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Kein Schwein könne sich ernsthaft Rechtsrock anhören, sagt Felix Kummer.

© Doris Spiekermann-Klaas

Felix Kummer von Kraftklub: „Kein Schwein kann ernsthaft Rechtsrock hören“

Die Welt steht ihm offen, doch er bleibt in Chemnitz. Felix Kummer über alternde Neonazis, das kollektive Schaffe-Schaffe und sein Solo-Album "Kiox".

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Herr Kummer, Ihre aktuelle Single heißt „Wie viel ist dein Outfit wert?“ Verraten Sie es uns?
Die Adidas-Jacke ist Secondhand aus Kreuzberg, 20 Euro. Das T-Shirt mit dem Burger drauf habe ich von ’nem Kumpel geschenkt bekommen, weil ich Fast-Food-Fan bin. Dann die Reebok-Schuhe – ich überschlage mal grob: insgesamt 200 Euro. Der Song soll aber auch nicht sagen: Leute dürfen keine Marken mehr tragen oder Designer abfeiern. Das Lied basiert auf einer Youtube-Reihe, wo Kids auf der Straße gefragt werden, wie teuer ihre Klamotten sind. Und die flexen dann, was das Zeug hält ...

... Sie meinen: Die geben an?
... damit, dass ihre Jacke 3000 Euro kostet. Man könnte ja denken, warum labert der mich so an? Ist doch mein Recht, mein erarbeitetes Geld so auszugeben. Aber da wird mit dem Geld der Eltern rumgeprollt. Darum geht’s mir: Ausschluss durch Armut. Das zeigt sich bei Klamotten nur besonders pervers, im Grunde gab es das schon immer: Kids, die nicht mit zur Klassenfahrt konnten. In unserer Gesellschaft wird ja viel Vermögen vererbt. Und in Ostdeutschland einfach weniger.

Sie sind in Chemnitz aufgewachsen, machen dort mit Ihrer Band Kraftklub Musik. Ihr Vater, der Künstler Jan Kummer, sagte, er habe seinen Kindern nach der Wende nicht jeden Wunsch erfüllen können.
Ich habe uns nie als arm empfunden. Unser Urlaub ging halt an die polnische Ostsee, nicht in die Provence. Einem Kind ist das doch egal. Ich bin nach der Wende in einem Altbauviertel aufgewachsen, wo zu DDR-Zeiten niemand wohnen wollte: undichte Fenster, Kohleheizung, Toilette im Treppenhaus. Trotzdem habe ich in Chemnitz nie die Tristesse gesehen, sondern immer den Abenteuerspielplatz. Nie die leerstehenden Häuser, sondern die offenen Türen, hinter denen Möbel verwilderten.

Ihre Geburtsstadt nennen Sie Karl-Marx-Stadt.
Klingt interessanter! Außerdem ist es doch absurd, dass da ein riesengroßer Kopf im Zentrum steht, von ’nem Typen, der nie in der Stadt war. Ich habe den Platz nicht als politischen Ort wahrgenommen, sondern als Skate-Spot. Jetzt gerate ich wieder in die Rolle des Ostbotschafters, des Reiseführers für Chemnitz, der Tipps in petto hat.

Das liegt auch an Ihnen. Einer Ihrer bekanntesten Songs lautet: „Ich will nicht nach Berlin.“ Sie haben Ihre Karriere auf dem Bleiben aufgebaut.
Eine Trotzreaktion darauf, dass nach dem Abi alle gegangen sind. Das habe ich mir ja nicht mit der Chemnitzer Marketingagentur ausgedacht. Vor der Sachsen-Wahl hat sich ein Zitat von mir verselbstständigt, dass ich nun doch umziehen würde, wenn die AfD gewinnt. Ist natürlich Quatsch. Aber jeder Chemnitzer kennt diesen Impuls, dass man manchmal denkt, scheiß doch drauf.

