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Schreibt lieber Postkarten als SMS: Schauspielerin Angela Winkler.

© Gregor Fischer/dpa

Interview mit Schauspielerin Angela Winkler: „Wir wollten ans wilde Meer“

Sie ist eine der größten deutschen Schauspielerinnen – jetzt erscheint ihre Autobiografie. Angela Winkler über die U8, Perfektion und warum sie Sofas ablehnt.

Von

Frau Winkler, Sie freuen sich gerne an kleinen Dingen …
… nicht nur an kleinen!

Haben Sie sich heute schon an etwas erfreut?
Ich habe bis vier Uhr nachts gearbeitet und dann ein Bad genommen.

Oh Gott!
Nicht oh Gott. Ich mache oft in der Nacht Postkarten: male, beklebe, verändere sie. Da ich kein Smartphone habe, schreibe ich den Menschen, an die ich denke, Karten. Das macht mir Spaß, dann vergesse ich manchmal die Zeit.

Sie haben gerade ein Buch über Ihr Leben veröffentlicht, über Ihre Arbeit mit Regisseuren wie Peter Zadek, Peter Stein, Volker Schlöndorff, Ihre Auftritte als Sängerin, das Leben mit Ihrem Mann, dem Bildhauer Wigand Witting, Ihren vier Kindern, oft in der Einsamkeit auf dem Land. Wie war es, alles noch mal Revue passieren zu lassen?
Schwierig. In der Vergangenheit wühlen – ich bin so ein Jetztmensch. Aber irgendwann habe ich in meine Tagebücher reingeschaut und sie Brigitte Landes gezeigt …

… der Autorin, mit der Sie „Mein blaues Zimmer“ verfasst haben.
Ohne sie wäre das Buch nicht rausgekommen. Sie hat die ganze Arbeit gemacht. Ich gab ihr alles, die Tagebücher und die vielen Zettel und kleinen Hefte, in die ich geschrieben habe. Wir führten Gespräche, und irgendwann hat sie mir aus meinen Notizen vorgelesen. Das fand ich schön, es fing an, mich zu berühren, und zur gleichen Zeit bekam ich Abstand. Jetzt, wo das Buch fertig ist – ich habe ja noch nie auf der Bühne eigene Texte gelesen. Ich glaube, nach zehn Mal kommt’s mir aus den Ohren raus. Da lese ich lieber Else Lasker-Schüler, von der hab ich nie genug. Die sagt, was Sache ist. Und mit Poesie.

Wie haben Sie in Ihrem vollen Leben überhaupt Zeit gefunden, Tagebuch zu führen?
Ich schreibe eigentlich dauernd! Gestern zum Beispiel, da war ich im Konzert von Patti Smith. Direkt vor ihr saß ein Rollstuhlfahrer, dem die Beine ab den Knien fehlten. Ich sah, wie die Beinstumpen anfingen, zu Pattis Rhythmus zu tanzen. Und hinterher beim Applaus geht sie zu ihm, beugt sich runter und gibt ihm die Hand. Das fand ich wunderbar. Es passiert doch so viel im Leben, und man vergisst so viel.

Hatten Sie bei der Rückschau je das Gefühl, da würde ich jetzt nachträglich gern mal was ändern?
Nein, das ist mein Leben. Ich empfinde es zum Beispiel als Glück, dass wir als Familie Nele haben.

Ihre Tochter hat das Downsyndrom.
Das Ein-bisschen-daneben-Sein, Anderssein ist eine Bereicherung.

Nele ist 37 und Schauspielerin im Ensemble von Ramba Zamba in Berlin, wo Sie selber gelegentlich auftreten. Eine Sache, die Sie an ihr bewundern, ist, dass sie sich die Zeit nimmt, die sie braucht.
Das ist bei Menschen mit Downsyndrom oft so. Durch sie bin ich bestärkt worden. Ich versuche, das Innehalten zu bewahren. Wenn ich jetzt Theaterstücke sehe, das ist alles so ruckizucki, ruckizucki, ruckizucki, schnell, schnell, schnell, laut, laut, laut. Und Performance, Performance, Performance. Man merkt gar nicht, dass da verschiedene Schauspieler spielen, eigentlich sind alle ziemlich gleich. Selten, dass man mal sagt: hoppla!

