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Britische Journalistin Carole Cadwalladr.

© imago/ i images

Journalistin Carole Cadwalladr: „Ich konnte es zunächst selbst nicht glauben“

Carole Cadwalladr zwang Facebook in die Knie, indem sie Verflechtungen zwischen dem Trump-Wahlkampf und Brexit-Kampagne bewies.

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Frau Cadwalladr, als Investigativjournalistin haben Sie vor einem Jahr die Identität des Whistleblowers Christopher Wylie öffentlich gemacht – mit dessen Zustimmung. Wylie arbeitete für Cambridge Analytica und programmierte ein Tool, mit dem das Trump-Wahlkampfteam sowie die Brexit-Kampagnen die Facebook-Daten von Millionen Menschen nutzten, um sie zu beeinflussen. Ihre Recherchen haben die Aktionäre von Facebook 2018 um 160 Milliarden Dollar ärmer gemacht. Wie ging es Ihnen damit?

Das war verrückt! Ich hatte ja keine Ahnung, dass diese Geschichte so ausgehen würde – als würde Facebook vor unserer Haustür explodieren. Meine Arbeit hat viele Menschen alarmiert, und natürlich ist es eine Riesenbestätigung, wenn man begreift: Ich konnte etwas bewirken.

Sie haben nicht nur viel Anerkennung bekommen, sondern sich eine Menge Feinde gemacht. Es heißt, Sie seien hysterisch, irre, kriminell, verbreiteten Verschwörungstheorien. Trifft Sie das?
Manchmal war es schon zu viel. Da gab es dieses montierte Video, wo ich zu den Klängen der russischen Nationalhymne verprügelt und mit der Waffe bedroht wurde. Das hat mir Angst gemacht, weil es Grenzen verletzt und Gewalt gegen Journalistinnen akzeptabel erscheinen lässt. Einmal hieß es, ich sei eine verrückte „Catwoman“. Das geht gegen mich als Frau mittleren Alters, ohne Familie und Kinder, eine Hexe der Neuzeit.

Ihre Enthüllungen klingen wie ein Netflix-Drehbuch: Ein amerikanischer Milliardär beeinflusst das Ergebnis des Brexit-Referendums mit einer Firma, um in Großbritannien – wir zitieren Sie – „den größten konstitutionellen Wechsel des Jahrhunderts“ herbeizuführen. Und die Russen hängen auch mit drin.

Ich konnte es zunächst selbst nicht glauben. Und Steve Bannon, der damalige Chefstratege von Donald Trump, war Vizepräsident dieser Firma Cambridge Analytica, die mit Ihrer Datensammelei im Zentrum des Ganzen stand.

Was genau konnten Sie beweisen?

Es gab zwei Kampagnen vor dem Brexit-Referendum. Eine mit dem späteren Außenminister Boris Johnson, genannt „Vote Leave“. Und die Kampagne um Nigel Farage, den Frontmann der UK Independent Party: „Leave.EU“. Bewiesen ist, dass die Organisatoren mehr Geld ausgegeben haben, als das Wahlgesetz erlaubt. Bewiesen ist außerdem die Zusammenarbeit der beiden Gruppen, was auch verboten ist. Zudem ist die Quelle für die größte Spende, mit der das alles finanziert wurde, nicht bekannt. Das wird nun offiziell ermittelt.

Und Facebook diente als Datenquelle für den Brexit-Werbefeldzug.

Ja. Es steht fest, dass Daten für die Kampagnen illegal bei Facebook beschafft wurden. Das untersucht nun der britische Datenschutzbeauftragte. Und es gibt Indizien dafür, dass die russische Regierung mit dem Versicherungsunternehmer Arron Banks zusammengearbeitet hat, dem Hauptsponsor der Brexit-Kampagne. Wir wissen, dass die Russen ihm ein Angebot gemacht haben.

Sie meinen, all diese Verflechtungen haben den Ausgang des Referendums manipuliert?

