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Diese Leopardin schaut genau hin, wer sie beobachtet.

© Daniel Fernandez Campos

Großes Wildtierspektakel im Kruger Nationalpark: Immer auf der Lauer

Endlich sind Safaris in und um Kruger wieder möglich. Hautnah geht es zu Leoparden, Elefanten und liebestollen Fröschen

Drama, bitte! Das wollen die Gäste erleben, wenn sie auf Safari gehen, sagt Jacob „Japie“ Potgieter. Der Wildtierexperte zählt Beispiele aus seinem Erfahrungsschatz auf: Wie die Python eine Impala-Antilope erwürgt und danach stundenlang zwei Hyänen abwehrt, die der Schlange die Beute streitig machen. Wie Löwen Jagd auf Zebras machen und deren Hufen das Kinn eines der Angreifer zerschmettern. Das ewige Spiel um Leben und Tod, von der sicheren Rückbank eines Jeeps aus beobachtet.

Deshalb zieht es Menschen in die Schutzgebiete an der Westflanke des Kruger-Nationalpark. Diese Privatreservate bilden mit dem staatlich geführten Park das größte Wildschutzgebiet Südafrikas, auf 20 000 Quadratkilometern – etwa der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern – leben 150 Säugetier- und 500 Vogelarten. Löwen, Büffel, Nashörner, Elefanten. In den privat verwalteten Game Reserves kommen Touristen den Tieren näher als im Park, sie dürfen mit Guides wie Japie die Wege verlassen, um vielleicht dem Spektakel des Überlebenskampfs beiwohnen: der Jagd von Raubtieren.

Manchmal ist es eben nur ruhig - und die Gnus grasen friedlich.
Manchmal ist es eben nur ruhig - und die Gnus grasen friedlich.

© Daniel Fernandez Campos

Japie, Guide im Ngala Private Reserve, seufzt: „Dabei ist das Faszinierende an der Wildnis doch, dass wir sie nicht kontrollieren können, egal, wie sehr wie es versuchen.“ Manchmal ist es nur ruhig wie heute. Gnus grasen, Löwen dösen. Japie steuert den Toyota Landcruiser über morastige Wege. Ngala ist 15 000 Hektar groß, hügeliges Grasland, durch einen Fluss geteilt – im Norden wachsen Mopanebäume, im Süden Akazien. Es gibt zwei Camps für Besucher, eine verlassene Farm und Schotterpisten, die Birmingham Drive oder Elephant Road heißen.

Seit sechs Jahren fährt Japie das 257 Kilometer lange Wegenetz von Ngala ab. Morgens um halb fünf steht der 34-Jährige auf, packt Decken und Wasserflaschen in den Jeep und holt die Gäste um halb sechs zur Safari ab. Immer gute Laune, immer freundliches Lächeln. „Schau da oben, ein Bush-Baby!“ An der Rezeption der Lodge wandern die müden Augen der Europäer unters Dach. Ein mausgroßes Tier mit Koboldaugen und Riesenohren schaut herunter. Wer beobachtet hier wen?

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Zuletzt hat hier niemand irgendwen ins Visier genommen. Südafrika war für knapp zwei Jahre vom internationalen Tourismus abgeschnitten, in der Pandemie hat Japie Internet-Safaris veranstaltet – Live-Schaltungen auf Instagram, zu denen sich Menschen aus Kalifornien, Gloucestershire und Bayern zuschalten konnten.

Hyänen zum Dinner

Er ist manchmal nachts mit dem Zelt unterwegs gewesen und hat überprüft, dass keine Wilderer in das Schutzgebiet eindringen. Hat Hyänen vom Lodge-Grundstück vertrieben, bevor sie sich an die menschenleeren Pfade gewöhnen konnten. Was nicht ganz geglückt ist: Am Abend zuvor stand plötzlich eines der Tiere vor dem offenen Restaurant und schnüffelte interessiert. Ein Kellner vertrieb es mit lauten Geräuschen.

