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Kein anderes EU-Land ist wirtschaftlich abhängiger von China als Deutschland.

© Peter Parks/AFP

Investor, Partner, Konkurrent: Wie gefährlich China für Europa wirklich ist

Mehr als 300 Milliarden Dollar haben chinesische Firmen in Europa investiert. Regiert Peking nun in Brüssel mit? Erstaunliche Ergebnisse einer Recherche.

Eine ausführlichere Version diese Artikels finden Sie hier. Darin ist auch eine interaktive Karte über die chinesischen Investitionen in Europa.

Die Verheißung aus Fernost erreicht Deutschland meist in der Nacht. Schier endlose Container-Züge mit chinesischen Schriftzeichen fahren nach 11.000 Kilometern Reise ihre Endstation am Duisburger Rheinufer an. Dort stehen LKWs und Schiffe bereit, um vom Smartphone bis zur Bademode China-Waren aller Art in die umliegenden Länder zu verteilen.

Rund 30 mal pro Woche wiederholt sich das Schauspiel und beschert dem Güterbahnhof im Industrieviertel einen klingenden Titel: Vom „Ende der Seidenstraße“ sprechen die Manager der Stadt, und preisen die um drei Wochen kürzeren Lieferzeiten gegenüber dem Schiffstransport. Schon jetzt gibt es mehr als 100 chinesische Unternehmen in der Stadt, und viele weitere sollen folgen. „China“, sagt Erich Staake, der Chef des Projekts, „ist ein bedeutender Bestandteil für unsere künftige Entwicklung“.

Das gilt genauso für das 1300 Kilometer entfernte Kroatien. Dort erfüllt der chinesische Staat den Bewohnern einen lange gehegten Traum. In einer malerischen Adria-Bucht bohren chinesische Arbeiter mit gewaltigen Hammertürmen Stahlpfeiler 120 Meter tief in den Meeresgrund. Bald schon werden sie eine zweieinhalb Kilometer lange Brücke tragen, um das Festland mit der Exklave Dubrovnik zu verbinden, die seit dem Jugoslawienkrieg getrennt sind.

Die gut 200 chinesischen Arbeiter schuften pausenlos und „machen das sehr gut“, lobt der Chef der Bezirksregierung, Vor allem sind sie billig, kein europäischer Wettbewerber konnte mithalten.

Aus China kommen auch die neuen Nutzer des ehrwürdigen Loreto-Palastes im Herzen der Altstadt von Lissabon. Hinter der Fassade aus dem 18. Jahrhundert residieren die Mitarbeiter des chinesischen Konzerns Fosun. Dessen Firmenimperium reicht in Europa von der früher staatlichen portugiesischen Versicherung „Fidelidade“ über den Reisekonzern Thomas Cook bis zur Modemarke Tom Tailor und der deutschen Privatbank Hauck & Aufhäuser.

Nicht weit entfernt sind zudem die Büros von Chinas Staatsunternehmen State Grid und Three Georges, die sich in die Stromversorgung des Landes eingekauft haben. Investitionen von mehr als neun Milliarden Euro machen Portugal jetzt zu einem „strategischen Partner“, erklärte Chinas Botschafter in Lissabon.

ChemChina und Syngenta besiegeln 2017 den Verkauf der Schweizer Agrarfirma.
ChemChina und Syngenta besiegeln 2017 den Verkauf der Schweizer Agrarfirma.

© Imago; Montage: Yvonn Barth

So läuft das europaweit. Eisenbahnlinien, Häfen und Stromnetze, Maschinenbau, Tourismus und Finanzwesen – in all diesen Branchen kaufen sich chinesische Unternehmen in die europäische Wirtschaft ein. Schon weit mehr als 300 Milliarden Euro haben sie hier investiert.

China ist überall, und das stiftet Furcht. „Der gefräßige chinesische Drache“ spalte Europa, „darum müssen wir Angst haben“ schrieb die „Bild“. Chinas „riesige Investitionen im Ausland verschaffen ihm eine scharfe Macht“, die es nutze, um „Kritiker mundtot zu machen“, warnte der „Economist“.

EU konstatierte, China sei „gleichzeitig Partner und systemischer Rivale“

Führende EU-Politiker schlagen neuerdings den gleichen Ton an. Der Wettbewerb zwischen China und Europa „läuft nicht fair“, klagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, weil die Regierung in Peking sich einseitig Vorteile verschaffe. „Die Zeit der europäischen Naivität“ müsse „vorbei sein“, fordert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Und erstmals konstatierten die EU-Regierungen im März, China sei „gleichzeitig Partner und systemischer Rivale“.

