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Ein Maßbecher, den man leicht halten kann.

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Geräte für jede Lebenslage: Design für alle

Eine Dusche ohne Barriere, das war ursprünglich für die Krankenpflege gedacht. Heute ist das Standard – sogar in Luxushotels. „Universal Design“ dieser Art soll uns den Alltag erleichtern.

Salat schleudern zum Beispiel, das kann ganz schön schwer sein. Wenn man nämlich die typische Salatschleuder hat, für die man zwei Hände braucht, eine zum Festhalten und eine zum Ziehen. Auch schlimm: Stecker, Saftpressen und alle Geräte mit Griffen. Was macht man, wenn man einen Gips hat oder ein schreiendes Kind auf dem Arm? Design, das einem den Alltag erleichtern soll, schließt einen ziemlich oft von diesem Alltag aus.

Seit einiger Zeit gibt es eine Gegenbewegung. Es geht darum, Dinge so zu gestalten, dass man sie in möglichst jeder Lebenslage benutzen kann. Ob man alt ist, schwanger oder Linkshänder, ob man Kinder hat, eine Behinderung oder einfach etwas schwer von Begriff ist, was die Bedienung einer Motorsäge angeht. Das klingt selbstverständlich, ist aber immer noch ziemlich exotisch. So wie der Laden für Linkshänder, den Homer Simpsons Nachbar Ned Flanders aus der amerikanischen Fernsehserie „Die Simpsons“ eröffnet. Er heißt „Leftorium“ und geht wegen mangelnder Nachfrage gleich mal pleite.

Ingrid Krauß arbeitet am Internationalen Designzentrum Berlin. Sie weiß, wie alles anfing. Mit den Weltkriegsveteranen in den USA nämlich, die Rampen und Fahrstühle in öffentlichen Gebäuden brauchten und Wohnungen, in denen sie mit Behinderungen leben konnten. Da habe es nicht mehr gereicht zu sagen: Hauptsache, man kommt irgendwie rein. Alle sollten dieselbe Tür nehmen können. Der Architekt Ronald L. Mace, selbst Rollstuhlfahrer, erfand den Begriff „Universal Design“.

Design für alle. Das klingt erst mal abschreckend. Nach abwaschbaren Plastiksitzen in Behörden und auf Flughäfen, auf denen alle Platz finden. Oder Billy-Regale, die sich jeder leisten kann. Soll das die Zukunft des Designs sein? In Amerika sind die gesetzlichen Vorschriften inzwischen so streng, dass kaum mehr Dinge auf den Markt kommen dürfen, die nicht nach Universal-Design-Prinzipien funktionieren. Als Siemens einmal Telefone in die USA exportieren wollte, mussten diese so beschaffen sein, dass man sie mit Hörgerät benutzen konnte.

Krauß sagt, anfangs habe man unter Design für alle Design für Alte verstanden. Duschen, in denen man nicht stolpert. Geräte mit großen Displays und Tasten, die man mit Sehschwäche findet. Autos, in die ein Rollstuhl passt. Das meiste davon „grottig“, wie Krauß sagt. Etwa die Sessel, in denen ein Rentner gut sitzt und aus denen er gut wieder hochkommt. Wenn es welche gibt, sind sie „entweder medizinisch oder haben einen hässlichen Überzug“. Keiner will so etwas kaufen. Die alten Leute in ihrem Bekanntenkreis legen einen Holzklotz unter ein normales Sofa, damit es die richtige Höhe hat.

Dabei kann Design für Alte ziemlich schick sein. Die Sachen von Oxo etwa. Oxo ist eine Firma, die Gemüseschäler, Saftpressen, Teigschaber, Kochlöffel oder Rührschüsseln herstellt. Küchenuntensilien in knalligen Farben, die auf so schöne Art schlicht sind, dass die ergonomischen Griffe und der viele Gummi, damit man nicht abrutscht, nicht weiter auffallen. Auf die Idee kam Firmengründer Sam Farber 1990, als seine Frau Betsey Apfelkuchen machen wollte. Wegen ihrer Arthritis konnte sie den Schäler nicht halten.

Wie ein barrierefreier Wohnwagen aussieht

Die Firmenzentrale in New York, weiße Räume mit schlichten dunklen Regalen. An einer Wand hängen einzelne Handschuhe, die irgendwer in den Straßen von Manhattan verloren hat. Die Mitarbeiter sollen sie sammeln – als Symbol dafür, wie viele unterschiedliche Hände es gibt, die irgendwann Äpfel schälen müssen. Das meistgekaufte Gerät ist bei Oxo übrigens die Salatschleuder. Sie ist aus transparentem Kunststoff und man muss nichts halten und ziehen, sondern nur oben auf einen Knopf drücken.

