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Bildschirm an Bildschirm. Mit langen Skypesitzungen lässt sich die Distanz etwas überbrücken.

© imago/Westend61

Kolumne: Angie Pohlers sucht die Liebe: Hört auf, Fernpaare zu bemitleiden

Warum wir aus bloßer Entfernung keine Horrorvision machen sollten.

Vier Tage haben sie miteinander verbracht. Vier Tage haben gereicht. Nun ist meine Freundin Bianca mit einem Kanadier zusammen, der in Island lebt, wo sie ihn kennengelernt hat, als sie im September mit Rucksack und Zelt auf der Insel unterwegs war. Berlin – Isafjördur: 2500 Kilometer Luftlinie. Von Reykjavik, wo sich der einzige internationale Flughafen des Landes befindet, sind es mit dem Auto gut fünfeinhalb Stunden bis zu den Westfjorden. Die Distanz versuchen die beiden mit einem Whatsapp-Dauergewitter und Skypesitzungen zu überbrücken. Fernbeziehung für Fortgeschrittene. Sind die eigentlich wahnsinnig, könnte man sich fragen. Also, ich habe mich das gefragt.

Mittlerweile erscheinen mir meine Zweifel altbacken. Als ob es Beziehungen gäbe, die frei von Schwierigkeiten sind! Bei den einen sind es unterschiedliche Vorstellungen von Sauberkeit und Erziehung, bei den anderen Eifersucht und wachsendes Desinteresse. Bei Fernbeziehungen ist es die räumliche Entfernung – zugegebenermaßen kein kleines Problem, wenn man bedenkt, was ein Kuss nach einem unbedachten Wort bewirken kann, oder was es heißt, die Füße wohlig auf dem Schoß des anderen abzulegen, während man „Weihnachtsgeschenke für Mama“ googelt. Das, wovon viele zu viel haben, fehlt den Fernpaaren: schnöder Alltag.

Routine ist ein großer Feind der Liebe

Dafür wird die Phase des Kennenlernens – das ist natürlich die beste Phase – in die Länge gezogen. Klar, man kann die gemeinsame Liebe zu Gangster-Rap und die schlimmsten Kindheitstraumata auch via Skype ausführlich diskutieren. Doch die Aufregung, wenn man sich leibhaftig gegenübersteht, nutzt sich so schnell nicht ab, wenn meistens zwei Bildschirme dazwischengeschaltet sind und man sich nur alle paar Wochen oder sogar Monate sieht. Umso größer ist dann die Vorfreude, wenn es soweit ist – wahrscheinlich mit nichts vergleichbar, was Paare erleben, die in derselben Stadt leben. Sich zu sehen wird da schnell normal. Ein großer Feind der Liebe war ja schon immer die Routine, fähig eine Beziehung vom reißenden Strom in ein traurig dahinplätscherndes Rinnsal zu verwandeln.

Distanzpaare leben eindeutig intensiver: Jeder hat mehr Zeit für sich und für das Leben außerhalb der Beziehung. Freundschaften werden weiterhin gepflegt. Und in den kurzen Phasen des Wiedersehens ist man dann voll präsent.

Fernbeziehungen sind kein Randphänomen

Ist das wirklich so viel schlechter, müssen sie dafür bemitleidet werden? Es gibt eine ganze Reihe von Ratgeberbüchern, Blogs und Social-Media-Accounts, die sich dem Thema Fernbeziehung widmen, viele haben den „Wir schaffen das“-Duktus einer Selbsthilfegruppe. Da werden Ratschläge ausgetauscht (Unerwartete Geschenke machen! Zeit einplanen, um Probleme zu besprechen!), Fernbeziehungsapps empfohlen, die ernsthaft den aktuellen Aufenthaltsort des Partners (und das Wetter dort) anzeigen, neue Produkte bekannt geben – etwa „Frebble“, ein ergonomisch geformtes Kunststoffteil, mit dem das Gefühl des Händchenhaltens schnurlos übertragen wird. Ganz so verzweifelt sind Fernpaare wohl doch nicht, „Frebble“ hat es jedenfalls nie zur Marktreife gebracht.

All das zeigt zumindest: Fernbeziehungen sind kein Randphänomen. Eine aktuelle Umfrage der Datingplattform Elitepartner unter 4000 Liierten und Singles hat ergeben, dass 43 Prozent der Befragten schon mal mit jemandem zusammen waren, der in einer anderen Stadt oder im Ausland gelebt hat.

Anstatt die bloße Entfernung zu einer Horrorvision zu machen, sollten wir uns vielleicht einfach mal freuen. Die Welt ist mit Bianca und ihrem kanadischen Isländer ein Stück romantischer geworden.

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