Auf Ihrem Soloalbum rappen Sie über Ihre Heimat: „Es riecht nach Pisse, es riecht nach Tod.“
Ja, es ist die größte deutsche Stadt ohne ICE-Anschluss, dadurch bekommt dieses Abgehängtsein eine ganz buchstäbliche Note. Und die Bahn ist ja kein Privatunternehmen, die sagt: „Hey, tut mir leid. Die Passagierzahlen und so.“ Das ist eine Staatstochter! Nachts kriegt man kein Taxi bei uns. Und trotzdem fühle ich mich wohl. Subkulturell passiert viel in Chemnitz, nur gibt es nicht dieses eine Studentenviertel, wo das Leben pulsiert, eher so helle Punkte in diesem dunklen Zwitterwesen aus Provinz und Großstadt.

Ein solcher Punkt war der Plattenladen Ihres Vaters, das Kiox. Sie und Ihr Bruder, mit dem Sie in der Band spielen, sind dort aufgewachsen.
Das war eine Art Independent-Kaufhaus, es gab Schallplatten, CDs, noch Kassetten. Ich habe da gelernt, wie viel Musik Menschen bedeuten kann.

Einer der Mitarbeiter Ihres Vaters war der Dancehall-Musiker Trettmann.
Er Mitte 20, wir acht oder so. Wenn man es diplomatisch ausdrückt, waren wir sehr lebhafte Kinder. Man musste immer ein Auge auf uns haben. Seine WG lag bei uns im Haus, meine Eltern haben uns öfter da abgegeben. Ohne Mist, Tretti kam damals gerade frisch aus Jamaika und hat ununterbrochen Reggae-Jingles vor sich hingeträllert.

In Erinnerung an diesen Ort haben Sie Ihr Soloalbum „Kiox“ genannt und es drei Tage lang selbst in einem provisorischen Plattenladen verkauft. Wollten Sie keine Media-Markt-Kunden als Hörer?
2019 könnte man sagen: Streaming reicht aus, man muss nicht mehr alles auf Plastik pressen. Aber ich bin eben mit Musik zum Anfassen aufgewachsen. Am Ende konnte man das Album nur bei mir persönlich erwerben oder bestellen. Es sollte für die Leute sein, die es wirklich haben wollen.

In einem Song machen Sie sich lustig: „Menschen campen nächtelang vorm Apple Store.“ Jetzt haben Leute vor dem „Kiox“ übernachtet. Schämen Sie sich?
Es war das wärmste Oktoberwochenende aller Zeiten! Die Leute kamen aus Grenoble, Irland, Wien. Viele Ältere sagten: Ich habe das letzte Mal vor 30 Jahren für eine Platte angestanden. Das war schön, weil sie sehr persönlich geworden sind, und ich fühlte, dass es wert war, mich so zu überwinden.

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Ihre Eltern haben in der DDR die Dada-Musikgruppe AG Geige gegründet. Ihre Schwestern spielen in der Band Blond. Machen Sie abends alle zusammen Hausmusik?
Das stellt man sich so kellyfamilyesk vor, aber wir sind weit entfernt davon! Mein Vater trommelt auf keiner Bank rum, ich kann weder ein Instrument noch Noten lesen. Selbst mit dem Singen hapert’s. Lange hat mein Vater es sich verbeten, dass wir seine alten Sachen anhören. Meine Eltern hätten damals mit Poppern wie uns nix zu tun haben wollen.

Wie grenzt man sich von solch coolen Eltern ab?
Mit hartem Berliner Rap wie Sidos „Arschficksong“. Da haben meine Eltern zwar nicht die Anlage aus dem Fenster geworfen, aber sie fanden es kacke. Das war mein Punk.

Inzwischen wollen Sie den „Rap wieder weich machen“. Ist er das nicht längst?
Klar, es gab vor mir Tausende, die traurigen Rap gemacht haben. Hip-Hop ist so breit wie die Gesellschaft. Da ist Platz vom absoluten Supermachoproll bis hin zur feministischen Zeckenrapperin. Vielleicht fehlt ein Rentnerrapper. Aber was im Rap an Männlichkeitsbildern angelegt ist, existiert in der ganzen Gesellschaft. Da muss man sich nur die Pflegeprodukte ansehen, wo bei Frauen „beauty“ draufsteht und bei Männern „protection“.