Aber ist die chinesische Investitionsoffensive tatsächlich eine Gefahr für Europas Prosperität? Birgt die Verflechtung das Risiko, mit dem autoritären Regime in Peking gemeinsame Sache zu machen? Diesen Fragen ist das Team von Investigate Europe (siehe unten) nachgegangen und auf überraschende Antworten gestoßen.

Von den 500 größten Unternehmen der Welt haben bereits 119 ihren Sitz in China

Lange galten die Investitionen aus China als willkommene Folge der Globalisierung, zumal europäische Unternehmen umgekehrt schon weit mehr in China investiert haben. Allein aus Deutschland sind nach Angaben des Pekinger Handelsministeriums mindestens 5000 Unternehmen mit mehr als 100 Milliarden Euro in China engagiert.

Durch seinen rasanten Aufstieg wird der asiatische Wirtschaftsriese jedoch zusehends Konkurrent. Von den 500 größten Unternehmen der Welt haben bereits 119 ihren Sitz in China, nur zwei weniger als in den USA. Erstmals seit der Industriellen Revolution steht damit die Vormachtstellung der Europäer und Amerikaner in der Weltwirtschaft wieder in Frage.

Welche Ängste das auslöst, zeigte sich im Mai 2016, als der chinesische Hausgerätekonzern Midea für 4,6 Milliarden Euro den deutschen Robotik-Hersteller Kuka kaufte. Es sei zu „befürchten, dass solche Unternehmen nur als Werkzeuge benutzt und weggeworfen werden, wenn sie genügend Technologie übertragen haben“, warnte Michael Clauß, der damalige deutsche Botschafter in Peking.

Doch die „Angst vor dem Ausverkauf“ der europäischen Industrie nach China, wie die „Frankfurter Allgemeine“ schrieb, geht am tatsächlichen Geschehen vorbei. Seit 2016 kauften Investoren aus China mehr als 160 weitere europäische Unternehmen für jeweils mehr als 100 Millionen bis zu 43 Milliarden Dollar (siehe Tabelle).

Den meisten gekauften Unternehmen geht es heute besser

In den meisten Fällen, das bestätigten Manager und Arbeitnehmer von Norwegen bis Italien gegenüber Investigate Europe, geht es den gekauften Unternehmen heute besser als vorher. „Chinesische Investoren halten sich in aller Regel an die Gesetze und Tarifverträge“, konstatiert Rüdiger Luz, als Leiter der Abteilung Betriebspolitik bei der IG Metall ein Kenner der europäischen Industrie.

Dafür steht exemplarisch der chinesische Staatskonzern ChemChina, der „dynamischste Globalisierer unter Chinas Staatsunternehmen“, befand der „Economist“. So gehören unter anderen der Reifenkonzern Pirelli aus Italien, der Enzym-Spezialist Adisseo aus Frankreich, der Silikonproduzent Elkem aus Norwegen, der Schweizer Agrarchemiehersteller Syngenta und der deutsche Weltmarktführer für Kunststoff-Maschinen Kraus-Maffei zu ChemChina. Der Lenker dahinter ist der Selfmade-Millionär Ren Jianxin, dem die Regierung die Sanierung vieler maroder Betriebe übertrug.

„Andernfalls wären wir in die Hände von Konkurrenten gefallen“

Die von ihm eingesetzten Manager lassen den Tochterfirmen in Europa weitgehend freie Hand. Für die rund 6200 Mitarbeiter beim norwegischen Silikon-Spezialisten Elkem sei der Verkauf nach China „nur positiv“, versichert Marianne Færøyvik, Vertreterin der Gewerkschaften im Aufsichtsrat. Die Firma sei seit der Übernahme in 2011 durch Zukäufe „gut gewachsen“. Die gleiche Erfahrung machen auch die Mitarbeiter bei Pirelli, dem „Prada der Reifenindustrie“, wie Ren es nennt.

