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Antidemokraten: Bis zum bitteren Ende

Der Krieg ist so gut wie verloren, als 1917 die Deutsche Vaterlands-Partei gegründet wird. Sie will durchhalten und bildet eine Front gegen die Demokraten. Für die Weimarer Republik hat das fatale Konsequenzen.

Im Oktober 1917 erschien ein Aufruf in der deutschen Presse, der mit den Worten begann: „Weite Kreise des Deutschen Volkes stimmen mit der Stellungnahme der gegenwärtigen Reichstagsmehrheit zu den wichtigsten Lebensfragen unseres Volkes nicht überein.“ Im Weiteren war von „nervenschwachen Friedenskundgebungen“ die Rede. Was war geschehen?

Seit August 1914 befand sich das Deutsche Reich im Krieg. Doch von der anfänglichen Begeisterung war gut drei Jahre später kaum noch etwas übrig. Dieser Krieg war alles andere als der von vielen erwartete Spaziergang geworden. Die deutschen Truppen hatten nicht etwa in wenigen Wochen Paris erobert, sondern lagen seit Jahren an der Westfront in einem mörderischen Stellungskrieg fest, der eine unvorstellbare Zahl von Opfern kostete. Allein bei der Schlacht an der Somme waren 1,2 Millionen britische, französische und deutsche Soldaten umgekommen. Auf französischer Seite war die Kriegsmüdigkeit so groß, dass die Befehlshaber manchmal in die eigenen Gräben schießen ließen, weil die Soldaten nicht mehr zum Angriff bereit waren. Auch auf deutscher Seite gab es deutliche Ermüdungserscheinungen, nicht zuletzt auch Streiks und Hungerdemonstrationen in der zunehmend demoralisierten Heimat.

Nachdem Kaiser Wilhelm II. bei Kriegsbeginn erklärt hatte, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche, hatte der Deutsche Reichstag die ersten Kriegskredite einmütig bewilligt. Doch der „Burgfrieden“ war inzwischen brüchig geworden. Matthias Erzberger, prominenter Abgeordneter des katholischen Zentrums, legte eine Friedensresolution vor, die nicht länger auf einen Siegfrieden setzte, sondern auf einen Frieden der Verständigung, der „einem gemeinschaftlichem Zusammenleben der Völker den Boden bereiten“ wollte.

Zu Beginn des Krieges war auch Erzberger noch für weitgehende Annexionen, unter anderem die vollständige Eingliederung Belgiens, eingetreten. Die Friedensresolution wurde von der SPD, dem Zentrum und der liberalen Fortschrittspartei unterstützt und nach erregter Debatte mit 212 gegen 126 Stimmen angenommen.

Gegen diese Koalition der Vernunft formierte sich Widerstand. Am 2. September 1917 wurde in Königsberg die Deutsche Vaterlands-Partei gegründet, von der der eingangs zitierte Aufruf stammt. Drei Wochen später hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt in der Philharmonie in Berlin. Vorsitzender der neuen Partei war Großadmiral Alfred von Tirpitz. Er galt als Vater der deutschen Hochseeflotte. Es war völlig illusorisch gewesen, der Flotte der traditionsreichen Seemacht England etwas Ebenbürtiges entgegenstellen zu wollen. Immerhin hatten die deutschen Anstrengungen aber ausgereicht, ein deutsch-britisches Wettrüsten in Gang zu setzen, das nicht nur für erhebliches Misstrauen bei den Briten hinsichtlich der deutschen Absichten gesorgt, sondern auch eine Menge Geld verschlungen hatte.

Zur Finanzierung der deutschen Hochseeflotte wurde 1902 die Schaumweinsteuer eingeführt. Sie macht noch heute jede Sektflasche einen Euro teurer, obwohl die damit finanzierte Flotte nach dem Versailler Friedensvertrag abgewrackt werden musste. Die Flotte erwies sich im Krieg als weitgehend nutzlos, worüber es zum Zerwürfnis zwischen Kaiser Wilhelm II. und Tirpitz kam. Letzterer wurde in den Ruhestand versetzt, was ihm aber von seiner Kriegszielagitation keineswegs abbrachte. Er beteiligte sich sogar an Gesprächen über einen Militärputsch gegen den Kaiser.

