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Touristen aus Hongkong stehen mit Mundschutz vor dem Brandenburger Tor.

© Jörg Carstensen / dpa

Hypochondrie und Corona: Die Angst, am Virus zu erkranken

Die Welt kämpft gegen die Corona-Pandemie. Menschen, die unter somatoformen Störungen leiden, kämpfen mit der reinen Angst einer möglichen Erkrankung.

Der Fahrstuhlknopf im Büro, der Türöffner in der U-Bahn, ein fleckiges Glas im Restaurant oder das Anheben des Toilettendeckels in öffentlichen Gebäuden – wenn Sie diese Aufzählung gerade völlig kalt gelassen hat, können Sie sich glücklich schätzen. Dann gehören Sie zu der Gruppe Menschen, welche wahrscheinlich eine eher geringe oder gar keine Angst vor Keimen und Viren hat.

Wenn Ihnen allerdings gerade ein leichter Schauer über den Rücken gelaufen ist oder Sie sogar schon das aufkeimende Herpesbläschen an Ihrer Lippe spüren, dann dürfte in Zeiten der Corona-Pandemie eine gewisse Panik in Ihnen schlummern.

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Eine „gesunde“ Angst ist auch durchaus erlaubt. Wenn in diesen Tagen der Sitznachbar im Bus plötzlich zu husten beginnt, werden wahrscheinlich in jedem von uns Signale ertönen und hypochondrische Denkweisen geweckt: „Hat der Fremde das Virus? Bekomme ich es jetzt auch? …. Er hat gehustet; auch noch trocken, ich hab’s genau gehört. Und dann auch noch in meine Richtung!“

Rainer Hellweg, geschäftsführender Oberarzt der psychiatrischen Klinik der Charité Mitte, kann beruhigen: „Wir wissen über die Corona-Infektion und den Verlauf bisher noch zu wenig und die an Coronaviren Erkrankten zeigen oft sehr unspezifische Symptome, die auch grippe- oder erkältungsähnlich wirken können. So gesehen ist nicht jeder ein Hypochonder, der sich darüber Gedanken macht, womöglich mit Coronaviren infiziert zu sein.“

Menschen mit hypochondrischer Störung

Aber es gibt durchaus Menschen, die in solchen Momenten tatsächlich unter einer unangemessen starken Angst leiden, zu erkranken oder sich anzustecken und die sich bei den kleinsten Symptomen hierin bestätigt fühlen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man diese Menschen als Hypochonder. Doch Hellweg erklärt: „Die hypochondrische Störung ist nach moderner Klassifikation nur eine Form der sogenannten somatoformen Störung.“

Prof. Dr. Rainer Hellweg ist Geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Mitte.
Prof. Dr. Rainer Hellweg ist Geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Mitte.

© privat

Menschen, die unter diesen Störungen leiden, seien immerzu in Sorge um ihre Gesundheit. „Das kann auch eine ausgeprägte hypochondrische Störung sein, wenn zum Beispiel diese Personen glauben, sie haben Krankheiten wie Aids oder Corona und sie überhaupt nicht davon abzubringen sind, selbst wenn sie diesbezüglich negativ getestet werden.“ Diese Menschen seien vom Corona-Phänomen jetzt besonders betroffen.

Corona-Pandemie für Angstpatienten besonders belastend

„Wenn sie sowieso schon immer besorgt sind und glauben, dass sie an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten leiden, welche man nur noch nicht erkannt hat, dann wird so eine Corona-Pandemie für diese Patienten zu einer weiteren Bedrohung“, sagt Hellweg und betont, dass solche Umstände die somatoformen Störungen nochmals verstärken.

Hintergründe über das Coronavirus:

Die Diplompsychologin Cornelia Praetorius, Leiterin des Berliner Krisendienstes Region Nord, vermutet ebenso wie Rainer Hellweg, dass „Menschen mit einer Angsterkrankung in solchen Zeiten noch mehr belastet“ sind.

Auch ihre Kollegin Angela Hofmeister stuft das Coronavirus als einen weiteren Faktor der Verunsicherung ein. Sie weist darauf hin, dass der Berliner Krisendienst für „Menschen, die durch die Corona bedingte Krisengesamtsituation verunsichert sind" oder dadurch überwundene schwierige Lebenssituationen wieder angetriggert bekommen, eine gute Beratungsmöglichkeit bietet. Derzeit hielten sich die Anfragen jedoch noch in Grenzen.

Überfüllte Notaufnahmen und Testzentren

Problematischer sieht es in den Krankenhäusern aus: Rainer Hellweg bestätigt, dass die Notaufnahmen derzeit überfüllt sind. Menschen, die zur Hypochondrie neigen, seien in solchen Zeiten besonders angetrieben, eine Rettungsstelle aufzusuchen.

Doch auch jene Patienten, die nicht unter einer Angst- oder somatoformen Störung leiden, sind verunsichert und stürmen in die Testzentren. „Ohne das Wissen um die Corona-Pandemie würden viele Patienten mit unspezifischen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Nasenfluss und Kratzen im Hals normalerweise nicht unbedingt ärztlichen Kontakt aufsuchen“, betont Hellweg.

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Das würde daran liegen, dass momentan die Coronavirus-Pandemie wenig beherrschbar erscheint „und alles, was unbeherrschbar als Gefahr droht und möglicherweise auch tödlich enden kann, löst beim Menschen Angst aus.“ Und jene Menschen, die an einer somatoformen Störung leiden, ließen sich durch solche unkalkulierbaren Bedrohungen besonders beeinträchtigen.

Während den Durchschnittspatienten spätestens ein negatives Testergebnis beruhigen dürfte, glaubt der „Somatisierer“ dann noch immer, dass der Test eventuell nicht korrekt oder zum falschen Zeitpunkt durchgeführt wurde. Rainer Hellweg spricht vom „Patienten mit der dicken Akte“, der sich wieder und wieder testen lassen will aufgrund seiner "katastrophisierenden Gedanken". Der nächste Besuch in der Rettungsstelle oder beim Hausarzt ist also vorprogrammiert. Und die Angst vor dem unbekannten Coronavirus bleibt.

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