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Trockenübung. Unser Autor im Wadi, einem Flussbett, das sich binnen weniger Augenblicke mit Wasser füllen kann.

© Jasmin Buehler

Israel: Durstige Negev

Sie macht 60 Prozent von Israel aus. Wer diese Wüste queren will, braucht einen Bollerwagen voll Wasser. Anfangs scheint sie ausgestorben zu sein, doch dann zeigen sich Spuren von Leben.

Es ist kalt auf dem Felsen in Mizpe Ramon mit dem traumhaften Blick auf die Weite, die vermeintliche Kargheit, die zerklüfteten, ausgetrockneten Flüsse, auf die Farben, auf das Gräuliche, das Bräunliche, das Rötliche, das Bläuliche des Ramon-Kraters. Oder sagen wir besser, es ist frisch, weil es so wirklich kalt tagsüber hier am Rande der Negev-Wüste nicht wird. Jetzt hat es zehn Grad. Aber wo zieht es nicht frisch um fünf in der Früh, wenn man den Schlaf abgebrochen hat für ein versprochenes Naturschauspiel?

Mizpe Ramon, eine Kleinstadt, die ziemlich genau in der Mitte der Negevhier am Rande der Negev-Wüste liegt. Etwas mehr als 5000 Einwohner trotzen dem trockenen Klima. So gut wie nichts wächst in der Region. Glaubt man. Weil in einer Wüste per Definition nichts wächst.

Ein paar Steinböcke kraxeln auf dem Felsen, laufen durch die Straßen der Stadt. Sie frösteln nicht, sie interessiert auch nicht, wie die Sonne da langsam, am anderen Ende des Kraters, den Horizont rötlich einfärbt. Sehen sie ja jeden Morgen.

Die Wanderer dagegen freuen sich, weil sie die Wärme bringt. 14 Grad. Und freie Sicht auf das, weswegen man hier ist: die Natur – theatralisch, pompös, wichtigtuerisch ist sie mitunter, aber wunderschön, herrlich, selbst wenn sie für den geübten alpinen Bergwanderer als Wüste so ungewohnt vor einem liegt.

Ein Pfarrer hält eine Messe in der Wüste

In den Bergen sieht der Wanderer die Bäume, riecht den Waldboden, hört den Wind durch die Äste streichen. Hier ist es wie in den Bergen oberhalb der Baumgrenze, man ist allein. Man riecht? Nichts. Man hört? Nichts. Man sieht? Weite Öde. Man fühlt? Begeisterung.

Mizpe Ramon liegt am Israel National Trail, einem Fernwanderweg von mehr als 1000 Kilometern Länge. Er erstreckt sich vom Kibbuz Dan im Norden, an der Küste entlang bis Tel Aviv, östlich bis Jerusalem, von dort weiter durch die Wüste bis nach Eilat ganz im Süden des Landes, wo Israel ans Rote Meer grenzt.

Aber jetzt, nach zwei Stunden, steht die Sonne leidlich hoch, wärmt Seele und Körper, es ist Zeit, runter zu gehen in den Krater, der nur so aussieht wie ein vulkanischer Krater, sich tatsächlich aber durch tektonische Erdverschiebung die Hügel um die Ebene gebildet haben. Der Machtesch Ramon, wie er auf Hebräisch heißt, dehnt sich über 40 Kilometer aus, ist selbst Teil des Israel National Trail und komplett Naturschutzgebiet.

Arthur de Mosch führt hinab in die Wüste, die eine Schotterwüste ist. Arthur, ein Holländer, lebt seit 31 Jahren in Israel, und zu behaupten, er kenne jeden Stein in der Negev persönlich, ist wahrscheinlich nur ein bisschen übertrieben. Er fährt Jeep, gekonnt selbst in halsbrecherischen Positionen, fernab der Pisten, die für Stadtautos und Reisebusse befahrbar sind. Aus letzteren steigen Reisegruppen aus, die haben einen Pfarrer dabei, pilgern mit dem hunderte Meter hinein in den Staub und halten dort eine Messe ab. Bizarr, ungewohnt. Alltag im Heiligen Land. Wer durch Israel wandert, hat irgendwie immer die Religionen mit im Rucksack.

Es ist gefährlich, nicht nur der Tiere wegen

Steinböcke in der Negev-Wüste klettern die Felsen geschickt hoch.
Steinböcke in der Negev-Wüste klettern die Felsen geschickt hoch.