Nach der Übernahme für mehr als sieben Milliarden Euro im Jahr 2015 bot er den italienischen Kollegen einen erstaunlichen Vertrag: Obwohl die erworbenen 45 Prozent der Aktien ChemChina die volle Kontrolle verschaffen, kann die Konzernzentrale nur ins Ausland verlegt werden, wenn die übrigen Eigentümer zustimmen. Damit bleibt Pirelli italienisch und CEO Tronchetti Provera ist überzeugt, der Deal sei „das Beste für Pirelli“ gewesen. „Andernfalls wären wir in die Hände von Konkurrenten gefallen, und das wäre das Ende von Pirelli gewesen“.

Europas Wirtschaftslenker haben Angst

Frank Stiehler, Chef des Münchner Maschinenbauers Krauss-Maffei sieht sein Unternehmen bei ChemChina ebenfalls gut aufgehoben. „Wir investieren heute doppelt so viel wie in den Jahren unter Führung durch angelsächsische Finanzinvestoren“, sagt Stiehler Investigate Europe. Gleich vier neue Werke seien in Planung und Bau, drei davon in Deutschland. 800 neue Jobs wurden schon geschaffen.

Den größten Coup landete ChemChina in der Schweiz. Dort lieferten sich 2015 die Chemiekonzerne einen Bieterkampf zur Übernahme des Agrochemieherstellers Syngenta. „Das war ein Filetstück der Branche, und alle wollten es haben“, erinnert sich ein deutscher Manager, der daran beteiligt war. Zunächst offerierte Monsanto 35 Milliarden Dollar, und die Wettbewerber von BASF bis Dow loteten Gebote bis zu 38 Milliarden Dollar aus. Aber dann bot Ren den Syngenta-Aktionären noch einmal fünf Milliarden Dollar mehr. „Da konnte kein anderer mithalten“, erzählt der deutsche Chemiemanager.

Oft stehe hinter den Käufern der Staat, so das Bundeswirtschaftsministerium

Genau das aber macht Europas Wirtschaftslenkern Angst. „Die chinesischen Staatskonzerne verfügen mit der Staatskasse im Rücken über eine unbegrenzte Finanzkraft, das ist kein fairer Wettbewerb“, beklagt ein führender Funktionär der EU-Industrielobby. Ausgerechnet der deutsche Industrieverband BDI, dessen Mitglieder eng mit China verbunden sind, warnte darum im Januar vor dem „chinesische Modell einer Wirtschaft mit stark lenkendem staatlichen Einfluss“, die „in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen Marktwirtschaften“ stehe.

„Die deutsche Industrie hat eine große Sorge“, erklärte BDI-Abteilungsleiter Fridolin Strack. „Die chinesische Hybridwirtschaft mobilisiert enorme Ressourcen auch für die strategischen Akquisitionen in Europa.“ Diese „Marktverzerrungen“ müssten „beseitigt werden“, fordert er.

Oft stehe hinter den Käufern der chinesische Staat, heißt es auch in einem Strategiepapier des Bundeswirtschaftsministeriums von 2017. Demnach sei „der Käufer in der Lage, mehr Geld für das Unternehmen zu zahlen und sich so einen Vorteil zu verschaffen“. Darum müssten die „europäischen Staaten mehr Möglichkeiten haben, Übernahmen zu prüfen und ggf. zu unterbinden“.

Chinas führender Wirtschaftsdiplomat in Europa will Zweifel zerstreuen

Aber wie das geschehen soll, ist völlig unklar. Das geltende Recht erlaubt es nicht, „gegen den Erwerb eines europäischen Unternehmens vorzugehen, nur weil der Käufer von ausländischen Subventionen profitiert hat“, gibt die EU-Kommission zu. Zudem beruht die Furcht vor dem Subventions-Doping auf bloßen Annahmen.

Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin von Minister Peter Altmaier, „einzelfallbezogene Erkenntnisse zum Einfluss staatlicher Subventionen auf die Investitionstätigkeit chinesischer Unternehmen im Ausland liegen der Bundesregierung nicht vor“. Mit anderen Worten: Nichts Genaues weiß man nicht.

Das wundert Wang Weidong nicht. Chinas führender Wirtschaftsdiplomat in Europa residiert im früheren SED-Viertel am Majakowskiring in Berlin-Pankow, wo die rote China-Fahne vor den klassizistischen Säulen des Botschaftsgebäudes noch ein wenig DDR-Feeling verbreitet. Dort empfängt Wang bei einer Tasse grünem Tee und erklärt „das Missverständnis“ mit den Subventionen.

