meine Schuld. Ich hatte mir ausgedacht, dass zur Weltausstellung im Jahr 2000 in Hannover eben 2000 Kinder mit einer an der Leine hängenden Weltkugel auftreten müssen, Hannover liegt ja an der Leine (dem Fluss!). Eine irre dämliche Idee, aber der Galamanager war offenbar auch bei der Abnahme meiner Ideen besoffen gewesen.

Die irrsinnigste Szene war, dass es eine von mir viel zu lang geschriebene Anmoderation für Bundeskanzler Gerhard Schröder gab, dieser aber vom Inspizienten ein falsches Zeichen bekommen hatte und viel zu früh auftrat. Elsner moderierte ihn tapfer weiter an, der Kanzler sagte: „Aber Frau Elsner, ich bin doch schon längst hier!“, worauf sie erwiderte: „Das ist mir total egal!“ und weiter anmoderierte. Als es sehr laut wurde und die Scorpions die Bühne demolierten, begann Max Raabe seine Texte zu singen. Hannelore Elsner saß da in der Garderobe vor einem Spiegel, als ich mit einigen Textänderungen panisch zu ihr lief.

„Ich ruiniere mich gerade“, sagte sie leise. Und da war wieder dieses sagenhafte Lächeln, das sie für einen Augenblick über ein verstörtes, wundervoll schönes Gesicht ziehen ließ.

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