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Ihre Spuren am Rand: Bonn und seine Kanzler

Adenauers Lieblingsbaum stirbt, die von Kohl hinterlassenen Bücher sehen ungelesen aus und in der Kiesingerallee wird gegen Antragsgebühr Cannabis legalisiert. Auf Kanzlerpfadfindung in der Bundesstadt.

Wer Rhöndorf sieht, mit seinen Fachwerk-Knusperhäuschen, versteht die Bonner Republik gleich besser. Klein. Eng. Angenehm. Adenauer ist 1937, zwangspensioniert, nach Rhöndorf gezogen, und hat sich in seiner Kanzlerzeit, ab 1949, immer vom Chauffeur zum Regieren nach Bonn fahren lassen. Es sind nur ein paar Kilometer. Klar, der Rheinländer Adenauer kämpfte nach dem Krieg für Bonn als Hauptstadt und für den Rhein als deutsche Mitte. Frankreich fast in Rufweite, und eine Luft, die schon nach Süden riecht.

Das Haus hat 600 Quadratmeter. Keine Spießerhütte, eher ein großbürgerliches Ambiente. Als Adenauer es bauen ließ, war er verwitwet und zum zweiten Mal verheiratet, sieben Kinder aus beiden Ehen. Auch die zweite Frau Gussi starb, 1948. Der Kanzler Adenauer war alleinstehend. Er teilte sich die Villa nur mit ein paar Hausangestellten. Über Affären mit dem Personal ist natürlich nichts bekannt.

Wie konnte er sich dieses Haus leisten, wo er doch von den Nazis als Kölner Oberbürgermeister abgesetzt und zeitweise eingesperrt worden ist? Ja, sagt die Fremdenführerin, Adenauer hat ganz frech um seine Rente prozessiert und, trotz der Nazis, tatsächlich gewonnen. Als OB verdiente er mehr als der Reichskanzler, Adenauer war zäh und geschäftstüchtig. Als Architekten hat er seinen Schwager genommen, der war billig.

In jener Zeit des inneren Exils hat Adenauer verstärkt als Erfinder gearbeitet. Er erfand das von innen beleuchtete Stopfei und den elektrischen Insektentöter sowie eine rotierende Riesenbürste, die vor Straßenbahnen montiert werden kann, damit sie Fußgänger und Hunde wegwischt. Nie wieder tödliche Straßenbahnunfälle! Aber unpraktisch, leider.

Adenauer besaß keinen Fernseher. Wenn Wahlen waren, ließ er sich die Ergebnisse telefonisch mitteilen. Er hat eh immer gewonnen.

Dann stehen wir vor einem gewaltigen Baum, einem schönen Baum, einem Blauglockenbaum. Der war sein Liebling. Den hat er selber von irgendwo mitgebracht und selber gepflanzt. Es ist die letzte Original-Adenauerpflanze im Garten. „Der Baum stirbt“, sagt die Fremdenführerin. Altersschwäche. Wieder ein Stück Bonner Republik, das verschwindet.

Vor 20 Jahren, am 20. Juni 1991, wurde der Regierungsumzug nach Berlin beschlossen. Wer es nicht wüsste, der würde heute nie annehmen, dass Bonn einmal die Hauptstadt eines Staates der oberen Mittelklasse war. Dies ist der Versuch, einen neuen Touristenweg zu erfinden, den Bonner Kanzler-Lehrpfad.

Der Kanzlerbungalow, zweite Station, ist das Werk von Ludwig Erhard. Seine kurze Amtszeit, 1963 bis 1966, hat gerade ausgereicht, um dieses Haus zu planen, bauen zu lassen und einzuziehen. Erhard hat seinen Nachbarn vom Tegernsee als Architekten genommen, Sepp Ruf, der auch schon sein Privathaus entworfen hatte. Zwei Millionen D-Mark Kosten und viel Aufregung wegen des Pools, der nur sechs Meter lang ist, aber damals als unangemessener Luxus empfunden wurde. Erhard war moderner, als man glaubt, ein sachorientierter Experte, Spezialgebiet Wohlstand für alle, und wahrscheinlich nicht einmal Mitglied der CDU, wie zu Erhards Glück erst nach seinem Tod herauskam. Man nannte ihn „die Lokomotive“. Täglich 20 Zigarren, diese Emissionen schaffte nicht mal Helmut Schmidt.