Können Sie so einen Moment beschreiben?
Gehen Sie ins Ramba Zamba! Schuberts Winterreise zum Beispiel. Die Schauspieler können natürlich nicht singen wie Sänger, aber wie sie das machen! Da fängt man an, sich zu wundern. Wann wundert man sich denn noch in der heutigen Welt? Mit welcher Leidenschaft, mit welchem Können die das machen, mit welchem Fleiß. Die Zuschauer kommen mit unheimlich viel Energy wieder raus. Bei unseren Lesungen von Andersen-Märchen hat Nele zum Beispiel gelesen „super B“ statt „superbe“. Man fragt sich, was heißt denn das? Und freut sich: Ach, so könnte man das auch sagen, das ist ja ein schönes Wort, super B.

Sie behaupten das von sich selber, dass Sie nicht so perfekt sein möchten.
Peter Zadek hat das zu mir gesagt: Uwe Bohm und du, ihr seid nicht perfekt. Gert Voss ist perfekt.

Als Lulu. Angela Winkler steht bei einer Fotoprobe der Tragödie von Frank Wedekind auf der Bühne des Berliner Ensembles.
Als Lulu. Angela Winkler steht bei einer Fotoprobe der Tragödie von Frank Wedekind auf der Bühne des Berliner Ensembles.

© Jörg Carstensen/dpa

Voss hat’s schwer gehabt mit dem legendären Theaterregisseur, oder?
Alle haben’s schwer gehabt bei Zadek. Er hat sich gelangweilt, wenn wir immer dasselbe machten. Das finde ich auch richtig. Er hat gesagt: Hört einander zu! Das Zuhören ist für mich das A und O.

Beim Theater, mit den langen Wochen der Probe, geht das sicher besser als beim Film, wo alles schnell passieren muss. An „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, der Sie 1975 berühmt machte, scheinen Sie keine so guten Erinnerungen zu haben.
Wieso nicht? Nur die Briefe, die ich hinterher bekommen habe, diese schrecklichen Briefe.

Sie waren dann die Terroristin.
Ja. Oder die Jungfrau von Orleans: Du schaffst es! Du schaffst es, die Bullen abzuschießen.

Haben Sie was Widerständiges in sich?
Maybe. Aber ich bin sehr behütet aufgewachsen, und war keine widerspenstige Tochter. Ich hab’ mich nur immer wieder zurückgezogen, in die Auvergne, nach Italien, auch jetzt, sonst würde ich nicht in Neukölln leben. Das tut mir gut. Das ist immer ein Rückzug. Um frei zu sein.

Wir haben ein Interview mit Ihrem Sohn Tammo gelesen, in dem er sehr schwärmte von Ihnen und Ihrem Mann als Eltern. Wie inspirierend Sie waren, wie mutig. Es klingt, als hätten Sie alles richtig gemacht.
Ich glaube, man macht nie was richtig richtig. Wir haben mit den Kindern in der Natur gelebt, das waren abgelegene Orte, wo wir alles zusammen gemacht haben. Mein ältester Sohn Luca ist 1974 in einer Mühle in Italien geboren, danach wohnten wir hinter der Elbe in Krautsan, hatten Apfelbäume, die mussten geerntet werden, da haben sie immer mitgeholfen. Dieses Miteinander war sehr groß.

Wie haben wir uns diese Mühle in Ligurien vorzustellen? Gab’s da überhaupt Strom?
Anfangs nicht, also auch keine Waschmaschine. Damals habe ich lange nicht Theater gespielt. Ich habe viele Pausen gemacht zwischendurch. Wenn ein Angebot kam, habe ich mich immer gefragt, ist das spannender als mein Leben, gebe ich das dafür auf? Für Zadek ja, fürs Fernsehen nicht. Erst als die Kinder größer waren, wir in Berlin lebten, habe ich mehr angenommen. Ich habe einen Mann, der Freiheit hoch 100 braucht. Ich sag’ immer, wir sind wie Bonnie & Clyde.

