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In luftiger Höhe verläuft der knapp vier Kilometer lange Klettersteig Ferrata delle Aquile.

© mauritius images / ClickAlps

Kletterabenteuer in Trentino: Steil gehen

Ständig am Abgrund, großartige Perspektiven. Auf dem Adlerklettersteig am Paganella-Massiv sind Trittsicherheit und gute Ausrüstung ein Muss. Unser Autor hat nicht nur einen Haken.

Die ersten Schritte waren einfach. Doch jetzt hängt man da, rücklings, die Füße auf einen schmalen Sims gestellt, mit den Händen ein Stahlseil umklammernd, den Hintern mehrere Hundert Meter tief überm Abgrund. Und obwohl es gegen jede Vernunft geht, fühlt es sich nicht gefährlich an. Das liegt einerseits an der doppelten Sicherung am Stahlseil, andererseits an Claudio Kerschbaumer.

Der 54-Jährige ist Bergführer im norditalienischen Trentino. Als Kletterer war er schon in der ganzen Welt unterwegs, hat Kunden auf den Kilimandscharo begleitet, in die Anden, nach Kanada. Nur so zum Spaß ist er von Argentinien bis Alaska mit dem Fahrrad gereist und hat unterwegs so ziemlich jeden Gipfel entlang der Route erklommen.

Als er mal an der Eiger-Nordwand in den Berner Alpen hing und plötzlich ein Stein von oben auf seine Schulter krachte, kletterte er einfach wieder runter, meist einarmig, der andere Arm war ja vorübergehend unbrauchbar geworden.

Die Dolomiten rund ums Paganella-Massiv sind bloß Kerschbaumers Vorgarten. Gleichzeitig gehören die Berge zu den beliebtesten Skiregionen der Alpen, seit einigen Jahren versuchen Tourenanbieter hier, auch andere Sportarten populär zu machen.

Leiter und Hangebrücken

Es ist beruhigend, jemanden wie Kerschbaumer an der Seite zu haben, wenn man einen Klettersteig geht, der quasi das Sandwichkind unter den Bergsport-Geschwistern ist. Die große Schwester – Klettern – auf der einen Seite, die sich alles selbst erarbeiten muss, weil es keine ausgetretenen Pfade gibt. Der kleine Bruder, das Wandern, dagegen hat es leicht, weil die Großen die ungemütlichen Routen zu entspannten Spazierpfaden ausgearbeitet haben.

Der Klettersteig muss sich zwischen beiden behaupten. Und der zunehmenden Beliebtheit bei Urlaubern nach zu urteilen, macht er das ganz gut. Die Pfade sind präpariert, aber schmal und oft steil, man geht an Leitern, die in den Fels geschlagen wurden, balanciert über frei schwingende Hängebrücken und braucht viel häufiger seine Arme als beim üblichen Wandern. Die gesamte Zeit ist man dabei mit einem Stahlseil und zwei Karabinern gesichert.

„Hier geht’s los“, sagt Kerschbaumer nach einem kurzen Fußmarsch von der Bergstation Paganella. Er zurrt das Geschirr fest, klopft auf den Helm, ob der richtig sitzt, und entschuldigt sich fürs Gähnen. Könnte daran liegen, dass es einigermaßen früh ist, kaum acht Uhr rum, die Sonne ist schwach.

„Die erste Gondel ist am besten. Dann ist niemand vor einem am Klettersteig, der dich aufhalten kann“, erklärt der Bergführer und bittet darum, ihn nur mit Vornamen anzureden. Dass man selbst derjenige sein könnte, der in den kommenden zweieinhalb Stunden andere aufhält, kommt ihm gar nicht in den Sinn.

Viele Anweisungen gibt er nicht, das meiste erklärt sich von selbst. Das Stahlseil führt wie ein Wegweiser den Steig entlang – die Strecke ist aus Sicherheitsgründen eine strikte Einbahnstraße. Die Wanderer haken sich mit Karabinern ein. Alle paar Meter ist eine Öse in die Wand geschlagen, die das Seil hält.

Dann muss man sich an den nächsten Abschnitt umhängen. Deshalb der zweite Karabiner – einen nach dem anderen, damit die Wanderer nie den Kontakt zum Seil verlieren. Klick. Klack. Gefühlt hundertmal. Das ist fast der anstrengendste Teil der Tour.

Der Gardasee liegt in der Nähe und gilt als schönes Ausflugsziel von den Dolomiten aus.
Der Gardasee liegt in der Nähe und gilt als schönes Ausflugsziel von den Dolomiten aus.

© imago images / Action Pictures

Der knapp vier Kilometer lange „Ferrata delle Aquile“, der Adlerklettersteig, wurde erst 2016 eröffnet, liegt auf der Südseite des Berges und kann deshalb von März bis Oktober begangen werden, manchmal sogar im Winter. Der Steig fällt in die Kategorie „mittelschwer“, wählt man an zwei Einstiegsstellen die komplexere Route, steigt das Level auf „schwer“. Das heißt, die Griffmöglichkeiten werden kleiner, die Pfade enger, man braucht häufiger die Arme, die Passagen werden steiler. Also eher für Fortgeschrittene ohne Höhenangst geeignet.

Über einen Kilometer Gesamtlänge geht es zunächst auf der normalen Route 200 Meter abwärts. Das ist der technisch anspruchsvollere Teil, „Bloß nicht nach unten schauen!“ wäre hier ein dummer Rat. Manchmal muss man die nächste Trittstufe mit den Füßen ertasten, dann wiederum sind die Schritte so groß, dass man sich sorgt, kleinere Menschen könnten sich die Leiste zerren.

