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Fest der Liebe? Für viele Menschen ist Weihnachten vor allem eine logistische Herausforderung.

© imago/Westend61

Kolumne: Angie Pohlers sucht die Liebe: Wie Weihnachten feiern, ohne dass einer unglücklich ist?

Wer liebt, leidet. Nie stimmt dieser Satz mehr als an den Feiertagen.

Das Bier hat sicher einen Anteil. Davon hat Julian einiges intus, als er über sein Vorweihnachtsdrama berichtet. Das Elend der Welt lastet auf ihm, dabei könnte alles so schön sein: Er hat eine sechsjährige Tochter, versteht sich noch gut mit der Mutter, will bald seine neue Freundin heiraten. Außerdem sind da die Eltern in Erfurt sowie eine 92-jährige Uroma. Und diese Gemengelage ist auch das Problem, dessen Lösung auf keinem Bierglasboden der Welt zu finden ist. „Wie“, ächzt Julian, „wie nur soll man mit allen Weihnachten feiern, ohne dass einer unglücklich ist?“ Von wegen Valentinstag. Das ultimative Fest der Liebe ist Weihnachten – merkt man schon daran, dass drumherum alles so kompliziert ist. Und damit meine ich nicht die Geschenksuche oder eine gelungene Gans. Partner, Kinder, Eltern, Geschwister und was der Verwandtenkreis sonst so hergibt, alle müssen in einem strengen Zeitplan innerhalb von drei Tagen getaktet werden, wobei unbedingt zu beachten ist, dass sich niemand benachteiligt fühlt. Weniger Zeit heißt während der Feiertage nämlich für viele: weniger Liebe. Es gilt, Distanzen zu überwinden, räumliche wie emotionale, von Berlin nach Stuttgart, weiter nach Flensburg, zur Familie des Sohnes des neuen Mannes der Mutter. Weil man das Weihnachten eben so macht. Und bitte recht besinnlich lächeln!

Alles schwieriger in diesem Jahr

Julians Gesicht hingegen verzieht sich unter Qualen. Er braucht noch einen Schluck, fängt von vorne an. Die Kleine verbringt jedes zweite Weihnachten bei ihm, dieses Jahr wieder mal. Julian, vor allem aber seine Eltern, freuen sich wie verrückt darauf. Normalerweise packt er das Kind ins Auto und rauscht die A9 hinunter. Braten, Absacker, sleep, repeat. Nach drei Tagen geht es zurück Richtung Berlin.

Alles schwieriger in diesem Jahr, denn jetzt gibt es Maren – nach seiner Tochter die zweitwichtigste Frau in Julians Leben. „Eigentlich meinte sie immer, Weihnachten sei ihr nicht so wichtig“, murmelt er in sein Glas. Eigentlich.

Schon im Sommer sagte er Maren, dass es schön wäre, wenn sie mitkäme. Doch dann wurde ihr Name in der Klinik aus dem Lostopf gezogen. Nachtschicht an den Feiertagen. Und sie ganz allein in Berlin. „Unmöglich, dass meine Eltern zu uns kommen. Oma schafft es nicht bis in den vierten Stock.“ Und zu dritt in Berlin bleiben? „Meine Eltern wären so enttäuscht.“ Also doch Erfurt? „Maren meint, ich würde meine Eltern ihr vorziehen. Ist natürlich Quatsch, aber sie denkt es.“ In meinem Kopf dreht sich alles, in Julians sowieso. Wir stoßen an.

Familie verpflichtet

Wer liebt, leidet. Nie stimmt dieser Satz mehr und für größere Teile der Bevölkerung als an den Feiertagen. Gerade in der Zugezogenen-Metropole Berlin dürften sich viele Paare fragen: Zu dir oder zu mir? Oder ganz woanders hin?

Ein anderes Paar, das ich kenne, entzieht sich den Erwartungen und Traditionen zumindest Heiligabend und würde den Tag gern mit Freunden verbringen. Auch eine Idee. Allein, niemand sonst wagt es, Familie verpflichtet. Und eine Kollegin, die zuletzt bei den Eltern ihres Mannes feierte, rief nachmittags heulend ihre Mutter an: Die machen die Bescherung ohne Glöckchen, das ist doch kein Weihnachten!

Julian und Maren haben sich einen Abend lang gezofft, dann wochenlang nicht über das Thema gesprochen. „Jetzt hat sie es irgendwie verstanden. Zumindest sagt sie das.“ Er und seine Tochter fahren nach Erfurt. Und im nächsten Jahr entscheidet Maren. Zu verstehen, dass man nicht alles haben kann, ist auch ein Geschenk.

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