Der chinesische Staat habe „gar nicht das Geld, um Übernahmen der Staatsunternehmen im Ausland zu bezahlen“, versichert er. Auch ChemChina habe seine Einkäufe in Europa „nicht nur mit Krediten der staatlichen Banken, sondern auch vom internationalen Kapitalmarkt zu kommerziellen Konditionen finanziert“.

Handelt es sich doch nur um ganz normale Geschäfte?

Zudem seien die Zinsen „in China sogar höher als in Europa“. Tatsächlich hat der Konzern jetzt mit der Schuldenlast zu kämpfen. Darum musste Ren seinen Posten räumen und an den Chef von Sinopec, des zweiten Chemieriesen im Land, abgeben, der die beiden Unternehmen fusionieren soll. Von unbegrenzter Finanzkraft keine Spur.

Handelt es sich doch nur um ganz normale Geschäfte, wie sie europäische Unternehmen seit jeher betreiben? Kritiker wie der Ökonom Max Zenglein vom Berliner Mercator-Institut für China-Studien widersprechen. Er meint, „dass Deutschland die Innovationsoffensive Chinas zu bereitwillig stärkt“.

Dabei würden die Akteure „das Risiko eines unerwünschten Technologietransfers in Bereichen vernachlässigen, die für den Fortschritt ihrer eigenen Branchen entscheidend sind“, schreibt er und warnt: „Deutschlands wirtschaftliche Fundamente könnten unmittelbar beschädigt werden.“

Wang weiß die Wirtschaftsgeschichte auf seiner Seite

Aber wie genau das ablaufen soll, kann Zenglein nicht erklären. Wirtschaftlich wäre ein Niedergang der europäischen Industrie auch gar nicht im Interesse Chinas, weil die EU der größte Handelspartner ist, hält Wirtschaftsdiplomat Wang dagegen. Darum habe diese Angst „nichts mit der Realität zu tun“. Natürlich stehe man im Wettbewerb, „aber den hat Europa auch mit den USA, die Globalisierung ist kein Nullsummenspiel, alle können gewinnen“, argumentiert Wang wie ein klassischer Marktliberaler und weiß die Wirtschaftsgeschichte auf seiner Seite.

Als Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Volkswirtschaften auf Weltmarktniveau brachten, kooperierten auch ihre Unternehmen mit US-Konzernen, um dann später in manchen Sektoren selbst zu Weltmarktführern zu werden. Der US-Wirtschaft hat das keineswegs geschadet. Später folgten Südkorea und Taiwan dem gleichen Modell.

Die China-Politik der EU-Staaten ist widersprüchlich

Krauss-Maffei-Chef Stiehler und viele seiner Kollegen sehen das genauso. „Solange wir in China einen so großen Binnenmarkt haben, der zu Produkten führt, die uns nachher auf dem Weltmarkt die Anteile wegnehmen, haben wir gar keine Wahl, als uns in dem Land aufzustellen“, erklärt er das China-Engagement vieler europäischer Unternehmen. Er teile daher die Einschätzungen des Merics-Instituts nicht, sagte Stiehler. „Eine Abschottung und Hürden für einen freien Marktzugang“ seien „gerade für die Exportnation Deutschland gefährlich.“

Angela Merkel traf gerade den chinesischen Premier Li Keqiang in Peking.
Angela Merkel traf gerade den chinesischen Premier Li Keqiang in Peking.

© Andrea Verdelli/Getty Images pool/dpa

So widersprüchlich diese Debatte verläuft, so widersprüchlich ist auch die China-Politik der EU-Staaten. Das wird nirgendwo deutlicher als in den Krisenstaaten Portugal und Griechenland. Dort nötigten die anderen Eurostaaten die Regierungen seit 2011, ihren Staatsbesitz zu verkaufen, ganz gleich an wen. Europäische Investoren waren allerdings nicht interessiert oder boten wenig.

Im Hafen von Piräus ist Europa so chinesisch wie nirgendwo sonst

Chinas Regenten dagegen erkannten die Chance. Und so gelangten Häfen, Stromgesellschaften und große Teile von Portugals Finanzsektor unter chinesische Kontrolle. „Es ist wahrlich ironisch, wir wurden gezwungen, nach marktwirtschaftlicher Logik zu privatisieren und verkauften schließlich an Unternehmen des Staatskapitalismus“, kommentiert die Politikwissenschaftlerin Raquel Vaz-Pinto von der Uni Lissabon.