Seit kurzem erst haben beide Lodges im Reservat wieder geöffnet. Japie ist das erste Mal seit Wochen mit Touristen draußen. Und nicht allein. Am Wagen wartet bereits Harold Cossa, der Spurensucher. Er ist 28 Jahre, seine Eltern stammen aus Mozambique, auf einer Schule für Safaritracker hat er eine mehrmonatige Ausbildung absolviert. Während Japie den Wagen lenkt, beobachtet Harold von einem Klappsitz auf der Motorhaube aus, ob sich etwas im Gras bewegt, oder überprüft die Spuren im Sand. Wenn er einen verwischten Abdruck entdeckt, liest er ihn wie ein Buch: „Junger Leopard, weiblich, drei Jahre.“

Ohne Japie Potgieter (l.) und Harold Cossa würde kein Europäer nur irgendein Tier sehen.
Ohne Japie Potgieter (l.) und Harold Cossa würde kein Europäer nur irgendein Tier sehen.

© Daniel Fernandez Campos

Am Tag zuvor hat es heftig geregnet. Das Flussbett im Reservat füllt sich minütlich mit Wasser. Japie lenkt das Auto vorsichtig durch Rinnsale und Strömungen, nebenbei erklärt er Grundregeln für Safari-Anfänger: „Sitzenbleiben, nicht aufstehen! Keine bunte Kleidung tragen, eher gedeckte Farben. Weiß geht auch nicht, das assoziieren viele Tiere mit Leoparden.“ Als er an der alten Landebahn vorbeifährt, auf der früher Kleinmaschinen ankamen, sieht er einen Gnubullen, der eine Hyäne beherzt in die Flucht schlägt.

Früher hat Japie Kunst in Stellenbosch studiert. Nun trägt er jeden Tag Shorts, langärmlige Hemden und ein Basecap, dreht sich nach hinten um, redet, schaut wieder nach vorne und lenkt den Wagen über das, was sie hier Straße nennen. „In der Kunst habe ich nach Mustern im Leben gesucht, in der Natur mache ich nichts Anderes.“ Ein abgeknickter Zweig erzählt machmal ebenso viel wie ein Ölgemälde.

Wilderei in der Pandemie

So findet er an diesem Tag zierliche Impalas, Kudus mit Schraubgewindehörnern, Elefanten, die krachend Äste verputzen, und sogar drei Nashörner. Bulle, Kuh, Kalb. Den älteren Exemplaren hat die Parkverwaltung die Hörner abgesägt – man sieht nur noch Stümpfe –, um sie vor Wilderern zu schützen. 451 der seltenen Tiere wurden allein 2021 in Südafrika getötet, berichtet die Tierschutzorganisation „Save the Rhino“, ein deutlicher Anstieg zu den Vorjahren. Die Pandemie hat viele Menschen arbeitslos gemacht. Um ihre Familien zu ernähren, ließen sie sich auf das illegale Geschäft ein.

Nach Ngala reisen viele Touristen vor allem, um die berühmten weißen Löwen zu sehen. Nur in dieser Region werden sie immer wieder geboren, dank eines rezessiven Gens, das im Erbmaterial weitergegeben wird. Fünf dieser Löwen seien in den vergangenen vier Jahren zur Welt gekommen, zwei leben noch. Deren Vater hat die übrigen drei – aus einem Fremdwurf – getötet und damit die eigene Macht im Revier gesichert. Shakespeare in der Savanne.

Moca-Chocarula unter freiem Himmel

Am späten Nachmittag finden Harold und Japie die beiden Überlebenden, nicht unbedingt schneeweiß, eher zarthell. Sie faulenzen mit vier anderen Löwen am Wegesrand. Die Bäuche wölben sich, die Raubtiere haben also gerade gefressen. Der Jeep fährt heran, Sicherheitsabstand von wenigen Metern, die Tiere heben kurz die Köpfe und lassen sie schnell wieder fallen, als würde sie jede Bewegung wahnsinnig viel Energie kosten.

