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Astrein. Durch die dünnen Baumstämme haben Wanderer eine tolle Aussicht – wenn nicht gerade die Atemnot davon ablenkt.

© mauritius images

Höhenkrankheit in Kolumbien: Bis zur bitteren Wende

Den Bergsteigern wird ab 3000 Meter Höhe schwindelig. Zum Glück ist in den kolumbianischen Anden ein Kraut dagegen gewachsen.

Die Sonne knallt. Im Wald ist es schwül, die Bäume atmen warmen Wasserdunst aus. Um acht Uhr wandert die Gruppe zwischen grasenden Kühen und Wachspalmen hinauf in den Regenwald von Kolumbiens Anden. Schokoriegel, isotonische Getränke und Erdnüsse füllen die Energiespeicher auf. Mehrfach geht es über wackelige Hängebrücken, und auf einmal scheint ein Bad in dem reißenden Fluss gar keine so schlechte Idee.

Santiago, der Bergführer, hatte während des Frühstücks noch nach dem Fitnesslevel gefragt: Kommen die Teilnehmer gerade erst aus dem Flachland, oder haben sie sich schon an die Höhe gewöhnt? Wie gut sind sie trainiert? Kolumbiens Hauptstadt Bogotá befindet sich auf 2600 Meter, das gesamte Land liegt verhältnismäßig hoch. Drei Tage soll die Wanderung dauern, mit Auf- und Abstiegen und Übernachtungen in Hütten. Das Ziel: die Gletscherkante des Nevado del Tolima, eines inaktiven Vulkans. Die Route führt immer wieder bergauf und bergab, von 2390 auf knapp 5000 Höhenmeter. Nur Felsklettern sei noch schwieriger, hatte Santiago gesagt. In der fünfköpfigen Gruppe herrscht Optimismus, niemand klagt bisher über Probleme mit der Höhe.

Morgens gab es deftiges Essen, „arepas“ (Maisfladen) und „huevos picados“ (Rührei mit Tomaten und Frühlingszwiebeln), mittags stehen gefüllte Tortillas und „agua panela“, in Wasser aufgelöste unraffinierte Zuckerbrocken, auf dem Speiseplan. Nach dem Mahl geht es sofort weiter. Santiago will den strengen Zeitplan einhalten. Wachspalmental, Regenwald und nun der Paramo, das dritte Ökosystem des Tages mit seinen charakteristischen hohen Gräsern und Sträuchern.

Die erste Etappe ist fast geschafft

Dort erwarten uns bereits die Mönche. Nicht etwa Einsiedler in Kutten, sondern Abertausende von rosettenförmigen Blätterkronen auf kurzen, dicken Stämmen. Was zunächst aussieht wie eine verschrobene Palme, die wegen der kalten Wolkenschleier und der hohen Lage den Kopf eingezogen hat, stellt sich als Artverwandte der Sonnenblume heraus. So erklärt es Santiago, der Biologe. Frailejones heißen sie auf Spanisch, riesige Kreuzkräuter.

Am Ende des Tages geht es wieder ein Stück den Berg hinunter. Beim Abstieg ist Santiago anzumerken, wie erleichtert er ist, dass er die erste Etappe fast hinter sich und die Gruppe sicher auf den Berg und wieder zur Hütte gebracht hat. Wohl deswegen, und vielleicht auch mit gelöster Zunge nach dem Wein zum Mittagspicknick, erzählt er von seiner Zeit beim Militär: Wie er als verantwortlicher Sanitäter mit seiner Truppe in den Bergen herumwanderte, wie man ihm Bilder von getöteten Soldaten zeigte. So würde es ihnen auch ergehen, sagten die höheren Militärs, wenn sie im dichten Regenwald nicht die Guerillakämpfer zuerst erschießen würden. Plötzlich erscheint einem die Vorfreude auf Dusche und Hotelbett dekadent.

15 Tage ununterbrochener Touren, also fünf Dreitages-Treks am Stück waren Santiagos Rekord bisher, nebenbei baut er sein Elternhaus im nahe gelegenen Pereira zu einem Hostel aus und erstellt Gutachten für das Umweltministerium der Region. Englisch spricht er nicht, die Reiseteilnehmer aus den USA verstehen kaum Spanisch. Man verständigt sich buchstäblich mit Händen und Füßen.