Das Ergebnis ist insbesondere in Griechenland brisant, weithin sichtbar im größten Hafen des Landes: Piräus. Der Küstenstrich auf der Westseite von Athen ist seit mehr als 2500 Jahren das Tor der Griechen zur Welt. Hier starteten schon die Flotten in den Krieg gegen das Persien des Altertums.

Hier zeigten die verwaisten Piers bis 2010 den wirtschaftlichen Niedergang an. Und hier, auf den rund zehn Kilometern Küste zwischen Fähranlegern, Tanklagern, alten Fabriken und einem Wald von Kränen ist Europa jetzt so chinesisch wir nirgendwo sonst. Von den Containern über die Schiffe bis zu den Verladetürmen, auf allem prangen chinesische Schriftzeichen.

„Wir verlieren ein Stück Souveränität“, sagt Frankreichs Ex-Premier Raffarin

Der Weg dahin begann 2008. Als Griechenlands Reeder anfingen, ihre Schiffe von China bauen und finanzieren zu lassen, holten sie zugleich den staatlichen Schifffahrts- und Hafengiganten Cosco nach Piräus. Für 650 Millionen Euro kaufte Cosco die Konzession für zwei Container-Piers.

Acht Jahre später erzwangen die Euro-Finanzminister dann die „Privatisierung“ des gesamten übrigen Hafens – ein bizarres Geschäft. Der Zwangsverkauf fand ohne Wettbewerber statt, und brachte Cosco für gerade mal 280 Millionen Euro die volle Kontrolle. Theodoris Dritsas, damals Schifffahrtsminister, erinnert sich: „Obwohl wir wussten, dass nur die Chinesen davon profitieren, bestanden vor allem die Deutschen darauf. Ich habe das bis heute nicht verstanden“.

Nun ist sogar die Hafenbehörde in chinesischer Hand, die Anlage wurde zu einer Art exterritorialem Gebiet. Was reinkommt und was rausgeht, entscheiden allein die aus China gesandten Manager. Gestützt auf Coscos Containerflotte, die drittgrößte der Welt, stieg Piräus so vom heruntergekommen Provinzhafen zum zweitgrößten Umschlagplatz im Mittelmeer auf. Nach eigenen Angaben steuert die Hafenfirma mehr als 300 Millionen Dollar jährlich zur griechischen Wirtschaft bei und schuf 3100 Jobs.

Piräus ist jedoch nur der Anfang. Längst haben Cosco und die Schwesterfirma China Merchant sich auch in weiteren 13 europäischen Häfen von Malta bis Rotterdam eigene Terminals und Anteile gekauft (siehe Karte). Droht den Europäern damit ein Verlust der Kontrolle? „Ja, wir verlieren ein Stück Souveränität“, meint der frühere französische Premierminister und China-Experte Jean-Pierre Raffarin, der die Macron-Regierung berät. „Häfen haben strategische Bedeutung, und wir müssen in Europa klären, wie wir damit umgehen“, fordert er.

Der Hafen von Piräus wurde 2016 auf Drängen der EU verkauft.
Der Hafen von Piräus wurde 2016 auf Drängen der EU verkauft.

© www.imago-images.de

Das ist jedoch fast unmöglich. Europas Hafenstädte scheren sich nicht um Souveränität, sondern liefern sich einen erbitterten Wettbewerb um die Gunst der Investoren aus China. Franck Dhersin, Hafenmanager im französischen Dünkirchen spricht von „heftiger Rivalität“. Alle Hafenbetriebe „veranstalten Werbereisen nach China, um dort Partnerschaften aufzubauen, ich komme selbst gerade aus Schanghai“, erzählt er.

Parallel dazu wetteifern die Städte um die zugehörigen Industrieansiedlungen. Marseille etwa legte in diesem Sommer mal eben 6,5 Millionen Euro an Subventionen auf den Tisch, um den chinesischen Silikonhersteller zum Bau seiner neuen Fabrik am Hafen zu bewegen und den Wettbewerber Rotterdam auszustechen. Für jeden der versprochenen Jobs sind das 48.000 Euro. Die Holländer konterten mit dem Versand eines Videos vom letzten Streik im Marseiller Hafen, beklagte Philippe Maurizot, Vizechef der städtischen Wirtschaftsabteilung. „Der Wettbewerb ist wirklich hart.“

EU-weit fehlt es seit zehn Jahren an Investitionen

Und das nicht nur zwischen den Häfen. Das Gleiche läuft europaweit auf allen Ebenen. Egal ob Kreisstadt oder Metropole, ob Provinzregierung oder Staatschefs, alle kämpfen mit derselben Misere: EU-weit fehlt es seit zehn Jahren an Investitionen, weil die EU anders als die USA nach der großen Finanzkrise auf Sparkurs ging. Noch immer haben die Ausgaben für neue Fabriken und Infrastruktur nicht mal das Niveau von 2008 erreicht. Das aber macht die Milliarden aus China umso verlockender und bringt die Europäer gegeneinander in Stellung.