Ihr Mann ist Künstler.
Ja, wir sind seit 46 Jahren zusammen. Wir waren auch viel auseinander. Ich hab’ ihn gelassen, und er hat mich gelassen.

Sie haben sich immer wieder Ruinen auf dem Land gesucht und hergerichtet, in Italien und Norddeutschland, in der Auvergne, zuletzt in der Bretagne.
Wigand arbeitet mit Stein. Ich stehe schon mal auf dem Dach mit ihm und wir legen die Schieferplatten drauf. Aber inzwischen, wo ich wieder so viel Theater spiele, arbeitet er mit einem jungen Polen – und ich bin die Frau, die das Haus schmückt und sich um den Garten kümmert. Ich wühle gern in der Erde. Ich liebe das Landleben, wir haben auf Dörfern gelebt. Mein Vater kam sehr spät aus der russischen Gefangenschaft zurück, damals zogen meine Eltern nach Niederbayern. Er war Arzt, und auf dem Land fehlten Ärzte.

In sehr jungen Jahren, 1968, haben Sie „Jagdszenen aus Niederbayern“ gedreht ...
… mein Lieblingsfilm.

Als Hannelore. Im Film „Jagdszenen aus Niederbayern“ hatte die damals noch unbekannte Schauspielerin ihre Debütrolle.
Als Hannelore. Im Film „Jagdszenen aus Niederbayern“ hatte die damals noch unbekannte Schauspielerin ihre Debütrolle.

© imago/Prod.DB

Er zeigt eine Dorfwelt voller Hass und Gewalt gegen Außenseiter. Was war so toll daran?
Wenn man zum ersten Mal dreht, geht man ganz unbekümmert an die Arbeit ran. Das ist, wie wenn ein Kind das erste Mal spricht oder läuft: Dann macht es das einfach. Später kommen immer mehr Erfahrungen dazu, man wird kritischer. Und am Ende, als alter Mensch, kommt da so was Reines zurück. Man muss doch nichts mehr beweisen.

Ist es Ihnen in der Abgeschiedenheit nie zu einsam geworden?
Ich kann Einsamkeit unheimlich gut ertragen, habe auch keine Ängste, wenn ich allein im Haus bin. Wobei – manchmal, wenn ich jetzt nachts mit meinem kleinen Fahrrad von der U8 nach Hause fahre, denke ich, oh, da ist jemand hinter mir. Ich lese ja Zeitung. Aber es ist nur ein kurzer Moment.

Und hatten Sie keine Existenzängste, wenn Sie nicht spielten?
Auf dem Land zu leben, ist sehr billig. Wir haben vieles selbst angepflanzt. Hier in der Stadt schau ich in die Schaufenster, sehe was Schönes, manchmal gehe ich rein und kaufe mir was. Und zu Hause merke ich, das brauche ich eigentlich gar nicht. Dann trage ich es in einen Secondhandladen oder verschenke es.

Sie nähen auch selber.
Das hab ich in der Auvergne gemacht, in den 80er Jahren. Da konnte man ja nicht ins Kino gehen, es gab keine Ablenkung, keine Zeitung, manchmal waren wir tief eingeschneit. Nur das Leben mit Familie, weit und breit kein Nachbar. Da fing ich an zu stricken.

Jetzt wohnen Sie, wenn Sie nicht in Berlin sind, in der Bretagne.
Da sind wir hin wegen des Meers. Wir wollten ans wilde Meer.

Als Großmutter. Winkler in einer Folge der ersten Staffel der deutschen Netflix-Serie „Dark“.
Als Großmutter. Winkler in einer Folge der ersten Staffel der deutschen Netflix-Serie „Dark“.

© imago/StefanxErhard/Netflix

Einmal wären Sie darin fast ertrunken.
Ich hätte nicht reingehen sollen in diese Wellen. Ich bin manchmal leichtsinnig. Aber ich habe einen Schutzengel. Meine Mutter ist 102 geworden, die Gene habe ich in mir. 102 will ich allerdings nicht werden.