Ein flaues Grummeln macht sich breit im Magen

Nach einer weiteren Snackpause ist es nur noch ein kurzer Abstieg bis zur Hütte. Der Ausblick von der letzten Erhebung verstärkt das Bergfieber: Unten drückt sich das Holzgebäude an einen Abhang, dahinter wölbt sich nach innen ein Tal, das in weiten Falten zu einem Bergrücken aufsteigt. An dessen Ende ragt der Nevado schroff empor. Der Gletscher ist wolkenumhangen und im Rücken sonnenerleuchtet, als trüge der Vulkan einen Heiligenschein. Den Gedanken daran, dass es am kommenden Tag nicht nur dort hinauf, sondern auch wieder zurückgehen soll, verdrängt man lieber schnell.

An der Hütte flüchtet sich die Gruppe mit Tassen voll dampfendem Kaffee vor dem eintretenden Regen unter das Dach. Langsam wird klar, warum ein Handtuch nicht auf der Packliste stand. Bei der feuchten Kälte, die unter Daunenjacken und dicke Jogginghosen kriecht, will ohnehin niemand duschen. Die Zimmergenossen bibbern. Da helfen nur noch mehr Kleidungsschichten – und die Flucht in den wärmsten Raum der Hütte, die Küche. Dort bollert der Ofen und wartet das kohlenhydratreiche Abendessen: eine Fertigsuppe, dann Reis und eine Bratwurst. Vegetarier werden hier nicht verwöhnt.

Santiago weist die Wanderer an, sich sofort bei ihm zu melden, wenn es jemandem in der Nacht plötzlich schlecht gehen sollte, jemand nicht schlafen kann oder sich schwindelig fühlt. Fünf Minuten später ist es prompt so weit: Ein flaues Grummeln macht sich im Magen breit, der Kopf fühlt sich an, als schwebe er einen halben Meter über dem Hals und sei kurz vorm Bersten. Höhenkrankheit. Santiago kocht einen Tee aus Kokablättern und befiehlt, viel davon zu trinken. Eine halbe Stunde später geht es ins Bett – in der Hoffnung, dass der Körper sich möglichst über Nacht adaptieren möge. Das klappt jedoch nur mittelmäßig. Der nächtliche Ausflug zur Toilette gerät zur Polarexpedition: So kalt ist es in der Hütte, dass man alles tun möchte, um nicht aufstehen zu müssen.

Der Körper schafft es einfach nicht

Kolumbianischer Koka.
Kolumbianischer Koka.

© imago/Manfred Ruckszio

Morgens um sechs Uhr gibt es wieder eine Energiemahlzeit, Arepas und Rührei. Verschlafen trottet die Gruppe hinab zum Fluss. Das Fiese an der heutigen Etappe: Zuerst verliert die Route an Höhenmetern, bevor es Richtung Gletscher richtig hoch hinaufgeht. Santiago erkundigt sich immer wieder nach dem Befinden. Eine halbe Stunde Pause. Der Bergführer zieht ein buschiges Kraut aus dem Boden. Levantamuertos heißt es, Totenerwecker. Aufgebrüht mit Ingwer soll es gegen Schmerzen und Übelkeit helfen. Noch schnell einen Esslöffel Kokapulver hinterher und wie Kautabak in die Wangentasche gestopft. Nur langsam löst sich das bittere Pulver auf, bringt das Zahnfleisch zum Kribbeln und kommt doch nicht gegen die Höhenkrankheit an.

Sara, die IT-Beraterin aus Austin, hat ebenfalls zu kämpfen. Erst kurz vor der Kolumbienreise hat sie eine Bronchitis ausgeheilt. Die macht sich nun wieder bemerkbar. In den kommenden zehn Stunden hält die Gruppe immer wieder an, Santiago fällt weiter hinter seinen Zeitplan zurück. Um ein Uhr sollten die Wanderer eigentlich am Gletscher sein, am Ende ist es fast drei.

