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Das "Monaco" im Stadtteil El Poblado bewohnte Escobar bis 1988, als das rivalisierende Cali-Kartell eine Bombe vor der Tür hochgehen ließ. Heute verfällt das Gebäude.

© Eduardo Leal/4SEE/laif

Kolumbien: Drogen- Trip

Pablo Escobar galt als größter Drogenhändler aller Zeiten. 23 Jahre liegt sein Tod zurück. Jetzt wandeln Touristen in Medellín auf seinen Spuren.

Der Wachmann schaut demonstrativ zur Seite. Noé geht voran. Stämmig, im blau karierten Flanellhemd, mit festen Schritten. Es geht über einen ungepflegten Plattenweg, vorbei an einem zugeschütteten Pool, einer verbogenen Parabolantenne, zweieinhalb Meter im Durchmesser. Aus dem Garten ragt ein achtstöckiger Betonbau in den Himmel von Medellín. Als das Gebäude noch bewohnt war, lebte hier genau eine Familie. An der Fassade sind die Schatten längst entfernter Messingbuchstaben zu erkennen: „ESCOBAR“.

Das 800-Quadratmeter-Gebäude – das „Monaco“ – war Mitte bis Ende der 1980er Jahre das Zuhause des Drogenbosses Pablo Escobar. Eigentlich darf man es gar nicht betreten. Doch Noé hatte den Wachmann mit einem langen Händedruck begrüßt. Dabei hatte es vernehmlich geknistert ....

Noé führt von Stockwerk zu Stockwerk, als organisiere er eine Wohnungsbesichtigung. „Pablo vive“ hat jemand mit Edding über eine der verkanteten Aufzugtüren geschrieben. „Pablo lebt“. Noé winkt ab. „Die Idioten sterben offensichtlich nicht aus.“

Escobar hat Medellin berühmt gemacht und gleichzeitig isoliert. Seinen Anschlägen fielen tausende Menschen zum Opfer, Kriminelle und Unbeteiligte, Richter und Journalisten, selbst einen amtierenden Minister ließ er ermorden – die Kolumbianer nannten Medellín die „Hauptstadt der Angst“.

Die Stadt ist viel sicherer geworden

Lange hat sie darum gekämpft, ihr gewalttätiges Image abzustreifen. Die Arbeit der Polizei hat sich verbessert. Medellín hat Seilbahnen und Straßenbahnen in die Slums an den Berghängen gebaut. Soziale Initiativen eröffnen Schulen und helfen den ärmsten Bewohnern, sich eine Existenz jenseits des Drogenhandels aufzubauen. 2016 gewann die Stadt einen internationalen Stadtentwicklungspreis, den schon Bilbao und New York bekommen hatten.

Die Veränderung ist immens. Medellín ist viel sicherer geworden.1991, noch zu Escobars Lebzeiten, wurden in Medellín 7273 Menschen ermordet – doppelt so viel wie heute im venezolanischen Caracas, der aktuell gefährlichsten Stadt der Welt. In der Liste der 50 gefährlichsten Städte taucht Medellín – und darauf sind die Bewohner stolz – seit Neuestem gar nicht mehr auf.

Im Antioquia-Museum hängen Gemälde von Picasso, Frank Stella und Rauschenberg, auf dem Vorplatz lehnen sich Spaziergänger wie selbstverständlich an Skulpturen Fernando Boteros, der nur ein paar Straßen weiter aufgewachsen ist. Einheimische zeigen auf Streetart-Touren internationalen Touristen Graffiti, bevor sie zusammen in den Kneipenvierteln feiern.

El Poblado liegt abseits des Zentrums von Medellín.
El Poblado liegt abseits des Zentrums von Medellín.

© mauritius images

In jedem Hotel werden die Escobar-Touren angeboten

Es gibt viele Gründe, die Zwei-Millionen-Metropole zu besuchen. Aber die Touristen wollen eben auch – Pablo. Seit es die Netflix-Serie „Narcos“ gibt, ist es noch extremer geworden, sagt Noé.

Der Tourismusverband in Medellín bewirbt die Escobar-Touren nicht. Doch die Touristen finden sie auch so. In jedem Hostel und Hotel werden sie angeboten als eine unter vielen Attraktionen, neben Gleitschirmfliegen, Architekturführungen und Ausflügen zum Guatapé-Felsen.

Noé weiß um die Faszination, die Escobar auf viele Menschen ausübt. Er kennt „Narcos“, durch die das brutale Leben Escobars zu einem Stück Popkultur geworden ist. Die Serie kam in Kolumbien nicht besonders gut an. Der Hauptdarsteller Wagner Moura ist Brasilianer, und kaum einer der Schauspieler spricht kolumbianisches Spanisch. Überhaupt finden viele, der Blickwinkel sei zu amerikanisch, Kolumbien werde viel zu klischeehaft dargestellt.