Das lässt sich natürlich nicht beweisen. Aber es ist plausibel. Warum sonst sollten die Akteure einen solchen Aufwand betreiben? Ich denke, dass diese illegalen Aktivitäten dazu dienten, eine voraussehbar knappe Entscheidung zu beeinflussen. Dafür wurde sehr viel Geld ausgegeben.

Wie genau soll diese Beeinflussung ausgesehen haben?

Es ging um ein Prozent der Wähler. „Vote Leave“ hat für dieses eine Prozent eine Strategie entwickelt: Microtargeting. In den Fokus rückten Menschen, die als leicht beeinflussbar galten – zunächst junge, weiße Wähler aus der Arbeiterklasse. Man hat sie mit einer Art Online-Spiel gelockt: „Tippe hier die Ergebnisse in europäischen Fußballwettbewerben, und du kannst 50 Millionen Pfund gewinnen.“ Um Fußball ging es dabei natürlich nicht, sondern einzig und allein um die Daten der Teilnehmer.

Nur weil ich mich für Fußball interessiere, bin ich doch nicht für den Brexit.

Nein, aber diese Daten wurden immer feiner gefiltert. Einer interessiert sich für Fußball, bestimmte Musik, bestimmte Kleidung, bestimmte Nachrichten. Auf diese Weise konnte Cambridge Analytica die gesuchten Persönlichkeitsprofile erstellen. So ließ sich das Schlüsselpublikum finden, das auf das Thema Immigration anspringt.

Wie erreicht man dieses relevante Publikum?

Indem man in den letzten beiden Tagen der Abstimmung den Hahn voll aufdreht. Die Leute bekamen auf sie zugeschnittene Facebook- und Google-Anzeigen zu sehen.

Mit denen die Angst vor Einwanderern geschürt wurde?

Ja, mit den sogenannten „Dark Ads“. Dazu Plakate auf der Straße, die Immigration als Bedrohung darstellten.

„Es begann mit einer Geschichte über Fake News und Google“

Wahlkampf in Social Media. Durch Microtargeting werden Emotionen und Ängste zielgerecht mit der Hilfe sozialer Netzwerke verbreitet.
Wahlkampf in Social Media. Durch Microtargeting werden Emotionen und Ängste zielgerecht mit der Hilfe sozialer Netzwerke verbreitet.

© imago/Zuma Press

Wenn so vieles bei der Abstimmung illegal lief, warum zweifelten so wenige das Ergebnis an?

Die Regierung war mit einigen ihrer eigenen Minister beteiligt, und Labour lässt es geschehen, weil deren Vorsitzender Jeremy Corbyn selbst den Brexit will. Es gibt zwar Parlamentarier, die das offen aussprechen, aber sie können sich kein Gehör verschaffen. Und fast alle Medien, sogar die BBC, sind in dieser Frage wie paralysiert.

Sie schreiben von amerikanischen Hintermännern. Demnach war die Brexit-Kampagne im Juni 2016 eine Art Probelauf für die Techniken, die der gleiche Trupp dann fünf Monate später bei der US-Präsidentschaftswahl anwandte?

So kann man das zusammenfassen. Es ging um die gleichen Methoden. Emotionen und Ängste wurden durch Microtargeting zielgerecht mit der Hilfe sozialer Netzwerke verbreitet.

Sie haben sich mit ziemlich mächtigen Leuten angelegt. Schauen Sie sich manchmal auf der Straße um, ob Sie jemand verfolgt?

Das passiert. Einer meiner Informanten wurde beschattet, Fotos tauchten im Netz auf.

Sie kamen mit dem Fahrrad zu unserem Interview. Welche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen Sie?

Mein Hund kann sehr laut sein. Und natürlich habe ich meinen Rechner gegen Hacker gesichert.

Haben Sie keine Angst?

Die Geschichte ist es wert. Ich habe nie daran gedacht, aufzuhören. Und je mehr sie uns anfeinden, desto mehr zeigt es, dass sie sich Sorgen machen.