Das Haus ist ein Flachbau, Glas, Klinker, toller Blick auf Rhein und Garten, aber eben modern, das heißt, recht unbehaglich, auch unpraktisch. Keiner seiner Nachfolger mochte das Haus. Alle schimpften sie. Und sie mussten sogar Miete zahlen, bei Kohl waren es, Stand 1985, 3600 D-Mark für 142 Quadratmeter Privatwohnung.

In dem Haus werden Filme gezeigt. In einem Film erzählt Helmut Kohls früherer Sprecher, Friedhelm Ost, wie Kohl einmal im Jahr alle Generäle und Admiräle der Bundeswehr in das unbehagliche Haus eingeladen hat, und wie immer alle gemeinsam Metzelsuppe aßen, etwas Pfälzisches. Metzelsuppe mit dem Militär. Dabei dachte sich in Bonn keiner was.

Kohl hat mit Perserteppichen, Stilmöbeln und Nippes gegen Ludwig Erhards modernes Erbe angekämpft. Alles steht noch da. Nun aber – der Bücherschrank. Im Bücherschrank der Bonner Kanzler stehen Adorno, Brecht, Thomas Bernhard, Habermas, Peter Weiss. „Das“, sagt der Herr vom Bonner Haus der Geschichte, „sind nur die Bücher, die Helmut Kohl bei seinem Auszug nicht mitnehmen wollte.“ Sie sehen auch alle unbenutzt aus.

Von Kurt Georg Kiesinger ist in Bonn eigentlich nur die Kiesingerallee geblieben. Dort befindet sich die Bundesopiumstelle, eine Behörde, die, um Bonn zu entschädigen für den Verlust seiner Bedeutung, vor ein paar Jahren von Berlin nach Bonn umziehen musste. Versuche, mit der Bundesopiumstelle telefonisch oder per E-Mail Kontakt aufzunehmen, scheitern mehrfach. Die Pressefrau antwortet, sie seien alle zu beschäftigt, für Pressebesuche fehle die Zeit. Was tut die Bundesopiumstelle eigentlich genau? „Das steht im Internet.“

Im Internet steht, dass die Bundesopiumstelle vor allem Ausnahmegenehmigungen erteilt, damit Kranke legal Cannabis erwerben dürfen. Bei Tourette zum Beispiel hilft Cannabis, bei Krebs lindert es die Beschwerden. 2010 besaßen aber nur sieben Personen eine Genehmigung. Das Cannabispräparat kommt aus Holland, woher sonst. Der Antrag kostet 51 Euro 13, die auch im Falle der Ablehnung zu zahlen sind. Dafür kriegt eine Krankenschwester in der Berliner Hasenheide schon eine ganze Menge Stoff. Deswegen wird der Andrang in Bonn vermutlich so überschaubar sein. Aber es hängt viel dran. Zuerst der Antrag, eventuell die Erlaubnis, dann die „Überwachung der Erlaubnisinhaber“, die „Anfertigung, Ausgabe und Auswertung“ der Formblätter, die Erteilung von Nummernbescheiden, was immer das sein mag, schließlich detaillierte Berichte über die sieben legalen Cannabiskonsumenten an den Internationalen Suchtstoffkontrollrat und die EU. 50 Leute sind mit diesem Papierkrieg voll ausgelastet, wie es scheint.

