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IS-Terror: Grenzerfahrungen bei Kobane

Kurden und IS-Milizen kämpfen seit Wochen um die Stadt Kobane. Zwei deutsche Fotoreporter erzählen hier von ihren Eindrücken aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet.

Nur 300 Meter weiter beginnt der Islamische Staat. Wir befinden uns auf der türkischen Seite der Grenze zu Syrien auf der Veranda eines Wohnhauses, näher kann man Kobane nicht kommen. Die Mauer bietet ein wenig Schutz, falls von drüben geschossen wird. Rußflecken im Boden sind leicht als Einschläge zu identifizieren.

Mitte Oktober, die Grenze wird durch einen Drahtzaun markiert. Ein Minenfeld soll es geben. Die Befestigungen stammen noch aus der Zeit, als das Assad-Regime auf der syrischen Seite die Kontrolle hatte. Neu sind die Schützengräben. Türkische Soldaten sichern damit ihren Checkpoint an der Straße nach Kobane. Doch von dort kommt niemand mehr.

Manche Einwohner von Kobane, die zu Beginn der Offensive des IS in die Türkei geflohen sind, kamen mit schwerem Gerät: Lastwagen, Baumaschinen, landwirtschaftliche Fahrzeuge wurden vor den Angreifern in Sicherheit gebracht. Benutzen dürfen ihre Besitzer sie hier nicht mehr, die Fahrzeuge stehen sinnlos im wüstenähnlichen Terrain herum.

Auf türkischem Gebiet, etwa fünf Kilometer vor der Grenze, liegt die Stadt Suruç. Am Ortseingang sehen wir – drei deutsche Fotojournalisten – Notunterkünfte, aus Brettern und Plastikplanen zusammengenagelt. Es gibt organisierte Camps, doch dort stehen die Zelte eng beieinander. Für eine Kuh, wie sie die Familie mit rübergebracht hat, die wir hier treffen, ist da kein Platz. Die Familie, das sind ein älterer Mann, seine Frau, eine etwas jüngere Frau und sehr viele Kinder bis etwa 14 Jahre, wahrscheinlich die Enkel. Wir fragen den Mann auf Englisch, wo die anderen sind. „Kobane“, sagt er, „kämpfen“.

Die Frauen spielen bei den Kurden eine wichtige Rolle

Unser ursprüngliches Ziel war nicht die Grenze bei Kobane. Wir begleiteten einen Hilfskonvoi für das syrische Aleppo. Der Konvoi wird an der Grenze syrischen Helfern übergeben. Und wir beschlossen, die Grenze bei Kobane aufzusuchen, eigentlich zur Erkundung für eine spätere Berichterstattung. 2013 besuchten wir die Region um Aleppo, es war vollkommen klar, dass wir diesmal keinen syrischen Boden betreten werden. Das Risiko ist derzeit zu groß.

Bei Kobane hat die Lage etwas Surreales. Viele Menschen, Journalisten, vor allem aber Flüchtlinge, Männer und Frauen, versammeln sich dort zwischen dem türkischen Suruç und der Grenze nach Syrien auf einem Hügel. Die Frauen spielen bei den Kurden, anders als in vielen Teilen der Region, auch in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Man kommt noch näher an die Grenze heran, doch die Sicht von dort oben über das trockene, baumlose Land ist besser.

Der Krieg ist als ständiges Hintergrundgeräusch präsent. Gedämpft, als würde man bei geschlossenem Fenster ein Silvesterfeuerwerk hören. Es gibt kaum Feuerpausen, geschossen wird zwar nicht die ganze Zeit in allen Stadtteilen, aber im Grunde immer irgendwo. Das Tackern von Maschinenpistolen und Gewehren weht herüber, die Kurden verfügen kaum über schwere Waffen. Hin und wieder hört man Explosionen, kleine Wölkchen stehen am Himmel, wenn ein Kampfjet eine Rakete abgefeuert hat.