Japie parkt kurze Zeit später an einem Damm im Osten des Reservats. Im schlammigen Wasser grunzen sechs Flußpferde, am Ufer zetteln Nilgänse einen Kleinkrieg um die besten Futterplätze an, so laut wie ein ganzes Flughafenterminal, und plötzlich springt ein junger Wasserbock aus dem hohen Gras. Der Guide stellt einen Klapptisch auf. Die Bar ist eröffnet. Heute gibt es Moca-Chocarula, ein Heißgetränk aus je einem Drittel Kakao, Kaffee und Amarula, so etwas wie der afrikanische Eierlikör. Starbucks könnte es nicht schlimmer machen.

Es wird langsam dunkel. In Pfützen, Teichen und Wasserlöchern regt sich hormongesteuertes Leben. Brünstig quaken Frösche, die sich nach dem Starkregen aufblasen und damit potenzielle Partner anziehen. Weiße Schaumbälle an Halmen signalisieren frische Nester mit Froscheiern. Es ist ein Orchester der Lust, angefacht durch Testosteron und Gewitter. Japie sagt: „Sex, Drugs and Rock’n’Roll.“

Reisende können in diesem Treehouse eine Nacht in der Wildnis verbringen.
Reisende können in diesem Treehouse eine Nacht in der Wildnis verbringen.

© andBeyond

Heute Nacht fährt er die Gäste ins Treehouse, einer neuen Unterkunft in Ngala. Das sogenannte Baumhaus entpuppt sich als dreistöckiger Design-Turm auf einer Lichtung, ein Mini-Wolkenkratzer, der in Tokyo, Buenos Aires, Kopenhagen stehen könnte. Gäste können hier eine Nacht ungestört in der Wildnis verbringen, ein Mitarbeiter bringt Abendessen vorbei, eine Bar steht bereit – der Menge nach erwartet man von den Gästen, ein Trinkgelage auf der Dachterrasse zu feiern.

Richtig aufgedreht sind nachts jedoch nur die Insekten. Fällt die Lärmkulisse der Stadt weg, dröhnen Käfer, Nachtfalter, Riesenmücken tausendfach. Irgendein Tier klettert die Außenwand hoch, ganz dicht am eigenen Ohr vorbei. Muss man aushalten wollen. Am nächsten Morgen wandert der Blick von der Terrasse in die umliegenden Baumkronen. Sitzt da ein Pavian? Reflektieren dort Leopardenaugen?

Vier Pranken hängen herunter

Die gefleckten Großkatzen gehören zu den tierischen Sehenswürdigkeiten der Region. Nirgendwo in Südafrika streifen sie in dermaßen hoher Dichte durch die Wildnis wie in den Schutzgebieten von Ngala und Sabi Sands, einige Kilometer enfernt. Zwei Stunden kurven Harold und Japie durch die Savanne, fahren an Löwen, Elefanten, Zebras und edelsteinblauen Vögeln vorbei, bis Harold eine der Großkatzen erblickt.

Auf einer Akazie liegt sie in fast zehn Metern Höhe, der Körper fläzt sich auf den Ast, die vier Pranken hängen träge herunter. Es ist ein Weibchen. „Hat gerade gefressen“, erklärt Japie, „deshalb ist sie so ruhig.“ Normalerweise gelten Leoparden als scheu und schwer zu beobachten in der Wildnis.

Aber eben nicht, wenn man Guides mit guten Augen und exzellenter Expertise hat. Wie Wayde van Heerden. Er hat denselben Job wie Japie, 50 Kilometer Luftlinie entfernt im Sabi Sands Reservat, und arbeitet für die Tengile River Lodge. Die noble Unterkunft verfügt über neun Flachdach-Villen, alle mit Swimmingpool, Riesenbett, Marmorbad und einem Ausblick auf den Sabi-Fluss augestattet. Vor der Restaurantterrasse äsen rotbraune Nyala-Antilopen mit weißen Streifen. „Just beautiful“, murmelt ein Engländer am Tisch nebenan.

Immer wieder beeindruckend: eine Herde Elefanten.
Immer wieder beeindruckend: eine Herde Elefanten.