Das strategische Dilemma zwischen Furcht und Geschäft offenbart der innereuropäische Streit um Chinas „Seidenstraßen“-Programm. An die 1000 Milliarden Dollar pumpt die Regierung von Parteichef Xi Jinping in den Bau von Transportrouten auf der ganzen Welt jenseits der amerikanischen Kontrolle.

Chinas Regenten kündigten große Bauvorhaben für Ost- und Mitteleuropa an

Darauf setzen vor allem die Länder in Ost- und Mitteleuropa. Sie gründeten mit Peking die Gruppe „16 plus 1“, jüngst mit Griechenland auf „17 plus 1“ erweitert, für die Chinas Regenten große Bauvorhaben ankündigten. Dabei handelt es sich um ein Sammelsurium von Kraftwerken, Autobahnen und Bahnstrecken, großteils außerhalb der EU.

Innerhalb der Union hat bisher nur Ungarn ein nennenswertes Projekt an Land gezogen: Eine mit chinesischen Krediten finanzierte Bahntrasse von Budapest nach Belgrad und von dort nach Piräus soll China einen weiteren Zugang nach Europa verschaffen. Auch der 357 Millionen Euro teure Brückenbau in Kroatien firmiert als Teil der Seidenstraßeninitiative, obwohl die EU-Steuerzahler mehr als vier Fünftel davon bezahlen, während China nur die Baufirma stellt.

China baut im großen Stil in Europa wie hier in Montenegro.
China baut im großen Stil in Europa wie hier in Montenegro.

© Stevo Vasiljevic/Reuters

Trotz der geringen praktischen Bedeutung sehen westliche EU-Politiker den Verbund als Bedrohung. Als Beleg führen die Warner den Fall Griechenland an. Nach der Piräus-Übernahme habe „dieses Mitgliedsland“ im Juni 2017 „nicht mit der übrigen Union einer Erklärung zu den Menschenrechten in China zugestimmt“, beschwerte sich etwa Handelskommissarin Cecilia Malmström. „Das untergräbt die europäische Einheit.“

Kein anderes EU-Land ist abhängiger von China als Deutschland

Aber so eindeutig ist das keineswegs, erklärt der damalige griechische Außenminister Nikos Kotzias. Er habe lediglich gefordert, dass alle schweren Menschenrechtsverstöße genannt werden, auch die in Pakistan und Saudi-Arabien. Das sei aber 2017 nicht geschehen. Darum habe er sein Veto eingelegt. „Es ging nicht um China, sondern um die Doppelmoral“, versichert Kotzias. Ein Jahr später habe die EU-Kommission dann auch die Rechtsbrüche in Pakistan genannt. „Und wir haben wieder zugestimmt.“ Chinas Druck auf das abhängige Griechenland reicht offenkundig doch nicht so weit.

Als auch Italiens Regierung im März ein „Memorandum of Understanding“ mit China unterzeichnete, weil sie für die Häfen und Bauindustrie auf den gleichen Aufschwung wie in Piräus hofft, warnte wiederum Außenminister Heiko Maas vor einem „bitteren Nachgeschmack. Wenn einige Länder glauben, dass sie clevere Geschäfte mit China machen, werden sie eines Tages aufwachen und abhängig sein.“

Doch das klingt gerade aus deutschem Mund wohlfeil. Kein anderes EU-Land ist abhängiger von China als Deutschland. Die neue Supermacht in Asien ist längst größter Handelspartner. Im Schnitt verkaufen BMW, Daimler-Benz und VW dort ein Drittel ihrer Autos, mehr als in jedem anderen Land. Gleichzeitig sind sie mit chinesischen Unternehmen verflochten, allen voran Daimler-Benz, wo der private Autokonzern Geely und sein staatlicher Wettbewerber BAIC zwei der drei größten Aktionäre stellen.