Mit Einbruch der Dunkelheit werden die Kämpfe intensiver

Die Menschen auf dem Hügel beobachten mit dem Fernglas, kommentieren jeden Einschlag, wo er geschah, in welchem Viertel, in welcher Straße und wer dort mutmaßlich steht. Sie haben Handys. Das syrische Handynetz ist so gut wie inexistent, türkische Mobilfunkanbieter haben ihre Funkmasten an der Grenze aufgestellt und strahlen nach Syrien hinein. Das Netz ist brüchig, doch hin und wieder gelingt eine Verbindung in die Stadt.

Sehr viele Menschen versuchen mit Broten in bunten Plastiktüten an einem der türkischen Posten vorbeizukommen – über die Grenze nach Kobane. Stundenlang warten sie auf ihre Chance. Mal gelangen sie ein paar Meter weiter, dann werden sie zurückgeschickt. Es ist leicht, die Panzer zu fotografieren, das machen alle hier, darum scheren sich die türkischen Soldaten nicht. Vorsichtiger muss sein, wer die Posten aufnehmen will. Er sollte lieber so tun, als ob ihn etwas ganz anderes interessiert. Die Grenze ist geschlossen, hundertprozentig dicht ist sie nicht. Schmuggler finden ihren Weg. Soldaten schauen einfach mal weg.

Am Tag unseres Eintreffens finden sechs Beerdigungen statt

Mit Einbruch der Dunkelheit werden die Kämpfe drüben intensiver. Die Flammen von Explosionen flackern. Die Milizen des IS haben bei ihrem Sturm auf das irakische Mossul viel militärische Ausrüstung der Amerikaner erbeutet, darunter auch Nachtsichtgeräte, das gibt ihnen im Dunkel einen Vorteil gegenüber den kurdischen Verteidigern, die solche Geräte nicht haben. Trotzdem wollen die Kurden, die wir gesprochen haben, nicht, dass die Türken eingreifen. Lieber würden sie selbst als Kämpfer nach Kobane gehen. Manche tun das auf verborgenen Wegen wohl auch schon. Die Kurden wollen sich unbedingt selbst verteidigen, auch wenn sie sagen, das ist eigentlich nicht ihr Krieg, das ist ein Krieg, der die ganze Welt angehe, sie seien jetzt nur das erste Opfer.

Nach Anbruch der Dunkelheit rückt türkisches Militär an und verschießt Tränengas. Auf dem Hügel befinden sich jetzt fast ausschließlich Journalisten. Einige setzen routiniert ihre Gasmasken auf. Und doch beeilen sich alle, zu ihren Autos zu kommen. Niemand will als Letzter noch auf dem Hügel stehen.

Wir fahren weiter nach Diyarbakir, 220 Kilometer von Suruç entfernt und die größte Stadt im von Kurden bewohnten Teil der Türkei. Auch dort wollen wir uns einen Überblick verschaffen. Es ist Samstag, der 12. Oktober. In den Tagen zuvor hat es in Diyarbakir brennende Barrikaden gegeben. Türkische Kurden werfen der Regierung vor, die Menschen im syrischen Kobane dem IS auszuliefern. Doch nachdem die von den Amerikanern geführte Allianz ihr Bombardement gegen den IS verstärkt hat, lassen die Spannungen nach.

In der Stadt leben aber nicht nur Kurden, sondern auch türkische Islamisten, Sympathisanten des IS und Ultranationalisten. Bürger kämpfen gegen Bürger, die etwa 30 Todesopfer der letzten Wochen gehen keineswegs nur auf das Konto der Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Am Tag unseres Eintreffens finden sechs Beerdigungen kurdischer Kämpfer auf dem Friedhof der Märtyrer statt. Bilder von jungen Männern werden emporgereckt, Reden gehalten, Steine und Blumen auf die geschlossenen Gräber gelegt. Die Stimmung ist gefasst, bis sich einige Frauen weinend auf die Gräber werfen.