Dazu ist der Helm da!

Claudio merkt das gar nicht, nicht mehr jedenfalls. Er schätzt, den Weg schon etwa tausendmal in den vergangenen drei Jahren gegangen zu sein. Selbst wenn das vermutlich eine Übertreibung ist, so ist es für ihn doch ungefähr so herausfordernd wie für andere der morgendliche Gang zum Bäcker.

Für den weniger routinierten Wanderer ist das ein Vorteil, weil der Bergführer viel Zeit hat, in die Landschaft zu gucken und dabei Gämsen zu entdecken, die weit unten scheinbar streichholzkopfgroß grasen, oder das Panorama 2000 Meter über dem Meeresspiegel zu erklären.

Man blickt aufs Brentatal, von dem Claudio in seiner unterkühlten Art schwärmt, dass es da einen sechstägigen Klettersteig von Hütte zu Hütte gebe, man sieht auf Trient mit seiner wenig pittoresken Skyline aus Lagerhallen und Wohnhäusern. Und man schaut auf ein trübes Grau aus Wolken, die trotz guten Wetters dort hängen, wo man an sehr klaren Tagen den Gardasee sehen könne, wie Claudio versichert.

Immer wieder hat der Adlersteig Passagen, an denen man sicher gehen kann. Man fühlt sich gleich komfortabel, bis man im nächsten Augenblick den Kopf an einer niedrigen Stelle stößt. Dafür ist also der Helm! Zuvor wirkte der albern, als würde ein Stück Plastik einem helfen, einen freien Fall von mehr als 100 Metern schadlos zu überstehen.

Unser Autor hat sich eingehakt.
Unser Autor hat sich eingehakt.

© Christian Vooren

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Fotos von der Landschaft, von schroffen Felsformationen und grünen Tälern, an anderen Stellen übernimmt lieber Claudio selbst die Aufgabe, seine Schützlinge möglichst spektakulär in Szene zu setzen. Das ist auch besser so, als Laie hantiert man ungern mit der Kamera, wenn man beide Hände am Seil braucht.

Außerdem wäre das mit Handschuhen gar nicht so einfach, und die sind so nötig wie Helm und Geschirr, schließlich krallt man sich die ganze Zeit ans Stahlseil. Selbst Claudio, der sonst nicht sonderlich viel von Sicherheitsvorkehrungen zu halten scheint, schützt seine Hände. Zumal er sich vor wenigen Monaten versehentlich mit einer Kettensäge in die eine geschnitten hat. Er zeigt die Narbe mit dem Stolz eines kleinen Jungen.

Eine Bank an der Kante

Nach der Hälfte der Tour geht es wieder bergauf zum Gipfel. Aufwärts ist es einfacher, weil man die Route besser überblicken kann. Dafür haben sich die Klettersteigbauer hier ein paar nette Spielereien überlegt. Die zwei frei schwingenden Brücken etwa, die man auf einem schmalen Streifen balancierend überquert.

Eine Bank, die so frei an der Kante steht, dass man sich sogar im Sitzen für eine kurze Pause sichert. Und dann ist da noch die komplexe Passage, in der man an einem von oben herabhängenden Seil von links nach rechts pendelt. Claudio findet jedoch, das sollten wir heute lieber lassen. Er meint, dass er dafür zu müde sei.

Langsam glaubt man, den Rhythmus gefunden zu haben. Da sagt Claudio: „Wir sind am Ziel.“ Das hat gerade mal eine Stunde und 45 Minuten gedauert, angekündigt waren zwei bis zweieinhalb Stunden. Dass es so schnell ging, lag natürlich an Claudio. Immerhin ist jetzt ein bisschen mehr Zeit, um auf der Hütte einzukehren.

Im „Refugio di Roda“ treffen sich die Wanderer, Kletterer und Mountainbiker der Region. Langsam wird Claudio bei Aperitivo, Wurstplatte, Wein und Kaiserschmarrn wach, während sich bei einem selbst Erschöpfung bemerkbar macht. Wohl, weil der Adrenalinspiegel absinkt, der bei Claudio noch gar nicht hoch war. Von der Terrasse der Hütte blickt man rüber auf die andere Seite des Tals, auf die Berge des Brentagebirges. Beim Espresso vor der Heimfahrt der Entschluss: In der nächsten Saison geht es nach Brenta auf die Sechs-Tages-Tour.

HINKOMMEN:
Mit der Bahn über München bis Trient, wem das zu lang ist, kann in Bayern einen Zwischenstopp einlegen. Vier Stunden bis München, von dort weitere fünf Stunden bei tollem Panorama. Tickets ab 50 Euro pro Strecke. Vor Ort empfiehlt sich ein Mietwagen. Alternativ mit Lufthansa ab Juli bis Verona, ab 255 Euro. Bitte lesen Sie auch die Reisehinweise auf auswaertiges-amt.de.

UNTERKOMMEN:

Das Hotel Sassdei in Andalo liegt direkt am Fuß der Bergbahn, von dort nur wenige Schritte bis zum Einstieg in den Klettersteig. Ab 150 Euro pro Nacht, mindestens vier Nächte Aufenthalt, hotelsassdeiandalo.it.

RUMKOMMEN:
Geführte Touren über den Klettersteig können Interessierte ab 90 Euro buchen, die Ausrüstung ist im Preis inbegriffen, mehr unter visitdolomitipaganella.it. Die Reise wurde unterstützt von Visit Trentino.

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