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Der Kampf um gleiche Rechte dauert an, weltweit: Protest der "Black Lives Matter"-Bewegung gegen den Tod schwarzer Personen in Polizeigewahrsam in den USA.

© Reuters

Geschichte des Rassismus: Hautfarben sind auch nur Ansichtssachen

Deutsche galten mal als Nicht-Weiße: Hautfarben wurden erfunden, um abzuwerten. Das ganze Konzept gehört abgeschafft. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Dernbach

Im Jahre 1922 waren im US-Staat Alabama Ehen und Sex zwischen Weißen und Nichtweißen noch verboten. Wegen Verstoßes gegen das rassistische Gesetz gegen „Rassenmischung“ wurde damals der Afroamerikaner Jim Rollins verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte die sizilianische Einwanderin Edith Labue geheiratet.

Erst in zweiter Instanz konnte er die Aufhebung des Urteils erwirken. Sein Argument: Seine Frau sei gar nicht weiß, schließlich sei sie Italienerin. Das Gericht gab ihm recht. Die Staatsanwaltschaft habe keine Beweise dafür bringen können, dass die Ehefrau nicht doch Anteile „schwarzen“ Bluts habe, und die Tatsache, dass sie Sizilianerin sei, „in keiner Weise beweiskräftig dafür, dass ie eine weiße Frau ist“.

Es sind solche Blicke in die Vergangenheit – eine gar nicht so ferne, in den USA wurden Gesetze gegen "Rassenmischung" erst 1968 für verfassungswidrig erklärt – die erst greifbar machen, was antikoloniale Denkerinnen und Denker seit ein paar Jahren zum Glück in die Debatten auch der ersten Welt bringen: Dass die rassistische Rassen- und Hautfarbenlehre nicht Wirklichkeit abbilde, sondern sie erst schaffe. Wer weiß ist und wer nicht, ja überhaupt die Entdeckung – Erfindung – von so etwas wie Hautfarben, ist alles andere als Natur, sondern historisch gemacht. Und festgelegt wird über Farben, wer mehr und und wer weniger wert sein soll als andere. Schließlich entstand die Farbenlehre ja im Zuge der europäischen Unterwerfung der Welt vor 500 Jahren.

Weder Iren noch Deutsche galten als weiß

In Europa hat Italien damit eine besonders ausgiebige Erfahrung: Von den 27 Millionen Italienerinnen und Italienern, die zwischen den 1870er und den 1970er Jahren ihr Land verließen, machten sehr viele die Erfahrung, als Nichtweiße gesehen zu werden. Gian Antonio Stella, selbst Enkel eines in Preußen und Ungarn diskriminierten Arbeitsmigranten, hat vor Jahren in seinem Buch „L'orda“ (die Horde) die Geschichte dieser Verachtung erzählt, die seine Landsleute, die „olivbraune Bande“, weltweit traf. Wobei der Untertitel von Stellas Buch „Als wir selbst die Albaner waren“" schon andeutet, wie flexibel Rassismus ist.

Als das Buch 2003 erschien, fürchtete Italien noch die Migranten aus dem Nachbarland östlich der Adria. Inzwischen ist der und die meistgehasste Fremde wieder afrikanisch. Man könnte hinzufügen, dass der nationale Binnenrassismus ähnlich biegsam ist: Während einst der Gründer der rechtsradikalen Lega Nord Umberto Bossi von der „reinen, erwählten Rasse“ der Po-Ebene schwärmte und sie unter der Kolonialherrschaft eines „Römisch-Kongo“ sah, kennt sein Nachfolger Matteo Salvini nur noch das auserwählte Volk aller Italiener bis nach Sizilien.

Das Blut, die „Farbe“: Wie das alles entstand, hat Charlotte Wiedemann in ihrem kürzlich erschienenen lesenswerten Buch „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“ geschildert. In den Anfängen der langen, grausamen Geschichte der Unterwerfung und Hierarchisierung der Welt sind auch die ersten Farbspuren zu entdecken: Christoph Kolumbus' erster Kontakt mit den Menschen in der Karibik wurde erst im nachhinein „als Begegnung von Hautfarben inszeniert“, als Ehrerbietung der Inselbewohner gegenüber dem weißen Mann.

Kolumbus selbst hatte sie noch einfach als schöne Menschen mittlerer Hautfarbe in Erinnerung. Und später definierte Thomas Jefferson, eine der Gründungsgestalten der USA, "weiß" so eng, dass lediglich Protestanten britischer Abstammung ins Profil passten. Auch Deutsche waren nicht weiß, weil „deren keltisches Blut sie aus Jeffersons Sicht zu Minderwertigen mit dunklerer Haut machte“. Die Iren, deren Klischee- und Werbebild heute aller Welt milchhäutig und rotblond vor Augen steht, brauchten in Jeffersons Heimat, so Wiedemann, „noch länger als die Deutschen, um als weiß zu gelten“.

Un- und Wahnsinn der Klassifizierung von Menschen

Es ist eins, politisch darauf zu bestehen, dass „Weiß“ eine Erfindung ist und Schwarz-Gelb-Rot gleich mit. Ein anderes ist es, dieses Wissen mit historischen Beispielen, Szenen, auch Anekdoten – was, die Iren keine Weißen? – begreifbar zu machen.

Dafür müssen noch viel mehr solcher Bücher erscheinen und vor allem Schulbücher, die das zum Thema machen. Damit unsere immer vielfältigeren Gesellschaften im Norden den Un- und Wahnsinn von Klassifizierungen begreifen, die einer wachsenden Zahl Menschen ihre vollen Menschenrechte verweigern. Weltweit spalten und lähmen sie eine Welt, die für ihre Großbaustellen Klima, Armut, Ungleichheit eigentlich Ideen und Energie aller Bürgerinnen und Bürger braucht.

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