Alle zwei Jahre kommen die Regierungen zu Konsultationen zusammen

Und niemand betreibt die Verflechtung mit China intensiver als die Deutschen. 70 „Dialogforen“ unterhält allein die Bundesregierung mit Partnerinstitutionen in China. Alle zwei Jahre kommen die Regierungen zu Konsultationen zusammen, die stets mit neuen großen Verträgen enden. Gerade erst ist Kanzlerin Merkel von ihrem zwölften Staatsbesuch in Peking zurückgekehrt, bei dem die mitreisenden Topmanager für Konzerne wie Airbus, Siemens und Allianz erneut elf Kooperationsverträge im Milliardenwert abschlossen.

Darin aber liegt das eigentliche Risiko. Die wachsende Abhängigkeit von Chinas Riesenmarkt macht weit eher erpressbar als Chinas Investitionen in Europa. Selbst Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in China und für die BASF seit 22 Jahren im Geschäft mit dem Einparteienstaat, warnt: „Die Chinesen nutzen skrupellos ihre Wirtschaftskraft, um politischen Einfluss zu nehmen.“

Das bekamen etwa die Manager von Daimler im Februar 2018 zu spüren. Da hatte es ein Marketing-Mitarbeiter gewagt, eine Mercedes-Werbung auf Instagram mit einem Zitat des Dalai Lama zu schmücken. „Betrachte die Situation von allen Seiten, und du wirst offener“, riet der Autor den Lesern, aber aus Sicht der Pekinger Regenten ist schon die Erwähnung des „Separatisten“ ein Verbrechen.

Chinesischer Shitstorm gegen Daimler

Binnen Stunden tobte ein Shitstorm und die Volkszeitung, das Sprachrohr der Partei, erklärte Daimler zum „Volksfeind“. Umgehend nannte der Daimler-Vorstand den harmlosen Sinnspruch „eine extrem falsche Botschaft“ und Dieter Zetsche, bis vor kurzem Konzernchef, erklärte, er „bereue zutiefst das Leid, das der unsensible Fehler über das chinesische Volk gebracht hat“.

Ähnlich erging es dem Kamerahersteller Leica. Ein im Auftrag der Firma erstellter PR-Film warb mit weltberühmten Fotografien, und darunter auch die vom einsamen Demonstranten, der sich 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking den Panzern entgegenstellte.

Indirekt fügen sich auch Europas Regierungen

Prompt erhob sich auch dagegen der national gesteuerte Protest, und die Firma musste öffentlich „alle Missverständnisse oder falschen Schlussfolgerungen, die gezogen wurden“ bedauern. VW-Chef Herbert Diess machte sich für das Wohlgefallen der chinesischen Herren sogar vor laufender Kamera lächerlich. Als ein BBC-Reporter ihn im April fragte, wie er eine Fabrik in Xinjiang betreiben könne, wo das Regime von Parteidiktator Xi mehr als eine Million Uiguren wegen ihres muslimischen Glaubens gefangen hält, behauptete er kurzerhand „davon weiß ich nichts“.

Indirekt fügen sich auch Europas Regierungen. Früher war der Dalai Lama als geistlicher Führer der von China kolonisierten Tibeter in allen Hauptstädten ein gern gesehener Gast, ungeachtet scharfer Kritik aus Peking. Das hat sich gründlich geändert. Seit 2016 wagte es kein europäisches Staatsoberhaupt mehr, dem berühmten Buddhisten auch nur die Hand zu schütteln.

Kein Wunder also, dass die gemeinsame China-Politik der Europäer nicht weit gediehen ist. In einem ersten Schritt verpflichteten sich zwar alle Mitgliedsstaaten im April, Direktinvestitionen aus Nicht-EU-Ländern der EU-Kommission zu melden. Aber auf klare Regeln für mögliche Verbote mochte sie sich nicht festlegen. Die Kommission darf nur beraten, nicht eingreifen.

Europäer können nicht in Chinas Staatsunternehmen einsteigen

Ginge es nach den Brüsseler Kommissaren, dann würde die EU auch hart dagegen vorgehen, dass europäische Investoren in China engeren Grenzen unterliegen als umgekehrt. Noch sperrt die chinesische Regierung 13 Wirtschaftssektoren von der Agrarproduktion bis zum Flugbetrieb für ausländische Unternehmen.

