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Die „spazierenden Kuheuter“ der Künstlerin Silke de Bolle findet man bei Wiesenburg.

© imago/Hohlfeldt

Wandern im Hohen Fläming: Landschaft voller Rätsel

Kunstbetrachtungen Open Air sind auch im Herbst und Winter spannend. Ein Wanderweg im Hohen Fläming zeigt neue Perspektiven.

Kaum hat man den Bahnhof in Wiesenburg verlassen, geht es los mit der Kunst. Ein paar Pfähle, gestaltet von einem Jugendprojekt, bilden das „Tor zum Fläming“. Bunt angemalt waren sie 2007, als der Internationale Kunstwanderweg eröffnet wurde, nun haben ihnen Wind und Wetter zugesetzt. Macht nichts. Denn deutlich wird schon nach den ersten Kilometern: Die schönsten Kunstwerke formt die Natur ganz allein. An einem Stamm etwa machen sich glibbrige Baumpilze breit, die keine Hand so beeindruckend hätte arrangieren können. Wie lange wird der eitle Fliegenpilz dem Winter noch trotzen können? Das feuchte Laub um ihn herum ist schon dunkelbraun. Birken und Buchen dominieren, doch plötzlich ragt ein Nadelholzbaum mit schrundiger Rinde rekordverdächtig in die Höhe. Ist es eine Douglasie? Ein ausgetretener Pfad führt um sie herum, doch kein Schild erklärt, wann sie gepflanzt wurde oder wie dick ihr Umfang ist.

20 Kilometer lang ist die gewählte Nordroute

Die Wanderer haben keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Sie müssen auch vorankommen. 20 Kilometer lang ist der Kunstweg auf der Nordroute, eine ordentliche Strecke. Jetzt führt sie entlang üppiger Rhododendronbüsche, die nun - ohne Blüten - recht düster wirken. Bald werden sie von einer Lichtung abgelöst. Die Landschaft öffnet sich und gleicht einem Gemälde. In der Ferne steht ein flammend roter Baum im milden Sonnenlicht. Es ist, als markiere er das Ende einer Sichtachse. Wer hat ihn einst an dieser Stelle gepflanzt?

Der Weg führt in den Wiesenburger Schlosspark. Im Teich schwimmen ein weißer und ein schwarzer Schwan einträchtig nebeneinander. Im Schloss, das mitsamt seiner Neorenaissance-Fassade Mitte der 1990er Jahre
restauriert wurde, befinden sich heute Eigentumswohnungen und Apartments. Der 48 Meter hohe Schlossturm darf von Besuchern erklommen werden. Unsere Alternative: Ein Cappuccino in der rustikal-gemütlichen Schlossschänke „Zur Remise“.

Verlaufen kann man sich nicht im Fläming. Alles ist perfekt ausgeschildert.
Verlaufen kann man sich nicht im Fläming. Alles ist perfekt ausgeschildert.

© Hella Kaiser

Bereit für neue Kunstwerke passieren wir Wiesenburg - und finden die viel fotografierten „spazierenden Kuheuter“ der belgischen Künstlerin Silke De Bolle nicht. Dafür entdecken wir im Schaufenster eines Ladens Dutzende grausliche Gartenzwerge verschiedener Größen. Ob die jemals einen Käufer finden? Verblüffend ist auch der knallrote Briefkasten des Unternehmens „Deutscher Brief Express“ fürs „Zustellgebiet neue Bundesländer“. Einen gelben Kasten von der Post sahen wir nicht.

Keine Post ins Bundesgebiet: Hier darf nur hinein, was für die "neuen" Länder bestimmt ist.
Keine Post ins Bundesgebiet: Hier darf nur hinein, was für die "neuen" Länder bestimmt ist.

© Hella Kaiser

Dann entdecken wir endlich wieder ein Kunstwerk, das zum Skulpturenweg gehört. In einem übermannshohen, durchsichtigen Plexiglasbehälter baumelt ein Paar Schnürstiefel. „Unverhoffte Begegnung zweier Stiefel mit der Großen Rummel - Lob der Wanderschaft“ haben ushi f. und Walter Gramming ihr Objekt genannt. Ob die beiden wissen, dass nun direkt davor ein Verkehrsschild vor Bodenwellen warnt? Welcher Witzbold (oder Ignorant) hat das hier aufgestellt? Dabei gibt's hier keine Straße, und auch der Wanderweg ist ohne Stolperstellen. Er führt durch die wundersame Welt der Rummeln, wie die kleinen Täler im Fläming genannt werden. Rechts und links wellen sich mit Buchen bewachsene Hügel. Manch ein Baum wird von einem anderen umarmt, viele strecken weit ihre Äste aus, einige zeigen dick bemooste Füße.

Traumhaft schöne Landschaft. Die kleinen Täler im Fläming werden Rummeln genannt.
Traumhaft schöne Landschaft. Die kleinen Täler im Fläming werden Rummeln genannt.