Den Hof in der Bretagne haben Sie jetzt schon seit 20 Jahren. Früher sind Sie immer weitergezogen, wenn ein Haus fertig war.
Weil mein Mann kein Hausmeister sein möchte. Er ist Künstler, will etwas aufbauen, nicht pflegen. Das ist wie bei einem Regisseur: Nach der Premiere haut der ab.

Sie selber haben auch mal gesagt, wenn es zu gemütlich wird, will ich weg.
Was heißt denn gemütlich? Wir haben kein Sofa. Mein Mann ist 77, ich bin 75, aber es steht kein Sofa da. Auch kein Sessel.

Sondern?
Stühle!

Stühle?
Na ja, zum Draufsitzen muss ja irgendetwas da sein. Meine Mutter hatte entsetzliche Ledersessel, die waren so schwer, dass man die Perserteppiche einrollen musste, um die Sessel verschieben zu können, dann fiel man dauernd darüber.

Was gefällt Ihnen denn so an den Stühlen?
Die Form. Und dass man sich nicht so reinfläzt. Auch im Kino oder Restaurant sitze ich oft an der Seite, sodass ich besser weggehen kann. Nur im Theater gehe ich selten raus, das ist unkollegial.

Ihr zweiter Wohnsitz Neukölln scheint Ihnen zunächst gar nicht gut bekommen zu sein. Sie schreiben: Ich habe Hamlet gespielt – und fahre jetzt mit den Besoffenen nach Neukölln. Das klingt nach einem bitteren Fazit.
Der Anfang war schwer. Ich bin vor sieben Jahren vom Schiffbauerdamm hierhergezogen, von ganz oben nach ganz unten. Damals habe ich das erste Mal die Trennung von meinem Mann sehr gespürt. Er war in der Bretagne, um unser Haus weiterzubauen, ich in Berlin am Theater. Ich fühlte mich sehr allein, konnte aber nicht weg. Ich hab nur Elend gesehen. Da ging’s mir auch elend. Dabei bin ich ziemlich optimistisch, aus dem Schweren komme ich noch raus.

Als Nonne. Angela Winkler 2015 in „Ödipus der Tyrann“ (inszeniert von Romeo Castellucci) in der Schaubühne am Lehniner Platz.
Als Nonne. Angela Winkler 2015 in „Ödipus der Tyrann“ (inszeniert von Romeo Castellucci) in der Schaubühne am Lehniner Platz.

© imago/ DRAMA-Berlin.de

Und heute?
Inzwischen fühle ich mich sehr wohl in Neukölln. Auch weil ich mich schütze und an schöne Orte gehe wie in dieses Café, in dem wir sitzen. Und das mit den Besoffenen – das ist schrecklich ausgedrückt, aber es ist Tagebuch, da stehen ja manchmal böse Sachen drin. Ich steh dazu. Und natürlich gibt es Phasen, wo man sich betäuben muss, weil man es nicht aushält.

In Ihrem Lieblingscafé lernen Sie auch Ihre Texte.
Zu Hause klappt das nicht, da gehen meine Gedanken weg. Und ich kann nicht abstrakt lernen, das war schon in der Schule so.

Aber müssen Sie die Texte nicht laut sprechen, um die Wirkung Ihrer Worte zu hören?
Ich will keine Wirkung. Ich muss die Texte lesen, lesen und verstehen, und irgendwann werden sie zu meinen Gedanken. Andere Kollegen können besser auswendig lernen, ich habe es damit schwerer.

Sie schreiben alle Rollen und Lieder, die Sie lernen müssen, mit der Hand in Ihr kleines Buch. Wozu?
So nehme ich den Text vom Kopf in den Körper. Maschinengeschriebenes geht gar nicht in mich rein. Ich schreibe groß und wenn ich in der U-Bahn sitze, kann ich da reinschauen und lesen. Ich lerne über das Sehen. Ich sehe viel, höre viel.

Hatten Sie eigentlich, wenn Sie sich immer wieder so lange entzogen, nie Angst, vergessen zu werden?
Vergessen – meinen Sie als Schauspielerin? Und wenn … Ich bin doch ein Mensch!

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