Was zeichnet Design für alle aus? Anruf bei Mathias Knigge. Er ist Designer in Hamburg und berät mit seiner Agentur „Grauwert“ Firmen und Institutionen, die sich für „demografiefeste Produkte und Dienstleistungen“ interessieren, wie das so schön heißt. Die werden wir brauchen. In Deutschland leben heute 17 Millionen Menschen, die 65 oder älter sind, 2035 werden es bis zu 24 Millionen sein, 2060 dürfte ein Drittel aller Deutschen in Rente sein. Knigge, der Maschinenbau und Industriedesign studiert hat, beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit altengerechter Technik. Damals habe es geheißen: Wir brauchen Seniorenautos, Seniorenhandys.

Mathias Knigge ist zu Senioren gegangen, nach Hause, in die Schrebergärten. Hat ihre Bäder inspiziert, ihnen beim Rasenmähen zugesehen, ihnen eine Motorsäge in die Hand gedrückt. Und bemerkt, dass die meisten Geräte auf junge Profis zugeschnitten sind. Nicht auf die alten Hobbygärtner, die sich diese leisten können und nichts wollen, was sie an ihr Alter erinnert. Sondern Geräte mit guten Griffen, einer einfachen Starterfunktion, verständlichen Anleitungen. Wovon wiederum alle etwas hätten: schlechter ausgebildete Arbeiter genauso wie technische Laien oder Nicht-Muttersprachler.

Ein riesiger Markt sei das, sagt Knigge. Nicht alle haben ihn erkannt. Knigge bucht gerne eines der barrierefreien Zimmer, die es inzwischen in den meisten größeren Hotels gibt. Furchtbar, sagt er. Wenige Möbel, Zimmer bis oben hin gefliest, die Armaturen wie in einem Pflegeheim. Alles in solchen Zimmern schreit einen an: Das hier ist für spezielle Bedürfnisse.

Dabei wäre es so einfach, sagt Knigge. Es gibt Handtuchhalter, die gut aussehen und an denen man sich festhalten kann. Halterungen für Stützklappgriffe kann man in normalen Zimmern montieren – und bei Bedarf die Griffe einhängen. Den Platz, den Rollstuhlfahrer brauchen, kann man so gestalten, dass er auch größeren Familien gefällt.

Oder man nimmt einfach einen barrierefreien Wohnwagen. Der Designer Markus Kurkowski hat einen solchen Caravan gestaltet, mit bodennahem Einstieg und rollstuhlgerechtem Innenraum. Sein „Beyond“ ist nicht nur ein Fortbewegungsmittel für alle, die sich eingeschränkt bewegen können. Er sieht mit seinen geschwungenen Außenwänden in Schwarz und Orange auch schick aus.

Design sei dann schlecht, wenn es bevormundet, Schwächen herausstreicht, sagt Knigge. Es sei dann gut, wenn es „für die einen schön, für die anderen bequem und für einige von speziellem Nutzen ist“. Handys mit Spracherkennung wie das iPhone. Autos, in denen ein Rollstuhl nicht hinten hineingeschoben wird, sondern neben dem Fahrer stehen kann. Mehrgenerationenhäuser ohne Treppen, dafür mit viel Raum und bodentiefen Fenstern, in denen sich Kleinkinder, Bettlägrige und Alleinstehende wohlfühlen.

Manchmal sind es die ganz kleinen Dinge. Stecker, die man nicht aus der Steckdose ziehen muss, sondern die man durch Kippen aus der Wand lösen kann. Schalter im Flur, mit denen man den Stromkreis unterbricht, an dem der Herd hängt – falls man vergessen hat, ihn abzudrehen. Weinflaschen, auf denen Jahrgang und Alkoholgehalt in Braille-Schrift stehen. Ein paar Punkte, die keinem auffallen. Für alle, die darauf angewiesen sind, aber ein riesiger Unterschied.

Design für alle, das ist laut Knigge Design, das man nicht wahrnimmt. Wie die bodenebene Dusche. Eigentlich erfunden für Pflegebedürftige, wurde die Dusche ohne Schwelle fester Bestandteil jeder Wellness-Abteilung. Und erreichte irgendwann unsere Badezimmer, wo sie nun für Luxus steht. So schnell kann aus Design für Alte Design für alle werden. Und das ist schon interessant: Wir verlangen von Design, dass es außergewöhnlich ist, sich abhebt von der Masse. Aber das Design der Zukunft verlangt, dass es für genau diese Masse geeignet ist. Dass es von allen verwendet werden kann, weil es nicht heraussticht.

Das Design der Zukunft – es wird bis zu einem gewissen Punkt unsichtbar sein.

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