zum Hauptinhalt
Kein Schreibtisch, kein Fenster, keine Minibar. Wer das „do-c“ bucht, will nur eins: schlafen.

© Jochen Overbeck

Kapselhotels in Japan: Auf engem Raum in Waben übernachten

Diese Idee steht für das effiziente Japan. In Kapselhotels lernen Gäste, wie das Land schläft.

Um drei Uhr nachmittags sitzen ein paar Menschen vor einer Sperrholzwand in Tokio und warten auf die Nacht. Alle tragen mausgrauen Einheitsdress, den Schlafanzug, den es in jedem sogenannten Kapselhotel gibt – und den Japaner in dem Moment anlegen, in dem sie die Unterkunft nicht mehr verlassen möchten.

Das Kapselhotel ist eine Besonderheit des Landes, gehört zur touristischen Folklore wie die Schneekuppe des Fuji und die bunten Gewänder der Geishas. Ähnlich einem Bienenstock schlafen die Menschen in Kojen über- und nebeneinander. So soll ein flexibles Zusammensein entstehen. Als 1979 in Osaka das „Capsule Inn“, das erste Kapselhotel des Landes, eröffnete, symbolisierte es eine neue Designideologie. Als Entwurf des japanischen Architekten Kisho Kurokawa war es von der Idee des Metabolismus beeinflusst, von der Übernahme natürlicher Strukturen in den Städtebau – in diesem Fall des Wabenprinzips. Die Unterkünfte stehen für das effiziente Japan, für Innovation und Rationalisierung.

Jenseits aller Ideologien kommen sie großgewachsenen europäischen Männern einer Herausforderung gleich. Einen guten Meter ist die Kapsel hoch, etwa ebenso breit, zwei Meter lang. Beherztes Räkeln kann man vergessen. Eine Jalousie verschließt die Koje zum Gang hin. Im Inneren ist jede Kante abgerundet, es liegt Bettwäsche bereit, dazu ein Stoffbeutel mit allem, was man für die Nacht braucht. Handtücher, ein Waschlappen, Zahnbürste und -pasta. Und eben ein Schlafanzug oder Bademantel.

Das Wabenschlafen ist das Gegenteil vom Ryokan

So wie im „do-c“, einem neu eröffneten Kapselhotel in Tokio. Es befindet sich mitten in Ebisu. Ein angesagter Stadtteil mit vielen Restaurants und Kneipen, auf eine angenehme Art und Weise gediegen, vielleicht: Prenzlauer Berg trifft New York. Die Kanalstraßen von Meguro, an denen im Frühjahr die Kirschbäume so schön blühen wie in nur wenigen Ecken der japanischen Hauptstadt, sind zehn Fußminuten entfernt, auch nach Shibuya mit seiner aus dem Film „Lost In Translation“ bekannten Riesenkreuzung kann man bequem laufen.

Draußen vor der Tür viel Neon, drinnen eine schmucklose Lobby. Nur ein Getränkeautomat, der ausschließlich Wasser bevorratet, bietet etwas Abwechslung. Der Saunabereich ist wie die Schlafbereiche zweigeteilt, Männer und Frauen haben ihre eigenen Stockwerke. Die Kapseln mit ihrem vanillefarbenen Inneren gruppieren sich um schmale Gänge, immer zwei übereinander, insgesamt an die 40 pro Stockwerk.

Das Wabenschlafen stellt das Gegenteil dar zum Ryokan, der klassischen japanischen Herberge. Dort liegen Gäste auf dünnen Futons, der Boden ist mit Tatamis ausgelegt, traditionellen Reisstrohmatten, die Schiebewände sind aus dünnem Reispapier. Man hat Luft um sich, viel Luft.

