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Pamela Druckerman arbeitet als freiberufliche Journalistin und Autorin.

© Dmitry Kostyukov

Interview mit Pamela Druckerman: „Ich war lange ein typischer Sidekick“

Sie schenkte ihrem Mann eine Ménage-à-trois. Schriftstellerin Pamela Druckerman über das Erwachsenwerden, Pariser Kleidergrößen und durchschlafende Babys.

Frau Druckerman, Ihr Buch „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind – Erziehungsgeheimnisse aus Paris“ ist ein Weltbestseller. Dabei sind Sie gar keine Pädagogin.

Nein, ich bin Journalistin und Laien-Anthropologin. Als Amerikanerin in Frankreich habe ich einfach beobachtet, wie anders und wirkungsvoll man hier seine Kinder erzieht.

Die Methode von „Bringing up Bébé“ – so lautet der Buchtitel im Original – ist „La pause“. Das Geheimnis ist also streng genommen das Nichtstun, oder?

Nicht wirklich. Französische Babys schlafen schneller durch, weil ihre Mütter sie liebevoll anleiten, sich selbst zu beruhigen, indem sie nicht immer unmittelbar reagieren, wenn das Kind nachts weint. In Frankreich glauben die Eltern fest daran, dass selbst kleine Babys in der Lage sind, einen längeren Zeitraum am Stück durchzuschlafen – und dass es eben die Aufgabe der Eltern ist, den Kindern dies beizubringen. Das klappt natürlich nicht immer. Doch viele, die es ausprobiert haben, berichten von erstaunlichen Fortschritten.

Eine weitere Erkenntnis: Französischen Kleinkindern serviert man in einer ganz normalen Kita viergängige Menüs statt Nudeln mit Käse, für die Zahnlosen gibt’s die Quiche dann püriert.

Wichtig ist den Franzosen, dass alles wenigstens einmal probiert wird, was auf dem Tisch steht. Wie sollen denn die Kinder sonst einen Sinn für die Vielfalt von Speisen bekommen? Hier weiß man, dass Geschmacksentwicklung ein Prozess ist. Essen zu schätzen und zu genießen, kann eines der großen Vergnügen im Leben sein.

Wenn der Papst sich in der Öffentlichkeit zeigt, reichen ihm die Menschen ihre Babys. Geht Ihnen das manchmal ähnlich?

Wollen Sie, dass ich mich mit dem Papst vergleiche? Nein. Ich bekomme allerdings viele Mails und Briefe, gelegentlich bitten die Leute auch um medizinischen Rat, doch dafür fühle ich mich natürlich nicht qualifiziert und verweise diese Eltern an einen Kinderarzt.

Sogar in mongolischen Jurten werden die von Ihnen beschriebenen Methoden, Babys zum Durchschlafen zu bringen, praktiziert. Kommt es Ihnen manchmal seltsam vor, dass Ihr Erfolg auf der Verzweiflung junger Eltern beruht?

Erstmal habe ich damit nicht gerechnet. Und als es dann soweit war und ich mein Foto auf der Titelseite der Londoner „Times“ sah, fühlte es sich sehr unwirklich an. Dann rief mein Mann an: „Dein Buch ist auf Platz zwei bei Amazon.“ – „Welche Unterkategorie?“ – „Von ganz Amazon.“ Was mich tatsächlich berührt, ist der Gedanke, etwas gut gemacht zu haben.

Plötzlich waren Sie in der Rolle der Ratgeberin. Glaubt man einer These Ihres neuen Buchs – „40 werden à la Parisienne“ – ein untrügliches Zeichen fürs Erwachsensein.

Es war nicht so, dass ich mich auf einmal als weiser Erziehungsguru fühlte. Mich macht es glücklicher, wenn die Leute dieses Buch einfach lustig finden. Humor ist für mich der entscheidende Weg, wenn es darum geht, Informationen zu vermitteln. Besonders bei sehr ernsten Dingen.

In der Abhandlung übers Erwachsenwerden berichten Sie über Ihre mysteriöse Wandlung von der Mademoiselle zur Madame – und einige Seiten weiter schreiben Sie über Ihre Krebserkrankung. Wie geht es Ihnen jetzt?

Wieder gut. Das Non-Hodgkin-Lymphom wurde diagnostiziert kurz bevor „Bringing up Bébé“ herauskam. Damals habe ich nur meinen engsten Freunden davon erzählt und die Krankheit nicht öffentlich gemacht. Auf der Buchtour vor sechs Jahren war ich kahl, ich trug eine blonde Perücke.

Was hat Ihnen durch diese Zeit geholfen?

Am besten verstanden mich die, die selbst schwere Krankheiten durchgemacht hatten. Einer schickte mir eine gemütliche Decke, da fühlte ich mich ernstgenommen. Es gab auch viele unpassende Reaktionen. Einige Freunde meinten, es sei doch ein interessanter Zufall, dass sie jemanden kennen, der gerade an der gleichen Krankheit gestorben ist. Dann gab es Freundinnen, die meine schlanke Silhouette lobten oder rieten, jetzt sei genau die richtige Zeit, mir mal eine ausgiebige Pediküre zu gönnen. Irgendwann musste ich es dann meinem Verlag sagen, die Leute dort reagierten nett, doch sie machten sich auch weiterhin größte Sorgen wegen der Ménage-à-trois.