Noés Tour führt vor allem durch El Poblado, einen Stadtteil abseits des Zentrums. Mit 110 000 Einwohnern ist El Poblado so groß wie eine Stadt, hat sein eigenes Zentrum und Shopping-Malls. Hochhäuser ziehen sich die Hügel hinauf. In den grünen Seitenstraßen reihen sich heute Bars, Hostels und Restaurants aneinander. Schon immer wohnten hier Leute mit Geld, und schon immer war dies der sicherste Stadtteil Medellíns.

Seine Flugzeugflotte schaffte massenhaft Kokain außer Landes

Escobar, aufgewachsen im Tal, im ärmeren Stadtteil Envigado, trieb der Wille her, den besseren Kreisen anzugehören. Doch gerade im armen Envigado, erklärt Noé, habe Escobar bis heute viele glühende Verehrer. Der Kokain-Milliardär kaufte sich mit Krankenhäusern, Schulen und Sozialwohnungen in die Herzen der Menschen.

Als Escobar im Monaco lebte, war er bereits einer der reichsten Männer der Welt. Die Forbes-Liste führte ihn Ende der 1980er Jahre mit einem geschätzten Vermögen von drei Milliarden Dollar als einen der reichsten Menschen der Welt. Da hatte er bereits eine Karriere vom ambitionierten Kleinkriminellen zum skrupellosen Großkriminellen und Möchtegernpolitiker bis schließlich zum Autobomben legenden Terroristen hinter sich. Escobar, Chef des Medellín-Kartells, hatte den Drogenhandel im großen Stil professionalisiert wie niemand vor ihm. Die Parabolantenne im Garten diente der Koordination seiner Flotte von Kleinflugzeugen, mit denen er massenhaft Kokain außer Landes schaffte.

Das Gebäude liegt in Santa María de los Ángeles, einer der exklusivsten Ecken im Stadtteil El Poblado. Auf der großen Dachterrasse hat Escobar seine Feste gefeiert, demonstrativ in Sichtweite eines Clubs zwei Straßen weiter, der ihn nicht hatte aufnehmen wollen.

"Er war trotzig wie ein Kind"

Einfamillienhochhaus. Man darf den achtstöckigen Betonbau eigentlich gar nicht betreten.
Einfamillienhochhaus. Man darf den achtstöckigen Betonbau eigentlich gar nicht betreten.

© Eduardo Leal/4SEE/laif

Noé steigt über einen Haufen Schutt im sechsten Stock. Überall im Gebäude sind Decken, Wandverkleidungen und Fliesen aufgebrochen, offenbar auf der Suche nach Geld, Gold und Drogen. Die Böden sind übersät mit Trümmern, Leisten und Glassplittern. Der Marmor aus den Badezimmern – längst abtransportiert. Nachdem am 13. Januar 1988 eine 80-Kilo-Autobombe des rivalisierenden Drogenkartells aus Cali vor dem Monaco hochging, verließ die Escobar-Familie das Gebäude. Danach wurde es geplündert.

Danach nahm sich die Drogenaufsicht Kolumbiens des Monacos an und überstellte es 1989 einer christlichen Drogen-Reha-Organisation. Seither wechselten Eigentümer und Mieter. Das Monaco beherbergte unter anderem das Militär, Bananenexporteure, Krankenkassenbüros, einen Lederhändler, eine Reederei und eine Anwaltskanzlei. Als im Jahr 2000 Pläne laut wurden, dass die Staatsanwaltschaft hier einziehen würde, ging eine 40-Kilo-Bombe am Eingang hoch. In den letzten Jahren stand das Monaco leer.

Noés nächster Stopp ist eine Polizeistation, vor der Escobar eine Autobombe hochgehen lassen wollte – doch mangels Parkplatz stellen seine Leute das Auto 50 Meter weiter ab, direkt vor einer Schule. „Es war ein Wunder, dass dabei niemand ums Leben kam“, sagt Noé. Und er zeigt uns ein Einkaufszentrum, das Escobar, aus purem Trotz, gegenüber einem anderen Einkaufszentrum bauen ließ, weil ihn dessen Investoren nicht im Boot haben wollten. „Escobar war einer der gefährlichsten Männer der Welt, und er war trotzig wie ein Kind“, sagt Noé.

