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Seit der Flucht aus Syrien 13-mal umgezogen: Souad Abbas.

© Ali Ghandtschi

Heimaten-Sonderbeilage: Nachbarn, die grüßen

Ohne Wohnung kein Ankommen: Wie Geflüchtete eine Bleibe in Berlin suchen.

Ibrahims Ehefrau hat es nicht mehr ausgehalten: Drei Jahre lebte sie mit ihrer Familie in Kreuzberg in einem Flüchtlingsheim. Immer wieder hatte sie gehofft, dass die Familie endlich eine Wohnung findet, in der sie die Tür zumachen und ein Privatleben haben kann. Vergebens. Kürzlich ist sie desillusioniert in die Türkei zurückgegangen – zu Verwandten. Ibrahim, Ende fünfzig, aber deutlich älter aussehend, will weiter suchen. Doch die Zeit drängt. Seine drei Söhne sieht er nur wenig, sie verbringen soviel Zeit wie möglich außerhalb des Heims in der Stallschreiberstraße und seiner Probleme. „Mein letztes Stückchen Heimat ist meine Familie“, sagt Ibrahim. „Wenn ich sie verliere, dann ist alles aus.“

Bessere Chancen in Brandenburg

Für viele Geflüchtete waren die Heime die erste provisorische Unterkunft – woraus dann angesichts der Wohnungsnot in Berlin oft ein Dauerzustand geworden ist. Das enge Zusammenleben, der Mangel an Privatsphäre, die Spannungen lassen viele Geflüchtete nicht ankommen. Auch die 40-jährige Manal lebt in dem Heim in der Stallschreiberstraße. Trotz der Unterstützung durch Mitarbeiter des Heimes hat sie keine Wohnung gefunden: „Die Vermieter haben Angst vor fünf kleinen Kindern“, berichtet sie.

Die Chancen, eine Wohnung zu finden, sollen im Ostteil der Stadt und in Brandenburg besser sein. Deswegen gucken sich viele Geflüchtete dort um, auch wenn sie immer wieder von Fremdenfeindlichkeit dort hören. Bei Ghalia und Mohammed hat es geklappt, sie haben eine kleine Wohnung in Kaulsdorf gefunden. „Unsere Tochter ist glücklich in der Schule, spricht Deutsch und fühlt sich schon deutsch“, saght Ghalia. „Mir wird das nicht so gehen“, fügt sie hinzu. Dazu fehlt ihr das freundliche Grüßen und ein Schwatz mit den Nachbarn. „Wir leben seit sechs Monaten hier, aber niemand will den Kontakt mit uns.“

Von der Halle in den Container

Für viele Bewohner der Unterkunft im Flughafen Tempelhof bleibt eine eigene Wohnung in der Stadt ein unerfüllter Traum. Zu Hochzeiten waren hier über 1000 Menschen in einer Halle untergebracht, inzwischen konnten die meisten Bewohner in Container auf dem Gelände umziehen. Vierköpfige Familien bekommen eine Wohnung mit zwei Zimmern, Bad und Kitchenette, insgesamt 24 Quadratmeter. Nubar Hussein, ein junger syrischer Kurde, lebt seit etwa zwei Jahren in Tempelhof, seine Frau Gilan ist vor einigen Monaten angekommen. Sie fühlen sich in ihrem kleinen Container-Apartment recht wohl und versuchen ihre Privatsphäre zu genießen: Denn bald werden sie die Wohnung mit zwei anderen Geflüchteten teilen müssen, da jede Wohnung für vier Menschen ausgelegt ist.

120 Wohnungen angeguckt

„Die Situation hier ist heute unvergleichlich besser als 2015“, sagt Matthias Nowak, Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Tamaja, die das Heim seit 2015 betreibt. Aber: „Nur wenige schaffen es, von hier in eine Wohnung zu ziehen.“ Trotz all der sozialen Angebote und Unterstützung, die Geflüchtete hier bekommen. Einer, der es geschafft hat, ist Mohamed Khadro, der als Beschwerdemanager im Camp arbeitet. Nachdem er sich rund 120 Wohnungen angeguckt hatte, mit hunderten Mitbewerbern, hat er vor kurzem einen Mietvertrag unterschreiben können – auch dank der Unterstützung durch deutsche Freunde und einen Empfehlungsbrief der Camp-Verwaltung.

Aus dem Englischen von Andrea Nüsse. Die Autorin (40) stammt aus Syrien und ist Chefredakteurin der arabischsprachigen Zeitung „Abwab“.

Dieser Text entstand im Rahmen des Exiljournalisten-Projekts des Tagesspiegels #jetztschreibenwir. Am 16. Juni erschien eine Beilage der Exiljournalisten zum Thema „Heimaten“ (in Print und im E-Paper), weitere Texte von Exiljournalisten finden Sie hier.

Souad Abbas

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