zum Hauptinhalt
Daniela Krien, 44

© Diogenes Verlag / Maurice Haas

Interview mit Daniela Krien: „Von jetzt auf gleich war alles vernichtet“

Der erste Besuch im Westen, das Wagnis Literatur, eine schlimme Diagnose. Schriftstellerin Daniela Krien spricht über die Wendepunkte ihres Lebens.

Von

Daniela Krien, 44, ist Bestsellerautorin. Ihr erster Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ spielt im Sommer 1990 in der DDR, das zweite Buch „Die Liebe im Ernstfall“ schildert die Leben von fünf Zeitgenossinnen in Leipzig, wo Daniela Krien mit ihren beiden Töchtern lebt.

Frau Krien, Sie haben dieses Jahr einen literarischen Bestseller geschrieben. Ihr Roman „Die Liebe im Ernstfall“ erzählt von fünf Frauen in Leipzig, die ihr Leben meistern müssen – auch ohne Männer.
Das ist zumindest eine Botschaft des Buches: Frauen brauchen Männer nicht mehr unbedingt. Es gibt keine wirtschaftlichen Zwänge mehr, die sie an einen Mann fesseln.

Trotzdem daten Frauen lieber den Piloten als den Purser, lieber den Arzt als den Pfleger. Warum?
Das ist ein Relikt aus den alten Zeiten, als Frauen schauen mussten, dass sie und ihre Kinder versorgt sind. Das leistet ein Mann, der wirtschaftlich gut dasteht, eine anerkannte Stellung in der Gesellschaft hat, besser als einer, der Taxi fährt oder als Hilfspfleger im Krankenhaus arbeitet.

Würden Sie nach unten daten?
Eine heikle Frage. Mit einem Mann, mit dem ich mich nicht über Literatur unterhalten, nicht über relevante gesellschaftliche Themen austauschen kann, würde ich keine Partnerschaft eingehen. Dazu ist ein bestimmter Bildungshorizont nötig. Was finanzielle Dinge oder Status angeht, ist es mir weniger wichtig, wo jemand steht. Allerdings bevorzuge ich durchaus einen Mann, der finanziell unabhängig ist.

Am Ende sitzen wieder die Frauen mit den Kindern zu Hause – eine Lehre aus Ihrem Buch.
Stimmt, das machen oft die Mütter – und viele eine Zeit lang auch gern. Nicht jede Frau möchte ihre Kinder so schnell wie möglich abgeben. Ich kenne eine Wissenschaftlerin, die ihr Baby nach sechs Wochen zu einer Tagesmutter gebracht hat, weil sie einen Job mit Verantwortung hat, den sie keineswegs aufgeben möchte. Eine andere Bekannte hingegen hat sich dafür entschieden, Hausfrau und Mutter zu sein. Der Mann verdient das Geld, sie erzieht die vier Kinder. Sie hat es schwerer in der Außenwirkung, die Anerkennung wird ihr verweigert. Das Urteil über Frauen, die Familienarbeit dem Beruf vorziehen, ist häufig sehr hart – gerade von anderen Frauen.

Worüber sich Frauen auch beklagen: übersensible „Schmerzensmänner“. Finden Sie die anziehend?
Männer, die nicht in der Lage sind, über ihre Gefühle zu sprechen, finde ich unattraktiv. Man muss nicht jede Befindlichkeit nach außen tragen. Da bin ich für die Fassade. Sie hat eine schützende Funktion, für die anderen und für mich. Ich habe ein schwerbehindertes Kind, das ist zum Teil extrem anstrengend und sorgt auch für Verzweiflung, aber die mute ich der Außenwelt nur dosiert zu. Je negativer ich bin, je mehr Schmerz ich preisgebe, umso weniger Gutes kommt zurück.