Die Opiumstelle ist umgeben von prächtiger Bonner Nachwende-Architektur, lauter Bedeutungsverlustentschädigungsbauten. Gegenüber wird das Bundesbahnvermögen verwaltet. Die Opiumstelle hat ein Atrium, etwa so groß wie im Berliner Willy-Brandt-Haus, mit einem gigantischen Kunstwerk aus aufeinandergetürmten Bauklötzchen. Vor dem Gebäude informiert ein Schild darüber, dass, im Rahmen des Konjunkturprogramms II, demnächst sogar aufgestockt wird. Gekifft wird halt immer.

An der Pforte sitzt ein freakiger Typ mit Bart und goldenem Ohrring. Ich sage, natürlich nur zum Test: „Ich würde gerne mein Dope legalisieren lassen. Ein paar Kilo. Auch das Opium.“ Er sagt, okay, aber nur mit Anmeldung. Alle haben zu tun, alle voll im Stress hier. Dann schreibt er eine Telefonnummer auf. Hinter ihm ist eine Tafel, an der hängt ein Zettel. Darauf steht: „Habe den Bauchtanz aufgegeben und verkaufe meine Schätze. Frauenkaftane, je 20 Euro. Ein Herrenkaftan mit Goldborte, 25 Euro.“

Unkel, wo Willy Brandt zuletzt gelebt hat, liegt nicht weit von Rhöndorf, ebenfalls am Rhein bei Bonn und ist mindestens genauso niedlich. Auch Adenauer hat zeitweise in Unkel gelebt. Das Rheinklima regt nachweislich den deutschen Geist an, in seiner liebenswertesten Variante. In Unkel wurde der Rotbäckchen-Saft erfunden, in Rhöndorf die Penatencreme. Die Willy-Brandt-Gedenkstätte ist eine private Stiftung, in einer ehemaligen Sparkasse, finanziert unter anderem von Didi Hallervorden und Siegfried Lenz. Sie kostet Eintritt. Das Adenauerhaus zahlt der Staat, Eintritt: frei. Das Adenauerhaus wurde von den Erben an die Nachwelt verschenkt, während Willy Brandts letztes Haus von der Witwe an einen Banker verkauft wurde.

Es mag Zufall sein, aber jeder, den man in Unkel fragt, ist schlecht zu sprechen auf Brigitte Seebacher, die letzte Ehefrau. Willy habe relativ bescheiden gewohnt, sagen die Leute, aber dann wurde das neue Haus gebaut, größer, protziger, und auf ihren Namen, damit die Kinder nichts erben. Schlechter Stil, heißt es. Das neue Angeberhaus, von dem ein Foto in der Gedenkstätte hängt, ist außerdem ziemlich hässlich.

Am 9. November 1989 sind sie dort eingezogen, man denke. Willy und Brigitte, todmüde vom Auspacken, schlafen zeitig ein, verschlafen den Mauerfall, am nächsten Morgen der Anruf und das Flugzeug nach Berlin. Und dann, als Willy wirklich im Sterben lag, hat Gorbatschow an der Tür des neuen Hauses geklingelt, die Frau aber hat ihn nicht hereingelassen, weil sie dachte, es sei nur ein Stimmenimitator. Gorbatschow fuhr wieder nach Hause. Nun, so etwas kann passieren.

In der Ausstellung erfährt man, dass Willy Brandt seine Milva-Platte für die Nikolaus-Tombola des Landschulheims Hohenunkel gestiftet hat, er kann Milva nicht wirklich geliebt haben. Willy Brandt besaß aber ein Faible für Chinarestaurants. Mehrfach ist er, auf Fotos und im Film, im Chinarestaurant zu sehen, offenbar immer demselben, unter anderem mit dem Fußballer Pierre Littbarski und seinem Sohn Lars. Der Vater bestellt Suppe süßsauer für beide. Beide wirken gehemmt. Geht es um das Haus? Auch der Bücherschrank von Willy Brandt steht im Originalzustand da, recht ungeordnet, die Simmel-Romane mal hier, mal dort, ein Band „Superwitze“ und „Das Berliner Schimpfwörterbuch“ waren so griffbereit wie die Schriften von Nelson Mandela.