Ihre Artikelserie basierte vor allem auf den Aussagen von Christopher Wylie, dem Datenexperten für Cambridge Analytica. Wie haben Sie den eigentlich gefunden?

Über LinkedIn.

Auch ein soziales Netzwerk. Dann haben Sie ihn einfach so angerufen?

Ja, allerdings verschlüsselt mit dem sicheren Messengerdienst „Signal“. Er hatte zuvor nicht groß über seinen Job nachgedacht, aber mit Trumps Einzug ins Weiße Haus wurde ihm klar, dass er etwas geschaffen hatte, das dieses Wahlergebnis ermöglichte. Sein Auftraggeber Steve Bannon war plötzlich Stabschef und saß im Nationalen Sicherheitsrat. Chris hatte dann aufrichtig Bedenken, dass all die Daten, die sie gesammelt hatten, nun vom Pentagon genutzt wurden. Da kam meine Anfrage wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Wenn Ihr Kronzeuge sagt, er und seine Kollegen hätten Trump zum Wahlsieger gemacht, ist das erst mal nur eine Behauptung.

Das stimmt. Doch man hat ja Millionen Dollar ausgegeben, um an all diese Daten zu kommen und die Wähler gezielt anzusprechen. Viele solide wissenschaftliche Studien haben bewiesen, wie wertvoll die Daten für einen Wahlkampf sein können.

Wie sind Sie überhaupt auf dieses Thema gestoßen?

Es begann mit einer Geschichte über „Fake News“ und Google. Ich habe „Sind Juden“ in die Suchmaske eingegeben, und Google schlug mir „Sind Juden böse“ vor. Jeder Link führte auf Webseiten mit der Antwort, ja, Juden sind böse. Bei Ihnen in Deutschland würde das Ergebnis wahrscheinlich anders aussehen, aber Naziwebseiten standen in der Rangfolge ganz oben. Auf die Frage, ob der Holocaust geschehen sei, kamen zig Seiten mit dem Ergebnis, nein, alles Lüge. In der nächsten Nacht fand ich einen amerikanischen Akademiker, der diese Fake-News-Seiten kartiert hatte und sah, wie sie vernetzt sind und seriöse Medien wie die „New York Times“ oder der „Guardian“ förmlich erdrückt werden. Er nannte mir auch erstmals die Firma Cambridge Analytica.

Wann war das?

Im November 2016, zwei Wochen nach der Wahl von Trump. Da geschah etwas wirklich Befremdliches im Netz, das wir jeden Tag nutzen und von dem wir abhängig sind.

„Nur die EU kann diese Unternehmen regulieren“

Whistleblower Christopher Wylie hat für die Datenfirma Cambridge Analytica gearbeitet.
Whistleblower Christopher Wylie hat für die Datenfirma Cambridge Analytica gearbeitet.

© imago/Zuma Press

Haben Sie jemals daran gedacht, auf der falschen Fährte zu sein?

Es gab natürlich Stimmen, ich sei ein wenig naiv, und Cambridge Analytica mache nichts Illegales, sondern organisiere einfach Kampagnen wie andere Firmen auch. Tatsächlich liegen die Wurzeln des Unternehmens beim Militär. Während des „Krieges gegen den Terror“ nannte man diese Strategie „Winning the Hearts and Minds“. Jetzt griffen sie in die Politik bei uns ein, mit Überzeugungstechniken, die die Sicht der Menschen auf die Wirklichkeit beeinflussen.

Microtargeting hat Barack Obama schon bei seiner Kampagne 2008 systematisch genutzt. Seinerzeit wurde das als modern und smart gepriesen. Ist es nur böse, wenn es die falschen Leute nutzen?