„Ich bin dagegen, die Rollen völlig aufzulösen“

Daniela Krien 2011
Daniela Krien 2011

© imago stock&people

Haben Sie das nach der Diagnose erlernt?
Vorher war das gar nicht nötig. In den ersten Jahren nach dem Impfschaden meiner Tochter habe ich es teilweise nicht geschafft, irgendeine Form von Fassade aufrechtzuerhalten. Damals half mir ein Buch von Viktor Frankl: „ ... trotzdem Ja zum Leben sagen“. Darin beschreibt er das Konzentrationslager Auschwitz aus der Sicht eines Psychologen. Er war in verschiedenen Lagern, hat alle Verwandten verloren und dennoch beschlossen, sich nicht als Opfer zu fühlen. Seine Erkenntnis: Mein Schicksal gibt mir die Möglichkeit, über mich hinauszuwachsen. Die Sache an sich ist schlimm, aber ich habe die Deutungshoheit darüber. Mein Kind lehrt mich täglich Geduld, Demut und aktiviert die besten Seiten in mir.

Welche Pläne mussten Sie fallen lassen, als die Ärzte Ihnen klargemacht haben, dass Ihre Tochter lebenslang von Ihnen abhängig bleiben wird?
Von jetzt auf gleich war alles vernichtet, was ich mir vorgestellt hatte. Eine Zeit lang im Ausland leben? Erledigt. Nach meinem Studium im Kommunikationsbereich arbeiten? Ging nicht mehr. Ich wusste, ich würde keinen Job bekommen: Ich bin null flexibel, muss jeden Tag um drei zu Hause sein, werde nie abends einspringen können. Mir blieb nur das Schreiben. Ich hatte immer schreiben wollen, aber nie geglaubt, davon leben zu können.

Sie verdanken die Bücher Ihrer kleinen Tochter?
Ja, ich hätte den Schritt, als freie Schriftstellerin zu leben, vermutlich nie gewagt, wäre ich in einen normalen Job eingestiegen.

Die Behinderung folgte auf eine Sechsfachimpfung plus Pneumokokken-Impfung, als Ihre Tochter sechs Monate alt war. Was halten Sie von der Impfpflicht?
Nichts – ich finde, das sollten die Eltern entscheiden. Sein Kind zu impfen, ist ein Risiko. Sein Kind nicht zu impfen, ist ein Risiko. Die Eltern müssen mit den Folgen leben, und darum müssen sie auch die Entscheidung treffen

Das Robert Koch-Institut sieht keinen „echten ursächlichen Zusammenhang“, erklärt jedoch „Impfstoffe können Nebenwirkungen haben“.
Im Fall meiner Tochter sah es ein Gericht nach mehreren Gutachten als erwiesen an, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der schweren Schädigung meiner Tochter gibt. Mein Kind war vorher gesund. Alle bis zum Tag der Impfung erfolgten Untersuchungen bestätigten die völlig normale Entwicklung. Danach verlor meine Tochter nahezu alle bis dahin erworbenen Fähigkeiten. Vielleicht gab es in ihrer Biochemie irgendeine Abweichung gegenüber anderen Kindern, die dazu führte, dass die Reaktion derart zerstörerisch ausfiel. Es ist ein Übergriff des Staates, Menschen zu zwingen, dieses Risiko einzugehen.

Sie haben noch eine Tochter. Was bedeutet die Pflege der jüngeren Schwester für sie?
Sie ist vorzeitig gereift und in mancher – nicht in jeder – Hinsicht ziemlich erwachsen für eine 15-Jährige. Hilfsbereit, vernünftig, sozial, jedoch auch angestrengt von der Situation und manchmal traurig, weil ihr dieses normale Geschwisterleben früh genommen wurde. Sie musste immer akzeptieren, dass ihre Schwester mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil es gar nicht anders ging. Das Zurückstecken hat dazu geführt, dass sie viel kann. Sie kocht gut, backt besser als ich.

An einer Stelle schreiben Sie: Es lebe das Matriarchat! Ist das Buch ein feministisches Manifest?
Ja. Aber es richtet sich nicht gegen Männer. Feministisch ist es in dem Sinn, dass es zeigt, dass Frauen alles schaffen können – auch allein. Natürlich ist es wünschenswert, dass sich die Männer in Sachen Haushalt und Kinder ausreichend einbringen, aber tun sie es nicht, könnten sich beispielsweise die Frauen stärker solidarisieren.

