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Höhepunkt? Tiefpunkt? Als der rheinland-pfälzische AfD-Politiker Uwe Junge Anfang Juli in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ auftrat, war die Aufregung riesig.

© Horst Galuschka/dpa

In der Bräsigkeits-Falle: Talkshows verlieren massiv Zuschauer

Die politischen Talkshows entwickeln sich nicht mehr weiter. Die Zuschauer wenden sich ab. Dabei haben die Bürger das Interesse an Politik neu entdeckt.

Die Kritiker werden sich jetzt die Köpfe wundnicken, wenn sie diese Zahlen lesen. Die politischen Talkshows haben in der gerade abgelaufenen Saison 2018/19 an Zuspruch verloren. Daran ändern auch die 2,51 Millionen Zuschauer nichts, mit denen „Hart aber fair“ am Montag als letztes Format in die Sommerpause gegangen ist.

In der Gesamtschau zeigt sich, dass „Anne Will“ unangefochten an der Spitze talkt. Durchschnittlich 3,36 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben Sonntag für Sonntag den 60-Minuten-Talk nach dem „Tatort“ eingeschaltet. Das ist im Vergleich mit dem Wert in der Saison 2017/18 ein Verlust von fast 400.000 Zuschauern.

Wie „Anne Will“ haben auch die übrigen ARD-Angebote sinkende Aufmerksamkeit zu gegenwärtigen. „Hart aber fair“ meldet nach den Zahlen der ARD-Medienforschung für die abgelaufene Saison durchschnittlich 2,52 Millionen Zuschauer, davor waren es noch 2,95 Millionen. Die Werte für „Maischberger“: 1,25 Millionen zu 1,49 Millionen in 2017/18.

Talkshows: Bundestagswahl und Regierungsbildung als Quotentreiber

Der Abschwung für den Polittalk im Ersten Deutschen Fernsehen reflektiert zunächst die politische Wirklichkeit in Deutschland. Am 24. September 2017 wurde ein neuer Bundestag gewählt. War schon zuvor die Aufmerksamkeitsspanne für Politik und Parteien deutlich höher als zur Mitte einer Legislatur, so konnte es danach keinen Abfall geben, alldieweil sich nach dem Wahltag das talktaugliche Drama der Regierungsbildung hinzog. Zudem war die AfD zur größten Oppositionsfraktion im Parlament aufgestiegen. Derartige Aufregung und Push-Momente sind für die Saison 2018/19 nicht zu vermelden – womit die scheinbar osmotische Abhängigkeit des Polittalks von der Politik erneut testiert ist. Die ZDF-Konkurrenz folgt dem ARD-Trend. Der Wert für „Maybrit Illner“ lag 2017/18 bei 2,60 Millionen, 2018/19 ist er auf 2,45 Millionen gesunken. Im Vergleich hat sich das ZDF-Format freilich am besten gehalten. Was also kann die politische Talkshow dafür, wenn die Politik nicht das Framing setzt, in und mit dem sich „Anne Will“ & Co. quotenstark behaupten können? Das Fernsehformat kann viel, sehr viel dafür. Zunächst interessieren sich, wenn alle vier Sendungen in einer Woche laufen, an die zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer fürs verbale Nachdenken über die Themen des Tages und der Zeitläufte. Das ist eine ungeheure Zahl, aus der Aufgabe und Herausforderung erwachsen.

Talkshow-Biotop wirkt wie ein stehendes Gewässer

Neue Aufgabe, neue Herausforderung. Nicht nur Kritiker und Talkshow-Hasser stellen eine ermüdende Orthodoxie in diesen Gesprächssendungen fest. Das Talk-Biotop wirkt wie ein stehendes Gewässer, über das ein immergrauer Himmel gespannt ist. Das Ausmaß, wie Bürger ihre Lust und ihren Frust an der Politik neu entdecken – gefasst im Dichotom von „Fridays for Future“ und AfD –, wird in dieser TV-Wirklichkeit nicht gespiegelt.

Müssen zudem immer vier, fünf Menschen im Halbrund sitzen, damit das Thema in seinen Positionen und Perspektiven besetzt? Ist der Einspielfilm der richtige Sprengsatz, damit wieder Schwung ins defensiv abgezirkelte Gespräch kommt?

Der Rückgang der Quoten ist dem Überangebot an Polittalks geschuldet, in der immer dieselben Gäste die eigenen Ansichten marktschreierisch feilbieten und sich über ihre jeweiligen Gegner empören. Weniger Sendungen dieser Art wäre kein Schaden.

schreibt NutzerIn Goebel

Natürlich, das Genre kennt seine Gesetze und Gesetzmäßigkeiten, bedenklich allerdings, dass die Regelsendungen zur Dauerschleife geronnen sind. Es steckt mehr Potenzial drin, als ausgenutzt wird: Eins-zu-eins-Gespräche, andere, jüngere Moderatorinnen und Moderatoren, die Betroffenen von Politik mehr als die Betroffenheitslieferanten von Politik.

Eine Talkshow ist weit mehr als der Stammtisch, wo sich die Immergleichen in ihrer Meinung versteinern helfen.
Und dann ist da die Frage, mit der sich sowohl die vergangene als auch die kommende Talkshow-Saison überschreiben lässt: Wie hältst du’s mit der AfD? Spätestens wenn die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen, Sachsen anstehen und die Ergebnisse vorliegen, wird es Antworten brauchen.

Wie sollen Talkshows mit AfD-Politikern umgehen?

Die Präsenz des rheinland-pfälzische AfD-Politikers Uwe Junge bei „Hart aber fair“ hat doch vorgeführt, wie unverändert nach einem passenden Konzept für den Umgang mit der rechtspopulistischen Partei gesucht wird – gesucht werden muss. (Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war Uwe Junge als hessischer AfD-Politiker betitelt worden.) Die Talkshows haben die AfD nicht groß gemacht, das ist ein zu kurzschlüssiger Gedanke, zugleich wissen die Rechtspopulisten das Pro-und-Contra-Setting des Formats, den Mobilisierungseffekt, den Illusion-of-Truth-Effect – ewiges Wiederholen einer Information schafft den Eindruck von wahrer Information – für sich zu nutzen.
Bis zum Start der nächsten Talksaison haben die Redaktionen einige Wochen Zeit zum Nachdenken. Wie das Format aus seiner lieb gewonnen Statik ausbrechen und zu neuer Dynamik finden kann. Nur Stühlerücken wird nicht reichen.

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