Zudem können die Europäer nicht in die Staatsunternehmen einsteigen, während denen umgekehrt die überwiegend privaten Firmen in Europa offen stehen. Darum verhandelt die Kommission seit 2014 ein Investitionsabkommen mit China. Aber noch ist nicht viel passiert, weil sich auch die Chinesen ungerecht behandelt fühlen. „Bei uns ist klar, was erlaubt ist und was nicht“, sagt Wirtschaftsdiplomat Wang.

Exemplarisch ist der Streit um den Telekomhersteller Huawei

In Deutschland dagegen „sieht es nur so aus, dass alle Sektoren offen sind. In der Realität können die Beamten alles verbieten, wie sie es für nötig halten.“ Darum gebe es viele Projekte, die daran scheitern, dass das Ministerium monatelang die Genehmigung nicht erteilt. „Das ist auch eine Methode Chinas Unternehmen zu blockieren“, beschwert sich Wang.

So folgt die EU in Schlangenlinien den Interessen ihrer Mitglieder. Doch das kann nicht mehr lange gut gehen. Denn gleichzeitig eskaliert der Wirtschaftskrieg zwischen der alten Supermacht im Westen und der neuen im Osten. Und Europa droht zum Schlachtfeld zu werden.

Exemplarisch ist der Streit um den Telekomhersteller Huawei. Dieser ist das erste chinesische Unternehmen, das zum Weltmarktführer in seinem Sektor aufstieg. Allein in Deutschland trägt Huawei mit 2,4 Milliarden Euro Umsatz und 28.000 Arbeitsplätzen zur deutschen Wirtschaft bei, ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

US-Regierung droht europäischen Hightech-Lieferanten

Aber genau das will die Trump-Regierung nicht zulassen und fordert, alle Geschäfte mit dem begehrten Lieferanten einzustellen. Polen und Tschechien sind dem bereits gefolgt, in Frankreich und Deutschland dürfen Telekom-Betreiber aber nach behördlicher Prüfung weiter mit Huawei arbeiten. Im nächsten Schritt drohte die US-Regierung nun europäischen Hightech-Lieferanten von Huawei mit der Sperrung des US-Markts.

Schon musste der britische Chipdesigner ARM sein Milliardengeschäft mit Huawei aufgeben. Aber was würde geschehen, wenn die US-Regierung das auch auf andere Branchen ausdehnt? Wie wird Europa reagieren, wenn China umgekehrt Vertragstreue und damit den Bruch mit den USA fordert?

Die Ökonomen Jean Pisani-Ferry, Berater von Präsident Macron, und Guntram Wolff, Chef der führenden Brüsseler Denkfabrik Bruegel, schrieben dazu ein Memo für die künftige EU-Kommission. Eine „Entkoppelung“ der EU-Wirtschaft sei „nicht im Interesse Europas“, mahnen sie. „Die zentrale Aufgabe der EU wird es daher, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu verteidigen, und gleichzeitig mit beiden, den USA und China, stark verbunden zu bleiben.“ Das könnte, wenn überhaupt, nur gelingen, wenn alle EU-Staaten an einem Strang ziehen. Die Zeit wird dafür knapp.

Investigate Europe ist ein Journalistenteam aus neun Ländern, das Themen von europäischer Relevanz recherchiert und die Ergebnisse europaweit veröffentlicht. Spenden der Leser sind ein wichtiger Beitrag zur Finanzierung der Arbeit. Das Projekt wird von der Schöpflin-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Hübner & Kennedy-Stiftung, der Fritt-Ord-Stiftung, der Open Society Initiative for Europe, der Gulbenkian Foundation, der Cariplo-Stiftung und privaten Spendern unterstützt. Zu den Medienpartnern für die Recherche über die chinesischen Investitionen gehören neben dem Tagesspiegel unter anderem „Aftenbladet“, „Diário de Noticias“, „De Groene Amsterdammer“, „Il Fatto Quotidiano“, „Mediapart“, „Republik“, „Trends“ und „Gazeta Wyborcza“. Außer den Autoren waren Wojciech Ciesla, Ingeborg Eliassen, Juliet Ferguson, Nikolas Leontopoulos, Maria Maggiore, Leila Minano, Paulo Pena, Jordan Pouille und Jef Portmans beteiligt. Mehr zum Projekt unter: www.investigate-europe.eu

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