Der Anteil der Frauen an der familiären Pflege stagniert seit Jahren bei 60 Prozent.
Wenn Sie mit familiärer Pflege das Kümmern um die Kinder meinen, dann Vorsicht. Es gibt Frauen, die entscheiden sich bewusst dafür. Wir entmündigen sie, wenn wir ihnen diese Entscheidung nicht zugestehen. Ich bin im Übrigen dagegen, die Rollen vollständig aufzulösen. Das heißt nicht, dass ich meinem Partner hinterherputze. Aber er ist ein Mann, ich bin eine Frau, wir sind unterschiedlich. Ich will den Mann, den ich liebe, nicht, weil er so ist wie ich, sondern auch, weil er anders ist. Anziehungskraft entsteht aus Differenz. Mein Partner repariert zum Beispiel gern und kann sich mit unendlicher Geduld in kleinteilige Bedienungsanleitungen vertiefen. Für mich ist stets nur wichtig, dass ein Ding funktioniert. Das Wie und Warum kümmert mich nicht.

Das ist doch sozial so erlernt!
Seit ich Kinder habe, glaube ich nicht mehr daran, dass geschlechtsspezifisches Verhalten nur ein soziales Konstrukt ist. Der Mensch kommt nicht voraussetzungslos auf die Welt. Die Genetik spielt eine ebenso große Rolle. Bei meiner großen Tochter war ich noch extrem feministisch eingestellt, dachte, da stelle ich keine Puppen hin, die kriegt Bagger und Polizeiautos zum Spielen. Die haben sie gar nicht interessiert. Während stundenlanger Spielplatzbesuche habe ich immer wieder beobachtet: Kleine Mädchen interessieren sich eher für andere Kinder, Jungs eher für Dinge.

Klingt sehr nach Klischee.
Das ist zunächst mal eine Beobachtung: Die meisten kleinen Jungs gucken an jeder Baustelle dem Bagger zu, die meisten kleinen Mädchen nicht.

„Ich merke schnell, ob jemand im Westen aufgewachsen ist“

Daniela Krien 2011.
Daniela Krien 2011.

© imago stock&people

Sie haben kürzlich gesagt, Kinder haben und kreativ sein, sei unvereinbar. Sie sind der Gegenbeweis!
Ich kann nicht kreativ sein, wenn meine Töchter in der Nähe sind. Es sind extrem gegensätzliche Tätigkeiten. Als Mutter, zumal als Pflegende einer schwerbehinderten Tochter, bin ich in einer dienenden Rolle. Es geht nicht um mich. Beim Schreiben übernimmt das Ego. Ich muss meine Wahrnehmung wichtig genug nehmen, um das Werk, das daraus entsteht, der Welt zu präsentieren.

Sie sind in Mecklenburg geboren, in Sachsen aufgewachsen. In Ihrem ersten Roman schildern Sie, wie sich eine junge Frau in München nach der Wende fremd fühlt. Kennen Sie dieses Gefühl?
Ja, der erste Westbesuch in einer oberfränkischen Kleinstadt hatte für mich etwas Demütigendes. Ich war 14, meine Mutter und ich standen in einem Obstladen. Die Unsicherheit, mit der wir unbekannte Früchte betrachteten, war natürlich auffällig. Den Blick des Ladenbesitzers habe ich als ziemlich schmerzhaft empfunden. Und in Bayern fand ich Anfang der 90er einen Brief unter dem Scheibenwischer meines Autos: Hallo Ossis, es ist an der Zeit, euch zu sagen, was wir von euch halten … Dann folgte eine Beschimpfung, wie undankbar, dumm, hässlich und faul wir alle seien. Dass es besser wäre, die Mauer wieder hochzuziehen.

Kehrt dieses Fremdheitsgefühl ab und an wieder?
Ja, manchmal in Gesprächen. Ich merke schnell, ob jemand im Westen aufgewachsen ist. Bis in meine Generation hinein gibt es Unterschiede im Habitus: Der Umgang mit Geld ist oft anders. Viele Freunde aus dem Osten haben sich nie vernünftig mit Finanzen beschäftigt. Das Kümmern um Geld, das Reden darüber hat für sie etwas Anstößiges.