© andBeyond

Wayde holt seine Safarigäste am Tisch ab. Schnell noch einen frisch gebackenen Brownie essen, während der 29-Jährige erklärt, welche Tiere am Nachmittag zu erwarten sind. Es klingt wie die Inventarliste eines mitteleuropäischen Zoos. „Vielleicht dürfen wir uns Hoffnung auf ein Rudel Afrikanischer Wildhunde machen“, sagt Wayde. Die selten gewordenen Raubtiere seien am Vormittag in der Nähe der Lodge gesichtet worden. Sabi Sands ist üppiger bewachsen als Ngala. Das Gras steht höher, die Bäume wuchern bilderbuchgrün. Wayde fährt an einem massigen Feigenbaum vorbei, meterdicker Stamm, riesige Krone, und schätzt ihn auf 600 Jahre.

Die Regenwolken der vergangenen Tage haben sich endgültig verzogen, die Sonne scheint, von einer Anhöhe sieht man kilometerweit in den urtümlich wirkenden Nationalpark. Kudus, Gnus, Impalas weiden dicht an dicht, rupfen, ziehen, reißen an Gras. Wayde tuckert mit maximal 20 Kilometern pro Stunde durch diesen Garten Eden und entdeckt durch das Fernglas ein Zebra mit seltsamer Zeichnung. Statt der üblichen Streifen hat es am Bauch ein Muster, das wie der QR-Code der Corona-App aussieht. Was will uns dieses Huftier sagen?

In der Tengile River Lodge bleiben nur wenige Wünsche offen.
In der Tengile River Lodge bleiben nur wenige Wünsche offen.

© andBeyond

Wayde hat sich erst in der Pandemie zum Guide ausbilden lassen, er hatte den Job in einem Designbüro satt und hat zusammen mit seiner Frau umgesattelt. Was ihm vielleicht an Erfahrung fehlt, macht er an Initiative wett. Er gibt nicht auf, bis wir endlich einen der 15 Leoparden im Reservat sehen. Und was für ein Prachtexemplar! Ein kräftiges Männchen liegt unter einem Baum – und hechelt wie nach einem Marathon. Ein Hinweis dafür, dass es gerade verdaut.

Wayde holt einen Ordner hervor, in dem die Leoparden der Region aufgelistet sind. Narbe an der Lippe, verletzte Ohren, weißer Rand um die Augen. „Hanyibe“, sagt er, „etwa 80, 90 Kilo, sein Vater hat seinen Bruder getötet.“ Das passiere oft, weil Männchen keine Konkurrenz dulden. Noch besser wird es am kommenden Morgen. In einem Flussbett liegt ein Weibchen auf einem Felsen.

„Sie gähnt, gutes Zeichen“, sagt Wayde. Plötzlich recken sich vier kleine Ohren aus dem Gras, die Leopardin hat zwei Jungtiere, wenige Wochen alt. „Und das ist nur ein normaler Mittwoch“, lacht Wayde.

Am Nachmittag riecht es nach Safarigold: nach feuchtem Hund. Wayde hält den Jeep an, schnuppert, fährt in den Busch hinein und steht mit einem Mal vor dem Rudel Wildhunde. Die schwarz-weiß gescheckten Tiere begrüßen sich gerade mit wedelndem Schwanz und Heulen.

Später zieht es sie zur Jagd. Sie trotten auf dem Weg entlang, spitzen die Ohren, bleiben stehen. Plötzlich springt eine Impala aus dem Gras, vier, fünf Hunde hinterher. Zwei Minuten später ist von der Antilope nichts übrig. Die Wildhunde lecken sich die blutigen Mäuler. Ihre Existenz ist für einen weiteren Tag gesichert, eine andere auf ewig erloschen. Was für ein Drama!

Reisetipps: Von Deutschland bis Johannesburg fliegen, mit Lufthansa ab 600 Euro. Von dort mit dem Mietwagen vier Stunden bis Ngala fahren. Tengile liegt nur 15 Minuten vom Flughafen Skukuza entfernt. Ein Flug ab Johannesburg kostet etwa 200 Euro. Alle Lodges von andBeyond haben je nach Saison besondere Angebote, mehr unter andbeyond.com. Diese Recherche wurde teilweise von andBeyond unterstützt.

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