© Hella Kaiser

Gern würde man sich verlaufen in diesem Hänsel-und-Gretel-Wald, doch dazu kommt es nicht. An jeder Gabelung zeigt das gelbe, oft an einen Baum gesprühte Logo des Kunstwanderweges die Richtung an. So ist der „Findling“ aus gitterförmig verschweißtem Edelstahl nicht zu verfehlen. Wer mag, kann hineinkriechen und darüber sinnen, was der Künstler Hartmut Renner mit diesem Werk ausdrücken will.

In Schlamau zeigen auch die Bewohner künstlerische Talente

Die Werke der Profis haben offenbar auch die Bewohner von Schlamau inspiriert. Vor einem Wohnhaus stehen ulkig geschnitzte Wesen aus Holz, zwei Steinfrösche rahmen ein altes, vergittertes Fenster. Schräg gegenüber wurden unterschiedlich große, alte Milchkannen auf einem hohen Holztisch gestellt. Bis zur Gründung der LPG 1960 hätte es vieler solcher privater Milchrampen gegeben, wird auf einem daran pappenden Zettel erklärt. 1970 schließlich seien alle Rampen entfernt worden. Heute, so endet der Text , „gibt es Milch im Tetrapack“. Wenig später rasten wir etwas ratlos vorm „Pflanzenlabyrinth“. Ob im Sommer zwischen den niedrigen, geschwungenen Steinfassungen bunte Blumen wachsen? Jetzt ist das Objekt von Gestrüpp halb überwuchert und zeigt: Wird Kunst sich selbst überlassen, macht sich die Natur darüber her.

„Steinschlage“ hat Victor Bisquolm sein Werk genannt. Ein Witzbold hat sie mit einem Apfel verziert.
„Steinschlage“ hat Victor Bisquolm sein Werk genannt. Ein Witzbold hat sie mit einem Apfel verziert.

© Hella Kaiser

Die Bechsteinfledermaus, die, so wird erklärt, „gern umzieht“, schläft vermutlich längst tief und fest. Ob sich eine von ihnen im löchrigen Dach von Schloss Schmerwitz versteckt? Auf einem Gemälde von 1882 sieht man, wie schmuck das Herrenhaus einst war. Welch ein Jammer, dass es verfällt. In den zahlreichen restaurierten Nebengebäuden aber ist neues Leben eingezogen. Der Verein Scarabäus, eine Selbsthilfegemeinschaft für Suchtkranke, betreibt hier ein ansprechendes Café mit köstlichen Kuchen und Torten, einen Hofladen und eine Töpferwerkstatt. Schöne Gefäße und Geschirre in tiefem Blau und Grün entstehen hier - leider zu schwer, um sie jetzt im Rucksack mitzunehmen. Zudem: Gerade mal die Hälfte des Weges bis Bad Belzig ist geschafft. „Wir müssen flotter gehen“, mahnt die Freundin.

Am „Wasserfall für den Fläming“, bestehend aus einer Gruppe von rostig aufragenden Stäben, halten wir uns nicht lange auf. Diese Kunst berührt uns nicht. Viel beeindruckender sind die Schlehenbüsche mit ihren tiefblauen Früchten. Gleich geht es hinauf zum 200 Meter hohen Hagelberg, der weite Aussichten ins Land garantiert. Ein Schild weist zu einem „neuen Hagelberg-Denkmal“. Eigentlich liegt es nicht auf unserer „Kunststrecke“. Wollen wir den Umweg machen? „Wenn wir schon mal hier sind “, sagt die Freundin. Na gut. Zu betrachten ist schließlich eine hohe Feldsteinmauer mit der Inschrift: „Zur Erinnerung an die deutsch-russische Waffenbrüderschaft im Gefecht bei Hagelberg am 27. August 1813.“

Wir sind zurück auf unserem Weg. Er führt vorüber an einer „Steinschlange“, der ein Passant einen Apfel vors Maul gelegt hat, Wieder tauchen wir in einen Wald. Knapp sechs Stunden sind wir bereits unterwegs. Die Füße schmerzen, die Augen haben sich satt gesehen. Wir können nichts anfangen mit den großen hölzernen Vierecken, die Susken Rosenthal unter dem Titel "Viereck" über Baumstämme gespannt hat. Fast hätten wir „Die Jagd“ verpasst. Ein Hirsch springt auf, der Hund ist schon an seinen Fersen. Genial, wie sich dieses Kunstwerk aus Beton in die Landschaft fügt. Eine winterweiße Haube würde diesem Ensemble auch gut stehen.

Also: Wiederkommen. Unbedingt. Dann vielleicht in umgekehrter Richtung wandern oder statt der Nordroute die südliche zwischen Bad Belzig und Wiesenburg wählen. Dort kommt man sogar an einem Rudel Wölfe vorbei. Sie rühren sich nicht. Die belgische Künstlerin Marion Burghouwt, die gern mit Acryl und Eisen experimentiert, hat sie für den Kunstwanderweg geschaffen. Sie passen perfekt in den Fläming, in dem ja auch lebendige Wölfe zu Hause sind. Aber die verstecken sich gut.

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