Medellín ist weiterhin Kolumbiens Kokain-Hauptstadt

Auch wenn der Kartellchef bereits 23 Jahre tot ist – die Wunden sind noch nicht verheilt. An der Kurve einer Schnellstraßenauffahrt befindet sich an einem Felsen die Pilgerstätte der „Jungfrau der mystischen Rose“. Ein Dutzend Stufen führt zu einer Marienfigur, die Wände, Stufen und Säulen sind über und über beklebt mit kleinen Plaketten, auf denen Gläubige Wünsche formuliert haben. „Hierher zog es in den 80er und 90er Jahren die Auftragskiller, die für Escobar arbeiteten“, sagt Noé. Sie kamen mit ihren Patronen und baten darum, wie viele andere Menschen auch, dass sie ihre Arbeit mit Erfolg erledigen würden. „La vírgen de los sicarios“ nannten die Bewohner den Ort, „Die Jungfrau der Killer“.

Die Plaketten, die Escobars Mitarbeiter damals anbrachten, sind inzwischen längst entfernt. „Die Menschen möchten nicht an ihn erinnert werden“, sagt Noé.

Denn auch wenn Medellín heute sicher erscheint, so ist die Stadt weiterhin Kolumbiens Kokain-Hauptstadt. Das Business hat sich allerdings geändert. „Die Mafia hat sich praktisch unsichtbar gemacht“, sagte Óscar Naranjo, Ex-Chef der kolumbianischen Bundespolizei, einmal. Die Zeiten der hierarchischen Großorganisationen mit einem großen Boss sei vorbei. Heute tummeln sich in dem Geschäft viele Einzelkämpfer, die wenig Kontakt untereinander haben. „Die Drogenhändler von heute, zum Teil Söhne der Pioniergeneration, die noch mit Escobar zusammengearbeitet hat, sind eher mit einem iPad bewaffnet als mit einer Uzi“, schrieb die Zeitung „El Espectador“.

Er versuchte über das Dach zu fliehen - und wurde erschossen

Drei Stunden hätte Noés Tour dauern sollen, inzwischen sind es vier. Doch er hat noch ein paar Orte, die er unbedingt zeigen will. Den Friedhof Montesacro etwa. Escobars Grab mit der kleinen, in den Boden eingelassenen Platte. Die Blumen darauf: frisch.

Enden soll die Tour, wo auch das Leben des Drogenbosses endete: an dem Haus in Los Dauces, das Escobar zuletzt als Versteck diente. Ein unscheinbarer, dreistöckiger Betonbau mit Natursteinfassade, die Fenster vergittert. Das Haus wird heute als Massagesalon genutzt.

Noé kramt sein Handy hervor und zeigt Fotos aus dem Inneren: Im ehemaligen Schlafzimmer hängt ein Foto Escobars über dem Bett. Es zeigt ihn mit Anzug, Krawatte und Schnurrbart, geradezu freundlich blickend. Der Mann könnte Autohändler sein. Als er hier seine letzten Tage verbrachte, sah er ganz anders aus. Ungepflegt, aufgedunsen. Und offensichtlich war er in seinem Versteck einsam. Escobar flog auf, als er am 2. Dezember 1993, am Tag nach seinem Geburtstag mit seinem Sohn telefonierte. Die Polizei, inzwischen aufgerüstet mit CIA-Knowhow, konnte das Signal orten und schlug zu. Escobar versuchte noch über das Dach des Nachbargebäudes zu fliehen, doch er wurde erschossen.

Eine ältere Dame, die ihre Einkäufe nach Hause trägt, zischt Noé im Vorbeigehen etwas zu. Die Touristen, so viel ist zu verstehen, sollen zu Hause ihre eigenen Verbrecher begaffen.

Reisetipps für Medellín

ANREISE

Lufthansa, Air France, KLM, Avianca und andere Airlines fliegen von Europa aus direkt nach Bogotá. Von dort ist es eine weitere Flugstunde nach Medellín. Hin- und Rückflug kosten etwa 800 Euro.

ÜBERNACHTEN
Wer direkt in El Poblado übernachten möchte, kann im schicken 5-Sterne-Hotel Carlton Medellín einchecken (Carrera 43 No. 7-50 Av. El Poblado, danncarlton.com). Wer es günstiger mag und keine Hunde- oder Katzenhaar-Allergie hat, wird glücklich im The Garden of Blues Hostel (Carrera 34 No.7-46, thegardenmedellin@gmail.com).

PABLO-ESCOBAR-TOUREN
Die Touren werden in vielen Hostels und Hotels beworben. Ein Vorbuchen vor der Anreise ist nicht notwendig.

WEITERE INFORMATIONEN
Über alle anderen Aktivitäten in Medellin informiert: www.medellin.travel

Martin Kaluza

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