Es müffelt unangenehm nach Schweiß

Obwohl die Kapsel im „do-c“ eng ist, überkommt einen keine Platzangst. Eigene Wabe, eigene Welt. Retrofuturistisch, ganz so, als wäre sie aus einem alten Science-Fiction-Film in die Wirklichkeit geworfen worden. Aber auch angenehm eigenschaftslos. Kein Nachttisch, kein Ständer mit Tourismusbroschüren, kein Schreibtisch lenkt vom eigentlichen Grund der Anwesenheit ab. Da ist kein Fenster, das doch nur zum Hinterhof hinausgeht. Keine Minibar, aus der man ein letztes Bier nimmt, das man am nächsten Morgen bereut. Wer das „do-c“ gebucht hat, will schlafen, und das klappt verblüffend gut.

Die Außenwelt weht trotzdem hinein in die zwei Kubikmeter Privatsphäre, zunächst akustisch. Einmal wacht man vom Kinderlachen auf. Der Herr in der Nachbarkapsel telefoniert leise, aber vernehmlich mit seiner Familie. Irgendwann poltern zwei Skandinavier reichlich angetrunken in den Schlafraum, Ebisu ist für seine Kneipen bekannt. Jemand schnarcht, das ist jedoch eher beruhigend. Ein Meeresrauschen, wenn man nur fest genug daran glaubt.

Doch es riecht streng. Liegt wohl an den vielen Backpackern, die sich im „do-c“ aufhalten. Die Kombination aus Sperrholz, Beton und Jungsschweiß erinnert an den Trockenraum einer alpinen Skihütte. Die Klimaanlage kämpft dagegen an, allzu viel kann sie nicht ausrichten. Nach vier Nächten nervt der Geruch kolossal. Schuld sind auch die blanken Füße, die morgens aus mancher Kapsel herausragen, ganz so, als wäre es ihnen im Inneren langweilig geworden.

Kein Einheimischer würde hier Urlaub machen

Bunte Sneakers vor der Koje, Sperrholz an den Wänden. Das „do-c“ Tokio ist recht spartanisch eingerichtet.
Bunte Sneakers vor der Koje, Sperrholz an den Wänden. Das „do-c“ Tokio ist recht spartanisch eingerichtet.

© Jochen Overbeck

Es hat schon seine Gründe, dass Japaner hier vor allem schlafen, wenn sie nach einer durchzechten Nacht ihren Zug in die Vororte verpasst oder einen Geschäftstermin in der Stadt haben, das Budget aber gerade knapp ist. Urlaub im Kapselhotel würde kein Einheimischer machen. Das ist vielleicht die größte Lehre aus einem Aufenthalt in solch einer Unterkunft.

Im „do-c“ müssen die Reisenden ihren Pyjama zwischen 10 und 13 Uhr ausziehen und ihre Koje räumen. Dann wird saubergemacht. Immerhin – das ist nicht in allen vergleichbaren Häusern so – dürfen Touristen ihr Gepäck im Schließfach lassen und sich vielleicht auf die Suche nach weiteren Bauwerken des Metabolismus begeben.

Viele werden sie nicht finden. Die Architekturrichtung blieb eine Idee, die an den Realitäten des Wohnungsbaus scheiterte. Eigentlich steht in Tokio nur noch ein bekanntes Metabolismus-Gebäude, der ebenfalls von Kurokawa entworfene Nakagin Capsule Tower, ein Turm mit Betonnoppen und zwei herausragenden Zacken, und auch der ist vom Abriss bedroht. Nur für die Hotelindustrie erwies sich die Idee als pragmatische Lösung, um viele Übernachtungsgäste auf engem Raum unterzubringen. Seitdem gibt es in Japan mehrere tausend Kapselhotels. Die Preise für eine Übernachtung beginnen bei 15 Euro, selten gehen sie über 40 Euro hinaus.

