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Streuner auf Ko Samui.

© privat

Hunderetten im Ausland: Das Helfer-Syndrom

Sie fliegen um die halbe Welt, weil Strände locken. Dann rührt ein sieches Tier ihr deutsches Herz. Warum Urlauber tausende Hunde mit nach Hause bringen.

Es sieht schon arg ungelenk aus, wie der deutsche Tourist da unter die Plastikplane krabbelt, mitten in der Einkaufsmeile Choeng Mons, im Nordosten der thailändischen Urlaubsinsel Ko Samui. Für optimale Sicht aufs Spektakel sind die Gäste des Nachbarcafés aufgestanden, sie tuscheln, glucksen, einer macht Fotos. Der Deutsche möchte einen Hund einfangen, der am Ohr blutet und deshalb vielleicht zum Arzt muss. Bloß will sich das Tier gar nicht einfangen lassen, sondern huscht, sobald der Tourist vollständig unter der Plastikplane verschwunden ist, am anderen Ende heraus und flüchtet. Eine Souvenirverkäuferin am Straßenrand bekommt Mitleid. „Ihr kümmert euch sehr gern um Hunde, ihr Deutschen, oder?“

Ja, das tun sie. Gerade im Urlaub, gerade in Ländern, in denen Haustiere herrenlos auf der Straße leben. Füttern oder gesund pflegen ist das Mindeste, besser noch: einsammeln und mit nach Hause nehmen. 50 000 Hunde werden jedes Jahr von Deutschen aus Urlaubsländern importiert. Die meisten aus Spanien, Portugal, Griechenland, der Türkei, Marokko oder eben Thailand.

Der Deutsche, der den blutenden Hund auf Ko Samui nicht einfangen kann, holt schließlich Hilfe. Er schaut ins Internet und findet einen einzigen Tierschutzverein auf der Insel. Der wurde, wen wundert’s, von einer Deutschen gegründet. Brigitte Gomm aus Berlin lebt seit 2001 auf Ko Samui, betreibt hier ein Hotel. Weil sie den Anblick der zahllosen Streuner nicht ertrug – die meisten unterernährt, viele von Parasiten befallen, etliche mit Narben oder Knochenbrüchen, weil sie im Straßenverkehr angefahren wurden –, rief sie das „Dog & Cat Rescue Center Samui“ ins Leben. Alle Hunde, die nach Hinweisen von Touristen im Rescue Center landen, werden routinemäßig gegen Tollwut geimpft und kastriert, im Durchschnitt sind es sechs pro Tag. Genesen die Tiere vollständig, werden sie an der Straßenecke ausgesetzt, an der sie gefunden wurden. Die chronisch Kranken bleiben dauerhaft bei Gomm. 350 sind es derzeit. Manche kriegen deutsche Namen verpasst, „Tienchen“ oder „Krümel“ zum Beispiel. Der Verein finanziert sich komplett über Spenden. Der größte Teil kommt von Deutschen, die mal auf Ko Samui ihren Urlaub verbracht haben.

Die systematischen Kastrationen wirken. Vor Brigitte Gomms Ankunft auf Ko Samui ließ die Provinzregierung regelmäßig hunderte Streuner einfangen und töten, um die Population zumindest stabil zu halten. Anderswo sind drastische Maßnahmen noch üblich: Im indischen Bundesstaat Kerala etwa hat die dortige Verwaltung gerade die Anweisung gegeben, sämtliche Straßenhunde zu erschießen.

Dass der Retterdrang der Deutschen im Ausland besonders stark wird, ist kein Zufall, sagt Ursula Bauer vom Berliner Verein „Aktion Tier“. Urlaub sei schließlich per se die Zeit, in der „Köpfe frei werden und Blicke neugierig umherwandern“, Missstände erkannt werden. Und weiter: „Am liebsten möchte man alle Tiere einsammeln und mitnehmen.“ Das solle man sich aber besser zwei Mal überlegen. Denn viele, die sich im Urlaub in einen Streuner verliebten und spontan zur Adoption entschieden, würden die gesetzlichen Bestimmungen nicht kennen. Wer einen Straßenhund aus einem anderen EU-Staat nach Deutschland importieren will, muss sich vorher von einem Arzt einen „EU-Heimtierpass“ ausstellen lassen, auch die Tollwutimpfung ist Pflicht. Bei Einfuhr aus dem nichteuropäischen Ausland braucht es nach der Impfung noch einen Bluttest. Wer dagegen verstößt, riskiert, dass der deutsche Zoll sein Tier beschlagnahmt und es für drei Monate in Quarantäne steckt – die Kosten für die Unterbringung zahlt dann der Neubesitzer.

Gerade weil die bürokratischen Hürden enorm sind, gibt es inzwischen Dutzende deutsche Vereine, die sich auf das korrekte Einführen von Straßenhunden spezialisiert haben. . 

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