© Jasmin Buehler

Arthur hält an. Er erkennt eine Winzigkeit, die unsereins nicht gesehen hat. Die Winzigkeit ist ein Kothaufen, groß wie ein Tennisball, vertrocknet, „ein paar Stunden alt“, sagt er, „Urpferde“. Etwa 400 dieser nicht domestizierten Huftiere leben noch in der Negev. Außer ihren Hinterlassenschaften haben sie nichts von sich gezeigt.

Die Negev macht etwa 60 Prozent der Fläche Israels aus. Im Norden grenzt sie ans Tote Meer, im Osten an Jordanien und im Südwesten an Gaza und Ägypten.

Dorkasgazellen zeigen sich, elegant, scheu, schnell. Arabische Wölfe haben sich nicht hervorgetraut, keine Streifenhyäne, kein Schakal, keiner der seltenen Leoparden, keine Schlange. Dabei ist die Fauna hier eigentlich vielfältig.

Die Tiere sind genügsam, und findig, sie füllen ihren Flüssigkeitsbedarf im Gestrüpp der Tiefwurzler. Verdorrt sieht das Gestrüpp aus. Aber das täuscht, wie Arthur erzählt, die Tiere kauen es und entdecken noch Feuchtigkeit darin. Der Mensch findet das nicht, und das macht so eine grandiose Wanderung durch die Wüste im Süden Israels zu einer logistischen Herausforderung und zu einem gewaltigen Abenteuer.

Durchquert man die Negev von Norden nach Süden, dauert es mehrere Tage. An jedem davon braucht man mindestens zwei Liter Wasser. Wenn man das also hochrechnet, ergibt das einen Bollerwagen für den Flüssigkeitshaushalt. Versorgungsstationen gibt es kaum, und Wandern mit Bollerwagen ist nicht jedermanns Sache. Bei Arthur kann man Nachschub ordern, er und seine Helfer liefern dann alle zwei Tage. „Wir müssen jedes Jahr mehr als hundert Leichtsinnige retten, immer wieder kommen wir auch zu spät.“

Sieht es so auf dem Mond aus?

Wir stapfen durch Staub, durch Geröll, unwirtlich und unwirklich ist die Landschaft – und wunderschön. Gefährlich. Der Tiere wegen, weshalb sich eine Übernachtung im Freien nur im Zelt empfiehlt. Schließlich könnten ja doch mal eine Israelische Viper oder ein Skorpion auf die Idee kommen, nachzuschauen, wer sich da in der Natur breit gemacht hat.

Gefährlich ist es zudem wegen des Wassers. Des Wassermangels und des Wasserüberschusses. Kein Widerspruch. Manchmal regnet es in der Wüste. Und zwar ziemlich heftig. Dann füllen sich die Wadis, die ausgetrockneten Flussbetten. Sie steigen an und werden zu lebensgefährlichen Sturzflüssen.

Wir laufen zurück zum Jeep, haben immer noch kein Urpferd gesehen, aber eine Landschaft, die Fantasien heraufbeschwört. Irgendwie, ja, mondig? Sieht es so auf dem Mond aus? Sandig, staubig, zerklüftet, ohne Harmonie. Wenn man so will, ist es eine archaische Landschaft. Und dann, beim Blick zurück auf die Ufer eines Wadis, die sich rechts und links hoch aufbauen und in Querstreifen die unterschiedlichsten Gesteinsformationen zeigen, spürt man in dieser Wüstenei eine innere, eine tiefe Einkehr. Also doch Harmonie.

Reisetipps für Israel

Hinkommen

Von Schönefeld fliegt El Al nach Tel Aviv, von Tegel bietet Germania einen Nonstopflug an. In der Economy Class kostet ein Sitz ab 220 Euro im Juni. Bei Abflügen mit El Al besser drei Stunden für die Sicherheitskontrollen in Berlin einplanen, ebenso beim Rückflug von Tel Aviv.

Rumkommen

Zur Negev-Wüste kommen Touristen von Jerusalem aus mit Egged-Bussen bis Mizpe Ramon (3,5 Stunden, etwa 11 Euro). Fahrplan unter egged.co.il .

Unterkommen

Ramon Suites Hotel. Doppelzimmer ab 123 Euro, smarthotels.co.il.

Desert Home, schickes Bed & Breakfast, ab 120 Euro, baitbamidbar.com.

Info

Das israelische Fremdenverkehrsamt findet man auf goisrael.com.

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