Helmut Schmidts Denkmal ist das Kanzleramt, vor allem die auf seinen Wunsch für den Garten angeschaffte Plastik „Two large forms“ von Henry Moore, die Generationen von Fernsehreportern als Hintergrund für ihre Aufsager diente. Ein Sinnbild für alles Mögliche, abstrakt eben. Schmidt wollte, dass die Plastik nach Berlin umzieht, aber Gerhard Schröder hat sich geweigert, er ist ja mehr für das Handfeste. Nun steht die Abstraktion hier auf ewig.

Ihre Umgebung hat sich stark verändert. Gegenüber vom Kanzleramt befindet sich neuerdings die nun wirklich eindeutig scheußliche Ruine eines Kongresszentrums, errichtet von einem koreanischen Investor, dem kurz vorm Ziel das Geld ausging. Dafür ist eine Gründerzeitvilla abgerissen und die zuvor freie Blickachse zum Rhein versperrt worden, aber Bonn wollte mithilfe des Kongresszentrums in die Liga von Genf aufsteigen, internationale Kongressmetropole. Die Vereinten Nationen sind ja bereits im ehemaligen Abgeordnetenhochhaus stark vertreten. Das Zentrum ist immerhin fast fertig, aber im Grundbuch steht einer der Gläubiger des Koreaners, angeblich eine gefürchtete Heuschrecke, es ist alles hochkompliziert und langwierig.

Jetzt müsste auf dem Lehrpfad die „Cäcilienhöhe“ kommen, Helmut Kohls Bonner Lieblingsrestaurant, mit dem dicken Wirt Bruno, über dessen Küche Kohl einmal, fast schon euphorisch, sagte: „Gut, viel und billig.“ Und die „Provinz“, jene Kneipe, in der Gerhard Schröder mit Joschka Fischer gepichelt hat, bevor er am Zaun des Kanzleramts rüttelte und rief, dass er hier reinwolle. Aber die „Provinz“ gibt es nicht mehr, sogar das Haus ist abgerissen, und die „Cäcilienhöhe“ wurde im Januar geschlossen, weil sie den neuen Brandschutzvorschriften nicht mehr genügte und ein Umbau zu teuer gewesen wäre. Bruno ist tot, und der letzte Wirt betreibt jetzt einen gut gehenden Cateringservice.

Es gibt, gegenüber vom Kanzleramt, aber immer noch den Kiosk von Jürgen Rausch. Bratwurst. Pommes. Sein Kiosk war legendär, angeblich hat dort Schröder mit seiner Sekretärin oft Bratwurst gegessen. Das Originalhäuschen ist weg, vielleicht wird es wieder aufgestellt, darüber läuft eine kommunalpolitisch-denkmalschützerisch-juristische Kontroverse. Rausch hat jetzt halt ein Blockhaus hingestellt. Er wollte eigentlich nach Berlin, wie alle, aber die Familie hat sich geweigert. Rausch sagt, dass er Insiderinformationen besitzt. Der Rest des Politbetriebs würde auch bald nach Berlin umziehen, es suchen doch schon alle, die er in den Ministerien kennt, Wohnungen in Berlin. Das sieht er gelassen. Bonn bleibt Bonn, eine schön gelegene, lebensfrohe Stadt, das „Haus der Geschichte“, sehenswert, gleich um die Ecke, brummt. Keiner muss sich beklagen.

Wenn man auf die Toilette muss, wird man von Jürgen Rausch nach schräg gegenüber geschickt, in den ehemaligen Bundesrat. Das Gebäude steht leer, nein, nur fast, es gibt da eine „Gesellschaft für Training und Personalentwicklung“. Man läuft durch lange Flure, bis man es endlich findet, zu eilig sollte man es nicht haben. Zustand? Okay. Der Bundesrat zu Bonn ist jetzt also tatsächlich das Toilettenhäuschen von Jürgen Rauschs Kiosk. Auf dem Grunde des Rheins, da wandern die Steine.

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