Sie haben gerade Capital Bra in den Charts überholt und sind auf Platz 1. Fühlen Sie Genugtuung?
Ja, weil wir das ohne den großen Online-Versandhandel verkauft haben. Nicht wegen Capital Bra, den mag ich. Als ich mein Album aufgenommen habe, kam er plötzlich aus dem Nebenraum ins Studio gestürmt, rappte über meinen Beat. Der Typ, der gerade die Beatles abgelöst hat, mit den meisten Nummer-1-Hits hier! Das war so schön. Weil es gezeigt hat, dass er in erster Linie Musiker ist.

Sie können sich jetzt leisten, was Ihre Eltern damals nicht konnten: einfach Künstler sein. Stellen Sie die Familienehre wieder her?
Das haben die ja trotzdem gemacht. Mein Vater hat den Laden irgendwann abgegeben, er ist einfach kein Einzelhandelskaufmann. Nach der Wende dachten alle, sie müssten sich ins Gewinnersystem einreihen, ins kollektive Schaffe-Schaffe. Ich verstehe, dass da 30 Jahre später ’ne Ernüchterung einsetzt. Dass man sich nun wieder vom Kapitalismus abwendet, wahrscheinlich ist es nicht der Weisheit letzter Schluss, mit Geld mehr Geld zu machen. Nur: Warum dabei für viele der Schritt zum Faschismus so kurz ist, dafür fehlt mir das Verständnis.

In Ihrer Jugend mussten Sie vor Neonazis davonlaufen. Wie haben die Sie identifiziert?
Die haben sich das relativ leicht gemacht, da reichte ein Basecap oder Sneakers, jeder, der nach alternativer Jugendkultur aussah, egal ob Skater, Punker oder Technohead, war für die im Zweifel Zecke oder Antifa. Glücklicherweise haben wir sie auch direkt erkannt an den hässlichen Ballonhosen, an den Silhouetten. Meist sind wir weggerannt. Für uns waren die eine Begleiterscheinung in einer tollen Zeit, in der wir das Nachtleben entdeckten. Dass es bei anderen nicht so war, habe ich erst später verstanden.

Wie sah denn die Begleiterscheinung aus?
Wir haben viel vor Clubs abgehangen, getrunken, Stempel abgemalt. Da kam es vor, dass plötzlich ein paar Golfs anhielten, mit abgeklebten Nummernschildern, Typen ausstiegen, alles kleinmachten. Eine Sache von 30 Sekunden. Für uns war es normal, auf dem Nachhauseweg die Straßenseite zu wechseln oder in ’nen Busch zu springen. Unseren Eltern haben wir nichts erzählt. Nur als mal einem ein Zahn rausgeschlagen wurde, konnten wir es nicht mehr verheimlichen.

Kraftklub 2012 auf einer Kundgebung des Bündnis "Chemnitz Nazifrei".
Kraftklub 2012 auf einer Kundgebung des Bündnis "Chemnitz Nazifrei".

© picture alliance / dpa

Gab es Freunde, die nach rechts abgedriftet sind?
Es war subkulturell nicht reizvoll, Neonazi zu werden. Mal ehrlich, kein Schwein kann sich ernsthaft Rechtsrock anhören. Das war keine Leistung, sich diesem „Sog“ zu entziehen. Es war von Anfang an klar: Das waren richtige Dummbrote.

Im Song „9010“ rappen Sie von einem alternden Neonazi, der Ihnen nach Jahren leidtut.
Diese Melancholie empfindet man bei jemandem, den man sein Leben lang als ultimative Bedrohung erlebt hat – und der Jahre später zu einem Häuflein Elend an der Tankstelle zusammengeschrumpft ist. Mir ist wichtig, dass das nicht mit Verständnis verwechselt wird. Gerade im Kontext von 30 Jahre Wende kommt das gern zu sehr rüber wie: Die hatten es alle nicht leicht, ist ja kein Wunder, dass man einen Molotowcocktail auf ein Asylantenheim wirft. Aber dafür gibt es keine Entschuldigung.