Gäste in Bademänteln schauen eine Gameshow

Weiter nach Osaka, zweieinhalb Stunden mit dem Shinkansen, dem pfeilförmigen Schnellzug. Auch 39 Jahre nach seiner Eröffnung ist das „Capsule Inn“ noch in Betrieb. Es liegt in einer der überdachten Amüsierstraßen im Vergnügungsviertel Umeda und zeigt, warum das System in die Jahre gekommen ist. Von der Hipsterhaftigkeit, die das „do-c“ mit seiner Sperrholzästhetik versprüht, ist kaum etwas zu merken. Ein eigenartiges 80er-Jahre-Gefühl empfängt den Besucher. Das Licht ist abgedunkelt, ein Teppichboden dämpft in den Schlafräumen alle Geräusche.

Im Badezimmer auf dem Gang steht eine reiche Auswahl an Hygieneartikeln bereit. Einwegrasierer, Deo, Haarspray. Besonders gewöhnungsbedürftig: Zahnbürsten, in die die Zahnpaste bereits eingearbeitet ist; als feste Pulverschicht umgibt sie die Borsten, wird erst im Mund zu Schaum.

Anstelle eines Schlafanzugs bekommt man hier einen Bademantel und kleine Schlafshorts – in dieser Kluft sitzt morgens eine Gesellschaft von 15 Japanern im Aufenthaltsraum auf schweren Sesseln, schaut eine Gameshow, einige trinken Dosenbier. Der Wellness-Bereich ist im Untergeschoss, schon wenn man die Übernachtung im Internet bucht, werden einem diverse Upgrades angeboten. So gäbe es für 2400 Yen, das sind etwa 20 Euro, eine zusätzliche Massage.

Im Capsule Inn herrscht strenges Regiment

Backpacker übernachten hier kaum, stattdessen viele Japaner. Und wo das Personal in Tokio großzügig über kleine Nachlässigkeiten der westlichen Gäste hinweglächelt, herrscht in Osaka ein strenges Regiment. Im Hotel dürfen nur Männer übernachten, die jahrhundertelang gepflegte Tradition der Geschlechtertrennung nimmt das Inn noch ernst. Schon im Aufzug wird der Gast darauf hingewiesen, dass Tätowierungen verboten sind. Die Schuhe zieht man aus, bevor man den Rezeptionsbereich betritt und sperrt sie in eines der vielen kleinen Schließfächer.

Es schläft sich gut in jener Nacht in Osaka. Wo im „do-c“ ständig Leute aus ihren Kojen heraus- oder in sie hineinkrochen, machen sich die anderen Gäste im Capsule Inn unsichtbar. Hat man die Klappe geschlossen, aus Neugierde den in den Kunststoff der Innenhülle eingelassenen Fernseher einmal ein- und sofort wieder ausgeschaltet, herrscht Stille. Kein Schnarchen, nichts. Gegen Mitternacht fängt es an zu regnen. Erst schwach, dann immer stärker. Es ist der japanische Sommerregen, er erinnert an ein Meeresrauschen. Man muss nur fest genug daran glauben.

Reisetipps für Japan

Hinkommen

Günstig fliegt man von Berlin nach Tokio zum Beispiel mit Air France ab 520 Euro in der Economy. Flugzeit inklusive Aufenthalt in Paris mindestens 15 Stunden. Die kürzeste Verbindung bietet Finnair an, die Strecke führt über die Polargebiete. Mit Umsteigen in Helsinki dauert der Flug knapp 13 Stunden und kostet ab 690 Euro in der Economy.

Unterkommen

Do-c, 1-8-1 Ebisu, Shibuya-ku, Tokio, nur eine Minute Fußweg vom Bahnhof Ebisu entfernt, ab 25 Euro pro Nacht, do-c.jp/en.

Capsule Inn, 9-5 Doyamacho, Kita, Osaka, etwa drei Minuten zu Fuß bis zur U-Bahnstation Higashi-Umeda, ab 27 Euro pro Nacht, keine Website auf Deutsch, aber über gängige Buchungsportale reservierbar.

Zur Startseite