„Ich beobachte euch ständig“, sagt der Bergführer. „Wenn jemand blass wird, ist das für mich ein Zeichen, dass er schnell auf niedrigere Höhen gebracht werden muss.“ Bei Neil aus Chicago hat er ungeahnte Schwierigkeiten: Der ist so bleich vom amerikanischen Winter, dass es weißer kaum möglich wäre. Ihm geht es jedoch recht gut.

Santiago und die Jungs müssen allein hoch

Endlos kraxelt die Gruppe eine dünenartige, steile Mondlandschaft hinauf, dann steht sie auf 4800 Metern vor einer Felswand. Die hinauf, dann links, endlich geschafft. Ringsherum liegen Schneestreifen zwischen den Lavafelsen, Wolken hüllen den Berg ein und schneiden die Sicht aufs Tal ab. Eigentlich sollte jetzt ein Hochgefühl einsetzen, der letzte Motivationsschub. Doch der bleibt aus.

Der Körper schafft es einfach nicht, die steile Felswand hochzuklettern, in noch sauerstoffärmere Gefilde. Santiago und die Jungs müssen allein hoch. Trotzdem macht sich Stolz unter der dicken Daunenjacke breit. Die Vernunft hat über den Sturkopf gesiegt. Der Fels stützt den müden Rücken, der Kopf versucht, den Abstieg und die Kälte zu verdrängen, und eine Ahnung steigt auf, warum einige Bergkletterer am Ende ihren Frieden mit dem Tod geschlossen haben: Einfach am Gletscher wegzudösen, erscheint gerade jedenfalls verdammt gut nachvollziehbar.

Die Jungs kehren zurück. Die Füße stolpern den Berg hinab, der Magen verweigert nun sogar Wasser, nur ein dreiviertel Liter schafft es in den zehn Stunden in den Bauch. Weitermachen, einen Schritt vor den anderen, bis die Hütte in der Dämmerung näher rückt. Santiagos Kollege drückt den Wanderern auf die Fingernägel: Normalerweise soll es drei Sekunden dauern, bis das Blut zurückkehrt, diesmal sind es acht.

Jetzt erscheint eine Gipfelbesteigung möglich

Am letzten Morgen ist die Höhenkrankheit plötzlich weg – jetzt erscheint eine Gipfelbesteigung doch wieder möglich, doch es ist zu spät. Während die Gruppe mit den Gedanken noch im Paramo ist, telefoniert Santiago mit seinem kleinen Sohn, der gerade kränkelt. Wie viele Kolumbianer arbeitet der Guide sechs oder sieben Tage die Woche. Er beklagt sich nicht über die zwei harten Jahre im Militär, die mangelnde Schulbildung, dass er kein Englisch spricht, die langen Arbeitszeiten und das hohe Risiko, das die Arbeit als Bergführer mit sich bringt.

Während die Gruppe am dritten Tag, wieder durch den Regenwald, zum letzten Mal herabsteigt, an verfallenen Ställen, kleinen Hütten, vor denen Bäuerinnen Suppe austeilen, und tiefen Schluchten vorbei, kommt die Erkenntnis: Höhenkrankheit und Höhenflug liegen oft nur ein paar Stunden auseinander.

Reisetipps für Kolumbien

Hinkommen

Flüge nach Pereira haben in der Regel zwei Zwischenstopps, meist in Madrid oder London und in Bogotá. Das Ganze dauert etwa 20 Stunden und kostet ab 1200 Euro, etwa mit British Airways und Avianca. Ab Pereira weiter mit dem Bus bis Salento. Tickets kosten umgerechnet circa zwei Euro.

Unterkommen

Ein uriges Hostel ist das Tralala. Schon allein wegen des Namens einen Besuch wert. Doppelzimmer ab 33 Euro pro Nacht, hosteltralalasalento.com.

Eine spektakuläre Aussicht hat das Hotel El Mirador Del Cocora. Doppelzimmer ab 59 Euro, elmiradordelcocora.com.

Rumkommen

Paramotrek organisiert Touren zwischen einem und vier Tagen, von der Wanderung durchs Wachspalmental bis zu mehrtägigen Treks auf höhere Gipfel. Bei langen Touren sind Unterkunft, Hauptmahlzeiten und Snacks inklusive. Die Dreitagestour auf den Nevado del Tolima kostet 200 Euro, paramotrek.com.

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