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Michael Hutchence nahm sich 1997 in Sydney das Leben.

© Steve Pyke

INXS-Sänger Michael Hutchence: Erinnerung an Australiens ersten Popstar

Er sang bei INXS, war Rockikone und Sexsymbol. Diese Woche wäre Michael Hutchence 60 geworden. Filmemacher Richard Lowenstein über seinen Freund.

Zwei Wochen vor dem Filmfestival von Cannes 1984. Mein erster Spielfilm „Strikebound“ sollte an der Croisette gezeigt werden, von mir, einem 25-jährigen Melbournian, der in einer Post- Punk-Phase feststeckte, nur schwarze Klamotten trug und einen blassen Teint pflegte.

Ich erhielt einen Anruf von Gary Grant, einem Manager aus der Musikindustrie. Er wollte, dass ich mit meinem Team nach Queensland fliege und ein Musikvideo für INXS drehe – eine damals leidlich bekannte Rockband in Australien.

Eigentlich fand ich diese Arbeit unter meiner Würde, aber das Geld stimmte. So kam es, dass drei dünne Männer in Schwarz bei Nieselregen von Melbourne losflogen, unter der heißen Sonne in Queensland landeten und einer strandgebräunten Band aus Sydney gegenüberstanden, inklusive Michael Hutchence, der damals einen Vokuhila trug.

Wir waren ein Klischee, sie auch, aber wir verstanden uns auf Anhieb. 24 Stunden später schnorchelten Michael, ein paar der INXS-Jungs und ich zusammen am Great Barrier Reef und verabredeten uns für das Filmfestival in Cannes, weil sie zufällig im selben Zeitraum ein Konzert in Nizza spielten, nur wenige Kilometer entfernt.

Mir gefiel an Michael sofort, dass er alles aufsog, was ich ihm über meine Welt erzählte. Er war begierig, neue Leute kennenzulernen und herauszufinden, was sie antrieb. Das half, unsere anfängliche Unbeholfenheit zu überwinden.

Michael entpuppte sich als genial, uneitel, und ehrlich überschwänglich, wenn er von meiner Arbeit sprach, von der Undergroundszene in Melbourne, der ich entstammte. Er war entspannt, lustig, ein guter Zuhörer, und wenn er jemanden nachmachte, tat er das so perfekt und selbstironisch, dass wir alle lachend in Tränen ausbrachen.

Aus diesem ersten Treffen entstand das Video zur Single „Burn For You“. Viele weitere folgten, unter anderem zu den Hits „Need You Tonight“ und „Never Tear Us Apart“. Wir hatten eine 13 Jahre währende Freundschaft – bis zum Tod von Michael, als er sich im November 1997 in einem Hotelzimmer in Sydney erhängte.

Wüste Spekulationen kursierten anschließend in der Presse: Er habe sich bei einem Sexspiel aus Versehen erhängt. Der Mensch, wie ich ihn kannte, rückte in den Hintergrund. Deshalb wollte ich eine Dokumentation über ihn machen und sein wahres Leben zeigen.

Michael Hutchence ist eine extrem wichtige Figur der australischen Popkultur, weil er einer der ersten wirklich internationalen Popstars war, der seine Australianness nicht vor sich hertrug. INXS spielten keinen klassischen Gitarrenrock wie viele der erfolgreichen Künstler unseres Landes es taten – zum Beispiel AC/DC. INXS war die erste Mainstream-Band, die Funk und R’n’B dazu mischte und daraus eine Popmusik erschuf, die Einflüsse von Soul-Größen wie Aretha Franklin oder Marvin Gaye erkennen ließ.

Ende der 80er Jahre stieg Michael zu einem der größten Bühnenperformer der Welt auf, gleichauf mit Mick Jagger und Jim Morrison von den Doors.

Es gab keinen Unterschied zwischen dem Michael, der vor der Kamera agierte, und dem Mann, der er privat war. Das war Teil seiner Ausstrahlung. Auf der Bühne sahen die Leute Michael Hutchence, keine Bühnenidentität wie bei Bono oder David Bowie, er setzte sich keine theatralische Maske auf, hinter der er sich versteckte.

Gelegentlich sprach er vor Konzertbeginn davon, sich seine Ego-Jacke überzuziehen. Aber ich glaube, Michael begeisterte ein extrem heterogenes Publikum, weil er Charisma und Talent zu kombinieren wusste und sich weigerte, jemand anderes auf der Bühne zu sein. Bei ihm gab es keinen Filter, keine Anmaßung.

Große Liebe. Kylie Minogue (links) und Michael Hutchence waren ab 1989 für zwei Jahre ein Paar.
Große Liebe. Kylie Minogue (links) und Michael Hutchence waren ab 1989 für zwei Jahre ein Paar.

© Happy Entertainment

Als ich in Cannes war, trommelte ich für den Auftritt von INXS eine Handvoll Australier und Engländer zusammen und sah mit ihnen die Band in einem riesigen Zirkuszelt. Danach tingelten meine französische Pressesprecherin, ihre 14-jährige Tochter, Michael und ich durch ein paar Bars und endeten schließlich auf einer Party in einer Villa.