Obama tat das aber nicht ohne die Zustimmung der Leute. Man trug sich in einen Verteiler ein, und dann bekam man alle aktuellen Mitteilungen. Wir reden hier darüber, dass sich eine Person anmeldet und die Wahlkämpfer daraufhin die Daten hunderter ihrer Freunde abschöpfen. Das hat Cambridge Analytica getan. Diese Leute operierten mit erstaunlichen Werkzeugen im Herzen der Demokratie. Und Akteure wie Russland investieren enorme Ressourcen, um herauszufinden, wie sie freie Wahlen unterwandern können.

Klingt wieder nach Verschwörung. Haben Sie für diese These einen Beweis?

Ich vertraue Robert Mueller, dem amerikanischen Sonderermittler …

… der mögliche Verbindungen von Trumps Wahlkampfteam zu russischen Stellen untersucht.

Und ich denke, wenn mehr Menschen verstanden hätten, was passiert ist, würden sie ganz anders über das Brexit-Referendum denken. Jeden Tag höre ich Politiker im Radio, die mahnen, man müsse den Willen des Volkes respektieren, weil es sonst das Vertrauen in die Demokratie verliere. Alles gelogen. Doch das ist immer noch nicht im Mainstream angekommen.

Cambridge Analytica wurde aufgelöst, Facebook musste Transparenz versprechen, die EU-Kommission und viele Regierungen arbeiten an Instrumenten, um Wählermanipulation zu bekämpfen. Geht diese Entwicklung nicht in die richtige Richtung?

Die EU ist die einzige Institution der Welt, die diese Unternehmen regulieren kann, und sie hat damit begonnen. Das ist positiv. Ich bin nur noch nicht überzeugt, ob das wirklich etwas bringt. Die Wahlgesetze müssen so reformiert werden, dass diese Art der Unterwanderung ausgeschlossen wird.

Von Ihnen stammt der Satz: „Die US-Datenriesen sind aggressive Multis, die mit unseren Daten scheißviel Geld machen.“ Zugleich posten Sie auf Twitter eine Nachricht nach der anderen und haben dort 239 000 Follower. Wie passt das zusammen?

Ich habe die Sozialen Medien immer gehasst. Mit dieser Story habe ich jedoch plötzlich verstanden, wie wirkungsvoll es ist, wenn etwas viral geht. Ich wollte unbedingt diese Geschichten unter die Leute bringen. Und dann habe ich dort ein Netzwerk von Bürgern gefunden, die selbst recherchieren, die mir viele nützliche Infos geben.

Wie viel Zeit verbringen Sie täglich auf Twitter?

Wenn möglich, will ich einfach alles wissen, was läuft und darauf reagieren. Zugegeben, ich bin da verwundbar. Ich gebe mein halbes Gehirn für Twitter her, das ist besorgniserregend. Romane lesen geht gerade nicht.

Sie haben selbst mal einen geschrieben: „Wie man die Liebe erklärt“. Im Zentrum steht eine Kindheit in den 70er Jahren – wie die Ihre.

Die Stimmung bei uns in Wales war damals ähnlich deprimierend wie die in den alten Industrieregionen heute in England. Die Schließung der Stahlindustrie war für uns wie der heutige Niedergang der Autoindustrie. Mein Vater hatte zwar einen Job, doch seine Brüder verloren alle ihre Arbeit. Für mich als Kind war es aber eine Zeit der Freiheit, in der wir wild durch die Wälder und Felder zogen.

Über die literarische Arbeit sagten Sie mal, das Beste daran sei, die Fakten zu ändern, wenn sie nicht in die Geschichte passen. Sehnen Sie sich jetzt manchmal danach?

Nein, jetzt, wo der Journalismus ohnehin so unter Beschuss steht, ist es umso wichtiger, die Fakten zu dokumentieren, auf die es ankommt. Das hat mir die Lust auf Fiktion ausgetrieben. Das nächste Projekt wird ein Sachbuch. Mein Thema, mit dem ich mich die vergangenen Jahre beschäftigt habe, kann man nicht in einem Roman beschreiben. Viel zu absurd, niemand würde das ernst nehmen.

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