Mit von der Partie waren bei der Gründung der Vaterlands-Partei außer Tirpitz auch Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, der Generallandschaftsdirektor von Königsberg Wolfgang Kapp, ein Mitglied des preußischen Herrenhauses und weitere preußische Politiker, aber auch ein Mann aus dem tiefen Süden des Reiches: der bayerische Volksschriftsteller Ludwig Thoma.

Thoma, der am liebsten in Lederhosen auftrat, war eine exotische Erscheinung auf dieser Großkundgebung, spielte aber eine wichtige Rolle. Tirpitz dankte ihm anschließend überschwänglich: „Der wunderbare Verlauf der großen ersten Versammlung der Deutschen Vaterlands-Partei, die große Wirkung, welche auf den Geist der vielen tausend Zuhörer übergegangen ist, ist zu einem sehr großen Teil auch ihr Werk gewesen.“

Die Verbindung zwischen dem preußischen Admiral und dem betont bodenständigen Autor aus den bayerischen Bergen ist im ersten Moment überraschend, doch sie hat ihre Logik. Thoma war ein sehr heimatverbundener Schriftsteller, aber keineswegs mit engem Horizont, wie schon seine Heirat mit der auf den Philippinen geborenen Tänzerin Marietta di Rigardo zeigte, die er im Hause des „Simplicissimus“-Verlegers Albert Langen kennengelernt hatte.

Die Protagonisten von Thomas Romanen entstammten meist dem bäuerlichen Milieu, aber auch die große Politik spielte häufig eine wichtige Rolle. 1867 in Oberammergau geboren, hatte er erst in München, dann in Erlangen Jura studiert und sich zunächst als Anwalt niedergelassen, bevor er 1900 Redakteur des „Simplicissimus“ geworden war, wo er bald in die Chefredaktion aufrückte. Ab 1906 gab er gemeinsam mit Hermann Hesse und Theodor Heuss die Zeitschrift „März“ heraus. Im gleichen Jahr musst er auch sechs Wochen im Gefängnis Stadelheim absitzen, weil er anlässlich eines Sittlichkeitskongresses die evangelische Geistlichkeit als „gnadentriefende Schöpsenkeule“ und „evangelische Unschlittkerze“ beleidigt hatte.

Der „Simplicissimus“ entwickelte sich rasch zur anerkanntesten politisch-satirischen Wochenschrift in Deutschland. Sein Name wurde zum Synonym für Kritik am Wilhelminismus mit seiner Großmannssucht, wobei die Monarchie als Staatsform nicht infrage gestellt wurde.

Die Zeitschrift vereinte kreative Kräfte höchst unterschiedlicher Art, von Hans Grimm bis Heinrich Mann, vor allem aber hatte sie die besten Zeichner, die es damals gab, unter anderem Thomas Theodor Heine, Eduard Thöny, Rudolf Wilke und Olaf Gulbransson. Der wirtschaftliche Erfolg übertraf sogar den der ebenfalls in München gegründeten „Jugend“, immerhin Namensgeber für den Jugendstil.

Ludwig Thoma reüssierte auch als Buchautor, z. B. mit den bis heute gern gelesenen „Lausbubengeschichten“, einer Art deutschem „Tom Sawyer“, die noch in den 60er Jahren mit Hansi Kraus und Georg Thomalla verfilmt wurden. Großen Erfolg hatten die „Filserbriefe“, die zuerst im „Simplicissimus“ und dann in Buchform erschienen. Diese Briefe eines fiktiven katholischen Landtagsabgeordneten, in denen Thoma die politischen Verhältnisse in Bayern schonungslos kritisierte, brachten ihm den Ruf ein, der Hauptagitator gegen die katholische Zentrumspartei in der Redaktion des „Simplicissimus“ zu sein.

