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Ironische Street-Art auf dem Zimmer. Das gewaltige Kopfteil des Bettes lässt sich per Knopf in Schwarzlicht tauchen.

© promo

Hotelkolumne: In fremden Federn: The Weinmeister für eine Nacht

Draußen All Saints, drinnen „Adults only“: Was hätte Rudolf Steiner wohl zu seinen neuen Nachbarn gesagt?

Ob sich Rudolf Steiner wohlfühlen würde im Kreis seiner neuen Nachbarn? Direkt neben dem Waldorfzentrum Ecke Weinmeister- und Rosenthaler Straße konkurrieren Hugo, All Saints und „Kauf dich glücklich“ um Kundschaft. Und was hätte der Erfinder der Waldorfschulen erst zum Katjes Café gesagt? An den veganen Kuchen hätte er vielleicht Gefallen gefunden, schließlich glaubte er, dass tierische Nahrung den Menschen zum Krieg verleite. Aber ansonsten bildet das Café nicht nur geografisch, sondern mit den pink-weißen Wänden vor allem ästhetisch den diametralen Gegenpol zur Steinerschen Lehranstalt vis-à-vis.

Aber gut, eh müßig. Der Österreicher ist tot. Seine Ideen jedoch leben, wie die in der Dämmerung heimelig leuchtenden Glasfenster in dem gelbbraunen Klotz beweisen. Also lassen wir uns mal einen Abend auf sie ein.

Steiner glaubte, der Mensch gliedere sich auf in Geist, Leib und Seele. Was braucht die letztgenannte? Ein Zuhause. Für heute Nacht soll es The Weinmeister sein. Dessen Motto „Adults only“ hätte Steiner zwar nie unterschrieben, aber sicher hätte er die ironische Street-Art im Treppenhaus gelobt oder die übergroßen Sessel in der Lobby, die halb an Strandkörbe und halb an Videospielautomaten erinnern. Die Form findet sich auf dem Zimmer wieder in einem gewaltigen Kopfteil des Bettes, das sich per Knopf in Schwarzlicht tauchen lässt.

Im Absinth-Depot gibt es Chansons und hunderte Schnäpse

Dem Geist bietet das Zimmer nur eine Ausgabe der Zeitschrift „Couch“ und den Fernseher. Dann doch lieber ein paar Meter die Straße runter ins Absinth-Depot, dem wohl einzigen Laden in Mitte, in dem kein Hip-Hop läuft. Stattdessen gibt es Chansons, goldene Tapete und mehr als 300 Sorten des berüchtigten Kräuterschnapses. Während drinnen Eiswasser die „Hausmarke bitter“ zum milchigen Trunk verwirbelt, tragen draußen Menschen mit blanken Knöcheln Einkaufstüten von Acne rüber zu Urban Outfitters.

So kann man sich natürlich auch um den Leib kümmern. Der eigene verlangt jedoch nach Nahrung. Steiner wäre vielleicht zur Hofpfisterei gegangen und hätte sich gutes Brot gekauft. Aber predigte er nicht auch Neugier? Die befriedigt District Mot, jene rummelige Imitation eines Saigoner Straßenmarktes, die neben Tofu und Huhn auch Froschschenkel und frittierte Seidenraupen serviert. Wieder was gelernt.

Als man später in der Hotelbadewanne, wie man so sagt, die Seele baumeln lässt, erinnert man sich, dass Steiner selbige noch mal in Denken, Fühlen und Wollen aufteilte. Soso, denkt man und fühlt Erheiterung. Und was will man? Morgen erst mal ins Katjes Café!

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