Das Mädchen erzählte uns von sexuellen Übergriffen einiger Rowdys in ihrer Klasse, Michael bot ihr an, zu helfen. Deshalb fuhren wir am nächsten Morgen alle zur Schule, obwohl Michael und ich kaum geschlafen hatten. Das Mädchen zeigte uns die Jungs, die sie ständig belästigten, Michael brüllte sie in grauenhaftem Französisch an und warnte sie, er würde sie eigenhändig verprügeln, sollten sie es noch einmal wagen, das Mädchen zu betatschen.

Die Jungs warfen mit Steinen nach ihm, beschimpften ihn und ließen ihn eindeutig wissen, was sie von seiner Band hielten. Irgendwie gelang es Michael, die Meute in die Flucht zu schlagen. Wir winkten dem Mädchen zum Abschied zu, das vor Freude strahlte.

Michael begleitete mich danach auf einen Termin. Ich musste einen Produzenten treffen, um meinen nächsten Film zu besprechen. Während ich ein Glas Orangensaft für zehn Dollar trank und den Plot für einen futuristischen Politthriller anpries, merkte ich, wie das Gesicht des Produzenten langsam ausdruckslos wurde.

Also setzte ich mich kerzengerade auf und sagte: Und dann ist da natürlich noch der Film, den Michael und ich zusammen machen. Michael schaute mich leicht benommen an: Wir machen was?

Ich erfand eine Geschichte von einem jungen Mädchen, das Ende der 70er Jahre nach Melbourne kam und in ein Haus voller Hippies, Punks und Freaks zog. Michael stieg ein, wir sponnen die Story immer weiter, bis der Produzent völlig begeistert versprach, sich um das Projekt zu kümmern. Aus dieser spontanen Idee entstand mein zweiter Spielfilm „Dogs In Space“, in dem Michael einen Dealer spielte.

Nach dem Treffen gingen Michael und ich die Croisette hinunter zum Büro der Australian Film Commission. Er blieb auf der Treppe vor dem Gebäude stehen, sonnte sich etwas und beschloss, dort auf den Tourbus von INXS zu warten.

Er sah zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich verdreckt aus. Als er mir zum Abschied seine Hand entgegenstreckte, lief gerade Australiens bekanntester Filmkritiker, David Stratton, vorbei. Er sah die Hand und legte einen Zehn-Franc-Schein hinein. Michael lächelte: Danke, Mann!

Er genoss es, Teil einer kreativen Gemeinschaft zu sein, ob als Sänger oder als Schauspieler. Bereits als Kind wurde er in eine Familie hineingeboren, die viel herumreiste – Hongkong, Sydney, Los Angeles. Zu den Partys seiner Eltern kamen Schauspieler, Models und Künstler.

Später hatte er wunderbare Beziehungen, liebte selbstbewusste und karriereorientierte Frauen, die er gern dabei hatte, wenn er auf Tour ging. Aber sie wollten natürlich mehr sein als nur „schmückendes Beiwerk“. Die meisten seiner Partnerinnen waren zu klug, um ihr Leben darauf auszurichten, Jahr für Jahr mit einer Band herumzureisen. Doch selbst nachdem sie sich trennten, blieben sie oft Freunde.

Was er hasste: der Letzte im Hotelzimmer zu sein. Wenn jeder von der Party aufbrach und nach Hause wollte. Das ging so weit, dass er Leute anflehte, zu bleiben, selbst um vier Uhr morgens an einem Arbeitstag. Es ist bezeichnend, dass er am Ende einsam im Hotelzimmer saß, als er sich umbrachte.

Denn er mochte es nie, allein zu sein. Immer suchte er nach einer Ersatzfamilie, sei es im Freundeskreis oder in langjährigen Beziehungen. Wenn seine Partnerin auf der anderen Seite des Planeten war, versuchte er alles, um so nah wie möglich bei ihr zu sein – wie mit Kylie Minogue Ende der 80er Jahre, als er jeden Tag ein Fax in ihr Hotelzimmer schickte.

Richard Lowenstein (links) und Hutchence während eines Besuchs des Filmfestivals in Cannes.
Richard Lowenstein (links) und Hutchence während eines Besuchs des Filmfestivals in Cannes.

© Chris Plytas

Er ging respektvoll mit den Menschen um. Daher erscheint es mir umso schrecklicher, was mit seinem Erbe passiert ist. Seine einzige Tochter, jetzt 23 Jahre alt, hat kein Geld von seinen Millionen erhalten. Das hat sich nach meinem Wissensstand bis heute nicht geändert. Colin Diamond war Michaels Steuerberater, Vermögensverwalter und Testamentsvollstrecker. Ich weiß nicht viel mehr als das, habe jedoch gehört, dass er sich irgendwo versteckt, in den Skandal um die Paradise Papers verstrickt ist und Michaels Vermögen verschwunden zu sein scheint.

Der ehemalige Manager von INXS, Chris Murphy, plant ein Bandmuseum nahe Ballina. Das ist ein unbedeutender Ort, der nichts mit der Bandgeschichte zu tun hat – außer dass Murphy dort lebt. Ich halte es für eine groteske Idee und jede Person bei Verstand sollte über diesen Vorschlag entsetzt sein. Sicher wäre das Geld für dieses Unternehmen besser angelegt, wenn man damit Buschfeuer-Wohltätigkeitsorganisationen unterstützte oder eine Solaranlage in den Buchstaben der Band errichtete. Dann könnte man den Namen von der Luft aus lesen: INXS.

Richard Lowensteins Doku über Hutchence, „Mystify“, startet am 30. Januar im Kino

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