Welche Erklärung haben Sie dafür?
In der DDR spielte Geld keine wichtige Rolle. Nicht weil die Menschen bessere waren, sondern weil das System es erzwungen hat. Was hätte man damit machen sollen? Die Geschäfte waren leer, man konnte keine tollen Reisen machen, es gab für jeden ungefähr das Gleiche.

Haben Sie jemals im Westen gewohnt?
Ein paar Jahre in Oberfranken und monateweise in Frankfurt am Main. Mich hat es immer zurückgezogen. Der Osten bedeutet Heimat für mich. Meine Freunde haben den gleichen Erfahrungshintergrund wie ich, hier muss ich weniger erklären. Von Rückkehrern höre ich immer wieder, dass sie sich im Westen auch politisch fremd gefühlt hätten. Im Osten sei etwas erhalten geblieben, eine Identität, die der Westen längst abgelegt habe, weil er sich nahezu vollständig mit der Kultur der alliierten Besatzungsmächte identifiziert habe. Das sei im Osten gegenüber den Sowjets nicht geschehen. Ich denke, hier liegt ein Grund für das Erstarken nationalkonservativer Kräfte.

Das hat man jüngst gesehen. Wie geht es Ihnen nach der Wahl in Sachsen?
Das Land wird wegen einer starken AfD nicht untergehen, die Demokratie auch nicht. In einem demokratischen Staat gibt es ein politisches Spektrum, das geht von links nach rechts. Ich finde es gefährlicher, alle Menschen, die sich nicht linksliberal positionieren, sondern rechts der Mitte, zu verachten, zu kriminalisieren und sie dadurch weiter zu radikalisieren. Ich kenne Leute, die wählen AfD aus Frust. Die sagen, wir haben uns so oft als Nazis beschimpfen lassen müssen, weil wir die Flüchtlingspolitik kritisiert haben – jetzt reicht’s, jetzt wählen wir die AfD.

Spätestens seit den Ereignissen in Chemnitz vor einem Jahr ist eine rote Linie überschritten worden.
Ja, aber Rechtsradikale sind eine kleine Minderheit von denen, die AfD wählen. Nicht wenige kommen aus dem bürgerlichen Lager. Weil die AfD als einzige Partei ihre politische Haltung ungefähr repräsentiert: einen Konservatismus mit einem kalten, nüchternen Blick auf die Veränderungen im Land. Das hat früher eine CDU gemacht.

Spaltet das Thema ihren Freundeskreis?
Zum Teil. Besonders diejenigen, die sich als linksliberal verstehen, wenden sich von denen ab, die ihnen nicht zustimmen. Mit der Kritik an ihrer Haltung können viele Linksliberale nicht umgehen. Sie verletzt offenbar ihr Selbstbild des moralischen Überlegenseins. Gleichzeitig bilden sich Zirkel gleichgesinnter Konservativer, die aus Angst vor sozialer Ächtung nicht mehr offen sprechen. Wenn ich jetzt Leute zum Essen einlade, sage ich manchmal: Die Politik bleibt heute draußen.

In Ihrem Buch finden die Figuren Halt in der Musik. Rachmaninoff, Bach, Mahler. Sie auch?
Ich höre fast nur Klassik. Das ist eine Leidenschaft und ein kleiner Schmerz in meinem Leben. Als Kind wollte ich Klavier spielen lernen. Zu DDR-Zeiten war es schwierig, einen Platz an der Musikschule zu bekommen. Die Kinder staatskonformer Eltern wurden bevorzugt. Meine Eltern waren weder in der Partei, noch sonst politisch engagiert.

Hilft Ihnen die Musik beim Schreiben?
Ich weiß genau, was ich hören muss, um mich in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Wenn ich Pathos brauche, hilft mir das Allegretto aus der Siebten Symphonie von Beethoven. Beim ersten Buch habe ich Mahler rauf und runter gehört, und ein Freund von mir, der Dirigent ist, sagte nach dem Lesen des Manuskripts: Weißt du, welche Musik mir sofort dazu einfällt? Mahler!

Zur Startseite