Thoma verstand sich damals als Liberaler, der gegen den klerikalen Traditionalismus seiner Zeit wortmächtig zu Felde zog. Gleichzeitig war er national eingestellt, wie viele Süddeutsche ein Verehrer des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck, wobei diese Verehrung bei ihm extreme Züge annahm.

Bismarck war bei den süddeutschen Liberalen ungleich angesehener als Wilhelm II., der ihn entlassen hatte. Für die liberalen Bürger verkörperte Bismarck die positive Idee der nationalen Einheit. Seine Reichsfeinde, die Sozialisten und Katholiken, waren auch ihre Reichsfeinde. 1895 machten die Münchner ihn sogar zum Ehrenbürger. So erklärt sich auch die doppelte Frontstellung Thomas gegen den wilhelminischen Militarismus zum einen und gegen die in Bayern dominierende katholische Zentrumspartei zum anderen.

Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ergab sich eine neue Lage. Nun hieß es, zusammenzustehen gegen eine Welt von Feinden. Für Satire war da kein Raum mehr. Thoma plädierte dafür, den „Simplicissimus“, dessen wichtigster Autor er bis dahin gewesen war, ganz einzustellen, fand für diese Position jedoch in der Redaktion keine Mehrheit. Stattdessen versuchte man sich gewissermaßen in literarischer Wehrertüchtigung. Auf dem Umschlag der Zeitschrift bekam der berühmte „Simplicissimus“-Hund Verstärkung in Gestalt eines säbelschwingenden Kavalleristen. Die Illustrationen warben für Kriegsanleihen oder karikierten den Feind. Zusätzlich gab es eine Serie von Kriegsflugblättern und Sonderpublikationen. Hatte Thoma wenige Jahre zuvor für die „Simplicissimus“-Streitschrift „Gegen das Zentrum!“ die Feder gewetzt, so schrieb er nun für eine Streitschrift, die mit dem den Schlachtruf „Gott strafe England!“ titelte.

Die Kriegsthematik dominierte auch Thomas Bühnenstücke: 1914 schrieb er zwei Einakter, „Der erste August“ und „Christnacht 1914“. Er meldete sich als Kriegsfreiwilliger an die Front, wurde aber mit fast 50 Jahren nur im Sanitätsdienst eingesetzt. Er wirkte an allen Fronten bei der Truppenbetreuung mit und erhielt dafür das Eiserne Kreuz II. Klasse. Als er schließlich eingeladen wurde, sich der Deutschen Vaterlands-Partei anzuschließen, zögerte er nicht. Parteimitglied wird auch sein Kollege Ludwig Ganghofer, der nicht nur in Millionenauflagen verbreitete Heimatromane geschrieben hatte, sondern auch mit Wilhelm II. befreundet war, freiwillig als Kriegsberichterstatter arbeitete und noch Durchhalteparolen verkündete, als der Krieg längst verloren war.

Mit ihrer kriegerischen Wendung standen die beiden populären Schriftsteller nicht allein. Das ehedem so liberale München war ein Zentrum der Kanzlersturzbewegung, der sogenannten Alldeutschen mit ihren extremistischen Kriegszielen, des Rassismus und völkischer und antisemitischer Vereinigungen geworden. Hier wurde 1916 der „Volksausschuss für die rasche Niederwerfung Englands“ gegründet, dessen Vorsitzender Max von Gruber war. Gruber, ein aus Österreich stammender Arzt, leitete zugleich die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ und gab die völkische Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“ heraus. 1917 wurde er auch Leiter der bayerischen Sektion der Deutschen Vaterlands-Partei.

Die wichtigsten Agitatoren der Partei waren in Bayern Thoma und Ganghofer, doch der Erfolg hielt sich trotz ihrer hohen Popularität sehr in Grenzen, denn die Partei wurde als preußisch-protestantisches Unternehmen wahrgenommen und die antipreußische Stimmung hatte sich im Laufe des Krieges enorm verschärft. Viele Konservative hielten auch eine neue Partei für ganz überflüssig, weil das Zentrum in Bayern extrem konservativ war und sich vehement gegen Erzbergers Kurs eines Verständigungsfriedens wandte.