Die anrückende Polizei wird mit Silversterraketen beschossen

Wir wissen, dass die Proteste jederzeit wieder losgehen können, und haben Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass wir in Schwierigkeiten geraten. Wir haben vereinbart, dass wir uns regelmäßig bei dem Berliner Journalisten Benjamin Hiller melden, einem Experten für die Region, der dort über viele Kontakte verfügt, selbst aber von den türkischen Behörden mit einer Einreisesperre belegt wurde.

Am Abend schleppen Vermummte Möbel auf die Straße und zünden sie an. Laserpointer flackern, aus einem Cafe kommen Männer und applaudieren. Die anrückende Polizei wird mit Silvesterraketen beschossen. Im Dunst der Tränengasschwaden tauchen Polizeifahrzeuge auf. Wir ziehen uns in eine Seitenstraße zurück, als unser Kollege Chris Grodotzki plötzlich von einem Mann in Zivil aus einem Trupp heraus am Arm gepackt wird. Sind das jetzt Schläger oder doch die Polizei? Das ist der Moment, in dem uns zum ersten Mal mulmig wird. Wir wissen nicht, ob man uns hier umbringt und am Ende liegen lässt, sind froh, als ein Polizeifahrzeug auftaucht. Die Typen, die rausspringen, sind bewaffnet, haben schusssichere Westen angelegt, tragen aber ebenfalls keine Uniform oder wenigstens Abzeichen, die sie als Polizisten kenntlich machen. Sie schlagen uns die Presseausweise aus der Hand und treten Ruben gegen das Bein. „Fuck the Press“, ruft einer.

Einer ruft: "Fuck the Press"

In dem Gebäude, in das sie uns bringen, müssen wir uns an der Wand aufstellen, dürfen uns nicht umdrehen. „Oh Alemania. I love Hitler“, ruft einer hinter uns. Jedes Wort von uns kann nur falsch sein. Schwer zu sagen, wie viel Zeit vergeht, vielleicht eine halbe Stunde, wahrscheinlich sind es anderthalb. Wir werden mit den abstrusesten Vorwürfen konfrontiert: Wir seien BND-Spione und würden Kinder zur Gewalt aufstacheln. Polizisten machen mit ihren Handys Bilder von uns. Am nächsten Tag werden wir diese Fotos in türkischen Boulevardmedien sehen, verbunden mit ebendiesen Vorwürfen.

Besser wird es erst, als wir einem Beamten vorgestellt werden, der uns sagt, er sei eigentlich von der Abteilung Cyberkriminalität. Er sei selbst schon viel gereist, sein Englisch ist fließend. Uns sagt er, er sei mit der Bemerkung geholt worden, „wir haben hier ein paar Internationale und wissen nicht, was wir mit denen sollen“.

Gleichzeitig hat auch unser Notfallplan funktioniert. Wir haben noch während unserer Festnahme einen Notruf absetzen können. Befreundete Journalisten sind in der Zwischenzeit zu unserem Hotelzimmer gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand an unseren Sachen zu schaffen macht. Eine Anwältin ist eingeschaltet worden, ebenso die Botschaft, die auch einen Anwalt schickt. Inzwischen ist der mediale Druck sehr groß, die „Tagesschau“ berichtet, „Spiegel-Online“, die „FAZ“, der Tagesspiegel, unsere Lage wird von Minute zu Minute besser. Örtliche Journalisten haben es da sehr viel schwerer.

Man hat uns nach 31 Stunden aus der Haft entlassen, 15 Stunden später werden uns unser Material und die Kameras ausgehändigt. Wir werden nicht abgeschoben, können normal nach Deutschland ausreisen. Nur diesem Umstand verdanken wir die Chance, noch einmal in die Türkei einreisen zu dürfen. Das Verfahren ist jedoch noch nicht beendet.

Aufgezeichnet von Andreas Austilat

Björn Kietzmann, Ruben Neugebauer

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