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Auftaktkundgebung von Fridays for Future vor dem Brandenburger Tor am 29. November 2019 in Berlin-Mitte.

© Stefan Weger

Fridays for Future: Wer ist hier der Boomer?!

Die Babyboomer gegen die Generation Z: Dieser Konflikt löse den Klassenkampf ab, meinen Soziologen. Doch dieses Schubladendenken ist zu einfach. Eine Kolumne.

Die Geschichte wiederholt sich in Zyklen, das ist bekannt. Ist die heutige Zeit nicht ein auf den Kopf gestelltes Spiegelbild der 1960er Jahre? Was damals in den Himmel gehoben wurde, wird heute verurteilt. Schluss mit dem Wachstumswahnsinn und dem „Immer mehr“, mit Plastik, Einwegartikeln und Konserven, Schluss mit der Anhäufung nutzloser Gegenstände in sowieso schon überfüllten Wohnungen, Schluss mit dem Licht, das von morgens bis abends brennt, auch wenn man gar nicht da ist, Schluss mit Heizungen auf Hochtouren, mit Fleisch zu jeder Mahlzeit, mit zwei Autos pro Haushalt und mit Familiensonntagnachmittagen auf Flughafenterrassen, wo man den Flugzeugen und ihrer weißen, wattigen Spur im Sommerhimmel nachsah. Heute ist fliegen eine Sünde, und unsere Kinder erinnern uns daran, dass mit jedem Steak auf unserem Teller der Wald im Amazonasgebiet ein Stück schrumpft. Heute gilt: Weniger ist mehr. Weniger Verschwendung, weniger Müll, weniger Werbung, weniger Gegenstände, weniger unnütze Reisen.

Meine Großeltern mit ihren Einmachgläsern und Schreibmaschinen waren also Pioniere des Klimaschutzes

Ich habe den Eindruck, dass die Generation Z (nach 1996 geboren) nur eines will: zurück in die schlichte, einfache Welt meiner Großeltern. Merkwürdig, all diese Gesten, die wie ein Bumerang zurückkehren. Recycling, Kompost, eingewecktes Obst und hausgemachte Marmelade, Tauschwirtschaft, Do-It-Yourself, Resteverwertung, Servietten, Taschentücher und Windeln aus Stoff, Jutetaschen beim Einkaufen und Essigessenz, um die Spüle zu reinigen. Sogar Stricken, Schreibmaschinen und Vinylschallplatten sind zurück. Meine Großeltern waren also, ohne dass sie es wussten, Pioniere des Klimaschutzes.
Heute klagt man uns Babyboomer an, für alles Übel verantwortlich zu sein. Stimmt schon, wir wurden unter einem günstigen Stern geboren. Wir wurden in einer Zeit außergewöhnlichen Wirtschaftswachstums erwachsen, in einer Zeit der Arbeitsplatzsicherheit, des Fortschrittsglaubens, des explodierenden Konsums und des wiedergefundenen Friedens.

Aber sind wir wirklich diese Egoisten, die sich alles genommen haben, die teuer sind, die mit Reisen aus Langeweile die Umwelt schädigen und den Jüngeren mit Herablassung begegnen?

Auch die Babyboomer beschuldigten damals ihre Eltern: Sexuell verklemmt waren sie in ihren Augen, angepasst bis zum Gehtnichtmehr, und sie kehrten ihre Verbrechen der Vergangenheit unter den Perserteppich des bürgerlichen Esszimmers. Ironischerweise wiederholt die junge Generation Z, die angeblich den Babyboomern den Kampf angesagt hat, wiederum deren Protestaktionen. Nichts Neues unter der Sonne.

Es ist einfach, aber selten zutreffen, Generationen pauschal in Schubladen zu stecken

Es ist ziemlich einfach, Generationen in unterschiedliche Schubladen zu stecken. In die eine kommen die jungen Idealisten, die auf die Straße gehen, um den Planeten zu retten, und die ihren Eltern Vorhaltungen machen, wenn sie eine Plastikshampooflasche benutzen. In die andere die leichtsinnigen Babyboomer, die die Zukunft der Jungen zerstört haben. In wiederum eine andere kommen die alten Idioten, die denken, dass vorher alles besser war und jegliche Veränderung boykottieren. Aber was, wenn die Schubladen viel weniger ordentlich wären, als es scheint? Was wenn der Generationenkonflikt, der laut Soziologen dabei ist, den Klassenkonflikt zu ersetzen, gar nicht so klar einzugrenzen wäre?
Die französische Journalistin Pascale Hugues ist Kolumnistin des Tagesspiegel, Schriftstellerin und schreibt als Deutschlandkorrespondentin für das Magazin "Le Point". Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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