Ihr Verlag befürchtete, dass ein sehr persönlicher Text in der amerikanischen „Marie Claire“ Ihre Seriosität untergraben könnte?

Ja. Über den Dreier zu schreiben hat mich aber gelehrt, meinen Ton zu finden und ehrlich zu sein.

Ihr Mann hatte sich zum 40. Geburtstag Sex zu dritt gewünscht.

Ich wollte ihm eine Vintage-Armbanduhr schenken, aber er mochte lieber einen Dreier, was ich natürlich gerne möglich gemacht habe. Das Ergebnis war eine höfliche Angelegenheit. Nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt meine Mails checken will.

Im Herbst wird Ihr Mann 50. Haben Sie schon ein Geschenk?

Da haben wir bisher nicht drüber gesprochen!

Eine Orgie?

Müsste ich unbedingt dabei sein? Wäre es möglich, meine Anwesenheit auszusourcen? Ich könnte natürlich auch währenddessen nackt aus einer Torte springen, und alle müssten die Glasur abschlecken. Läuft die Aufnahme eigentlich noch?

Wie hat Ihr Umfeld auf die explizite Beschreibung Ihres Geschenks reagiert?

Die Hoffnung, dass meine Eltern den Text niemals zu Gesicht bekommen, wurde leider enttäuscht. Ein Freund meines Vaters hat die „Marie Claire“ in einem Wartezimmer durchgeblättert und sie ihm präsentiert. Und Dad meinte nur trocken: „Ganz gut geschrieben.“

„Macht Nacktfotos, solange ihr 25 seid!“

Pamela Druckerman arbeitet als freiberufliche Journalistin und Autorin.
Pamela Druckerman arbeitet als freiberufliche Journalistin und Autorin.

© Dmitry Kostyukov

Sie sind in Miami aufgewachsen, wo Ihre Eltern heute noch leben.

Stellen Sie sich jetzt bitte keine Strandtage in South Beach vor. Wir wohnten weit weg vom Meer und waren nicht gerade reich. In der Familie waren die unangenehmen Seiten des Lebens kein Thema, wir sprachen nicht darüber. Meine Eltern bemühten sich, Unerfreulichem aus dem Weg zu gehen. Stattdessen war Shopping ein Phänomen, das wir in aller Ausführlichkeit diskutierten. Meine Mutter führte ein Geschäft für Damenmode, dort trafen sich alle ihre Freundinnen.

Was war der Grund für diese Verdrängungsleistung Ihrer Eltern?

Ich bin schon beinahe ein Teenager gewesen, als ich dahinterkam, dass zwei meiner Großeltern und alle meine Urgroßeltern als Immigranten in die USA gekommen waren, hauptsächlich aus Russland. „Wir haben den Kontakt verloren“ – so erklärte man mir das Schicksal von Verwandten, die höchstwahrscheinlich im Holocaust ermordet worden waren. Meine Eltern wollten mich vor schlechten Nachrichten abschirmen, so lange es ging.

Ihre Mutter ist bei Ihrer Buchpremiere in Miami aufgetreten und hat Sie vorgestellt.

Es war entzückend, viele ihrer Freundinnen waren gekommen. Sie lobte das Buch, bat aber das Publikum, das erste Kapitel lieber mal zu überspringen.

Sie lachen. In diesem Kapitel geht es doch um Ihre Familie.

Ja, und ich musste daran denken, wie damals ein Freund meiner Eltern während einer Party in Schwierigkeiten geriet. Ich war sechs oder sieben und bekam die Aufregung mit, aber es hieß nur immer wieder: „Kein Problem, es ist nichts passiert.“ Auf die Idee, mir zu sagen „Larry Goodman ist betrunken in den Pool gefallen“, ist niemand gekommen. Es war übrigens der 40. Geburtstag meines Vaters.

Wissen Sie, was Ihre Mutter ihm geschenkt hat?

Wahrscheinlich eine Uhr. Meine Eltern waren so übertrieben positiv, dass ich darauf versessen war, die schlechten Nachrichten rauszufinden. Deswegen bin ich wahrscheinlich Journalistin geworden.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren fast obsessiv mit der Herkunft Ihrer Familie beschäftigt …

… „obsessiv“ trifft es ziemlich gut, ich war ja für niemanden mehr zu erreichen!

Als Auslöser für Ihre genealogische Phase beschreiben Sie die Anschläge auf Ihr Pariser Viertel im November 2015.