Ludwig Thoma trat in jener Zeit immer chauvinistischer auf und hatte die Redaktion des „Simplicissimus“ deshalb im Frühjahr 1917 verlassen müssen. In der Vaterlands-Partei, deren Gründer Realitätsblindheit mit Patriotismus verwechselten, fand er eine neue Heimat.

Die Partei, die in kurzer Zeit mehr als 1,2 Millionen Mitglieder gewann und sich nach einem Siegfrieden wieder auflösen wollte, war ein letztes verzweifeltes Aufbäumen der alten Eliten des Kaiserreichs, die sich gegen die anstehende Parlamentarisierung sperrten und von einer plebiszitären Militärdiktatur unter der Führung von Ludendorff und Hindenburg träumten. Die Partei trug aber auch Züge einer protofaschistischen Massenbewegung. In ihr sammelten sich die maßgeblichen antidemokratischen Kräfte wie Wolfgang Kapp, Namensgeber des Kapp-Putsches von 1920, oder der Deutschnationale Alfred Hugenberg.

Der Historiker Friedrich Meinecke nannte die Vaterlandspartei „ein genaues Vorspiel für den Aufstieg Adolf Hitlers“. Tatsächlich bildete sich im Krisenjahr 1917 bereits die politische Konstellation heraus, die die Weimarer Republik bis zu ihrem Ende prägen wird. Auf der einen Seite die Friedenresolution, getragen von der klassischen Weimarer Koalition aus Zentrum, Liberalen und SPD, von der sich die Kommunisten abspalten. Auf der Gegenseite die Vaterlandspartei als Sammelbewegung aller völkischen, antisemitischen und antidemokratischen Kräfte, die ihre reaktionäre Agenda mit nationalen Parolen verbrämten.

Zu einem deutschen Siegfrieden kam es bekanntlich nicht. Am 8. November war der Krieg trotzdem zu Ende. Matthias Erzberger leitete die deutsche Delegation bei den Waffenstillstandsverhandlungen. Er erkannte, dass eine Fortsetzung des verlorenen Krieges sinnlos war und solche Verhandlungen deshalb unausweichlich waren. Nach den Verhandlungen wurde maßlos gegen Erzberger als „Novemberverbrecher“ und „Volksverräter“ gehetzt. Am 26. August 1921 erschossen ihn zwei rechtsradikale Fememörder.

Die Deutsche Vaterlands-Partei löste sich am 10. Dezember 1918 auf, ihre Führer schlossen sich der kurz zuvor gegründeten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an, deren prägende Persönlichkeit bald der nationalistische Medienunternehmer Alfred Hugenberg wurde. Hugenberg durfte, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, für einige Monate als Wirtschaftsminister amtieren, ansonsten kam er über die Rolle von Hitlers Steigbügelhalter nicht hinaus.

Ludwig Thoma wurde nach dem Ersten Weltkrieg Hauptautor des „Miesbacher Anzeiger“, des radikalsten antidemokratischen Hetzblattes neben dem „Völkischen Beobachter“. Die führenden Männer des bayerischen Zentrums verließen die Partei aus Protest gegen den Kurs Erzbergers und gründeten im Dezember 1918 die Bayerische Volkspartei.

Diese Partei war bis 1933 die dominierende Kraft in der bayerischen Politik. Zentrum und Bayerische Volkspartei waren Schwesterparteien, ähnlich wie heute CDU und CSU, nur war die Eigenwilligkeit der Bayern damals noch wesentlich stärker ausgeprägt als heute. 1925 unterstützte die Bayerische Volkspartei Paul von Hindenburg gegen den Kandidaten ihrer Schwesterpartei, was ausschlaggebend für dessen Wahl zum Reichspräsidenten war. 1933 war Hindenburg der Mann, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte.

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