Die Musik von Kraftklub war anfangs unpolitisch. 2013 haben Sie dann die Echo-Verleihung boykottiert, wegen der rechtslastigen Band Frei.Wild. Was hat Sie aufgerüttelt?
Die Sachen, für die wir uns einsetzen, sind immer noch nicht wirklich politisch. Ist ja nicht sonderlich links zu sagen: „Leute aufgrund ihrer Hautfarbe zu jagen ist scheiße!“ Das steht im Grundgesetz. Das Recht auf Asyl auch. Gruselig, dass man das Gefühl hat, das sei verhandelbar geworden. Was wir gemacht haben, war nicht mutig. Mutig ist es, sich in einem Betrieb mit einem Kollegen auseinanderzusetzen, wenn der rassistische Ansichten vertritt.

Der Verfassungsschutz erwähnt das von Ihnen organisierte #wirsindmehr-Konzert im Zusammenhang mit Linksextremismus, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer nannte Kraftklub eine „unmögliche linke Band“.
Da greifen sich alle Linksextremen an den Kopf: „Warte mal, die sind die Linksextremen?“ Eieiei, wie weit ist dieses Land nach rechts gerückt, wenn WIR schon außerhalb des demokratischen Meinungsspektrums liegen!

Das Konzert haben Sie 2018 nach den Ausschreitungen in Chemnitz veranstaltet. Hatten Sie Angst, instrumentalisiert zu werden?
Uns wurde ja vorgeworfen, das sei zu radikal geraten. Aber wir wollten kein Konsensfestival auf die Beine stellen. Ich hab’ einfach die berühmtesten Freunde aus meinem Telefonbuch gefragt, ob sie vorbeikommen. KIZ, die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet. Ich werde oft gefragt: „#wirsindmehr, was bleibt ein Jahr danach?“ Natürlich haben wir nicht mit ein paar flotten Riffs den Rechtsradikalismus besiegt. Weil er eben nicht an einem Wochenende entstanden ist. In Chemnitz gibt’s seit Jahrzehnten eine straff rechtsradikale Szene, und da wurde zu oft weggeschaut. Das muss man der Politik, speziell der CDU in Sachsen, anlasten. Wenn wir weißen Dullis das Gefühl haben, Betroffene von rechter Gewalt zu sein, wie geht es erst People of Colour oder Menschen mit Kopftuch? Wir lassen euch nicht allein. Darum ging es.

Sie beschreiben auf dem Album das Phänomen Familientreffen, auf dem ein politischer Riss durch die Verwandtschaft geht. Haben Sie das selbst erlebt?
Ja, aber nicht in meiner Familie. Dieser Konflikt hört ja nicht bei der Flüchtlingskrise auf. Da geht es um Adoptionsrechte für homosexuelle Paare, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Und Klimawandel! Wie kann man sich einen „Fuck you, Greta!“-Aufkleber aufs Auto kleben? Darüber zerlegen sich Familien eben auch: „Mein Diesel – mein Recht“, G20, Gender Pay Gap. Wie kann das sein, dass wir so lange nicht gemerkt haben, wie sehr wir auseinanderliegen? Vielleicht ist es einfach ein Generationenkonflikt.

Musik machen Sie erstmals unter Ihrem Familiennamen. Früher nannten Sie sich Felix Brummer.
Ich finde es gesund, ein bisschen Schutzschild zu belassen. Viele Künstler trifft das ungefiltert, wenn Leute sagen: „Du hast mein Leben verändert mit deiner Musik.“ Die fangen an, das zu glauben: „Okay, ich bin wohl wirklich ein Messias.“ Hatte ich nie Bock drauf. Aber jetzt war der Zeitpunkt, den Schutzschild etwas runterzufahren. „Kummer“ ist vielleicht ein bisschen viel Zaunpfahl für eine melancholische Platte, aber was soll ich machen, so heiße ich nun mal.

Herr Kummer, wann haben Sie als weicher Rapper das letzte Mal geheult?
Meist weine ich bei Filmen. Das letzte Mal bei „Beats“, da geht’s um ein Gesetz in Schottland, das elektronische Musik verboten hat, und zwei Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus, die gemeinsam raven gehen. Der eine zieht weg aus dem Viertel, der andere bleibt. Solche Freundschaftsgeschichten lösen was in mir aus. Obwohl es eine Komödie ist. Alle im Kino lachen, und ich bin der Einzige, der Rotz und Wasser heult.

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