Richtig. Mein Mann saß als Sportreporter im Stade de France, unsere Kinder schliefen zu Hause beim Babysitter, und ich war bei Freunden in der Nachbarschaft. Wir leben nur einen Spaziergang vom Bataclan entfernt, kommen dort fast jeden Tag vorbei. Eine Bekannte konnte aus ihrem Fenster die Leichen vor dem Café Le Carillon sehen. Es fühlte sich danach plötzlich wichtig an, meinen Familienstammbaum zu kennen. Ohne konkrete Informationen über meine Herkunft kam ich mir vor wie ein im All herumirrender Astronaut. Und ich habe mich erinnert, dass es auch in meiner Familiengeschichte Terror gab.

Wie haben Sie Ihren Kindern die Anschläge in Paris erklärt?

Ganz aufrichtig. Nur als meine Tochter mich fragte, wie viele Anschläge es in meiner Nachbarschaft gegeben hat, als ich klein gewesen bin, war es unangenehm, „keine“ zu sagen.

Ihr eigener 40. Geburtstag liest sich in Ihrem Buch wie ein einziger großer Fehler.

Ja. Ich dachte, mit 40 sollte man das Leben führen, das einem tatsächlich entspricht. Ich wollte also nicht die üblichen Berufstätigen aus der Mittelschicht einladen, die Mütter in Elternzeit, mit denen ich sowieso immer zusammen war. Deshalb bat ich lauter Autoren und Intellektuelle in mein Wohnzimmer, sogar ein Ivy-League-Prof war darunter, außerdem eine Frau, deren Freund für den „New Yorker“ schreibt. Ich hielt mich für wahnsinnig erwachsen. Aber alle meine Versuche, eine salonartige Atmosphäre herzustellen, scheiterten, ich sprang verzweifelt von einem zum anderen, und habe seitdem kein Geburtstagsfest mehr veranstaltet. Doch zu meiner Verteidigung: Manche der Gäste sind heute Freunde geworden. Ziemlich erwachsen.

Was haben Sie aus Ihrer missglückten Party gelernt?

Dass ich schon immer Schwierigkeiten hatte, Freunde zu finden. Ich war lange ein typischer Sidekick egozentrischer, wunderschöner Frauen und fühlte mich zu Exzentrikern hingezogen. Wahrscheinlich imponierte mir, dass diese Menschen über jeden Selbstzweifel erhaben schienen. Als sich dann Freunde viel zu lange bei mir einquartierten, wurde mir klar, dass ich etwas ändern muss. Ich lernte, Narzissten zu erkennen, bevor sie mein Leben ruinieren.

Ist denen das aufgefallen?

Wahrscheinlich nicht.

Viele Menschen sagen von sich: Von 20 bis 30 – das war die schönste Zeit. Bei Ihnen auch?

Nein, gar nicht. Damals war mein Liebesleben eine absurde Folge von Sitcom-Episoden. Ist das nicht seltsam? Wenn man am attraktivsten ist, ist man auch am meisten besorgt, nicht schön genug zu sein.

Mögen Sie alte Bilder von sich?

Damals habe ich viele dieser Fotos nicht anschauen können. Aber selbst das schlimmste Bild aus dieser Zeit möchte ich heute groß ausdrucken und übers Sofa hängen. Vielleicht ist die Moral meines Buches: Macht Nacktfotos, solange ihr 25 seid! Aber schickt! Sie! Niemandem!!!

Haben Französinnen ein anderes Verhältnis zum Alter als Amerikanerinnen?

Absolut. Eine Freundin beobachtete neulich nach ihrer Pilates-Klasse eine 70-Jährige, die in Spitzenunterwäsche schlüpfte. Paare über 60, die in den Kaufhäusern zusammen Dessous begutachten, sind hier ganz normal. In Frankreich erwarten selbst Menschen, die nicht umwerfend schön und jugendlich sind, Sex zu haben.

Sie beschreiben aber auch das kühle Schweigen, mit dem Pariser Verkäuferinnen auf alle Kundinnen jenseits Kleidergröße 36 reagieren. Wie passt das zusammen?

Meiner Beobachtung nach sind Pariserinnen oft nur deshalb so gut gekleidet, weil es demütigend wäre, es nicht zu sein. Hier möchte niemand, zu keiner Uhrzeit, in einer Jogginghose im Supermarkt überrascht werden. Einmal traten eine Fremde und ich im selben Moment mit dem gleichen Kleid aus der Umkleidekabine. Eiseskälte.

Und in Amerika hätte man gelacht?

Vielleicht. Dort sind Frauen Schwestern im Kampf um gutes Aussehen. Ich erinnere mich, dass eine Verkäuferin meine Jeansgröße wissen wollte. „Wenn ich nochmal aufs Klo gehe, 26“, rief ich durch den Laden. Dann lachten wir zusammen. In Paris wäre das ziemlich unmöglich.

Würden Sie von sich selbst sagen: Ich war in der Midlife-Crisis?

Nicht im klassischen Sinn, dass ich mein ganzes Leben ändern wollte. Aber wie viele Menschen in dem Alter habe ich mit gesellschaftlichen Erwartungen gerungen und bin schließlich die geworden, die ich sein soll – im Guten wie im Schlechten. Und ich sage mir: Wenn nicht jetzt, wann dann?

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