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Ausnahmefußballer und Alzheimer-Patient: Gerd Müller ist am 15. August gestorben.

© imago images/Lackovic

Fehlende Therapien gegen Demenz: Woran Gerd Müllers Tod uns erinnert

Gegen fast alles gibt es Therapien, aber nicht gegen die Auflösung des Selbst. Daran hat sich seit vielen Jahren nichts geändert - und das bleibt vielleicht noch lange so. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Richard Friebe

Gerd Müller ist gestorben. Einer der ganz großen Fußballer sei „von uns gegangen“, stand in den Zeitungen. Aber das Bild stimmt nicht. „Gehen“ hat mit Bewusstsein zu tun. Davon aber bleibt, wenn wie bei Gerd Müller eine Demenz weit fortgeschritten ist, fast oder gar nichts mehr übrig.

Müllers Tod erinnert daran, dass Demenz jede und jeden treffen kann, und daran, dass es auf dem Gebiet der Demenztherapie kaum Fortschritte gibt – und im Grunde fast nie gab. Die Krankheit lässt sich heute ein wenig besser managen als früher, und Symptome können teil- und zeitweise gemildert werden. Mehr geht meist nicht.

Dagegen können Menschen, die früher an Schlaganfall oder Herzinfarkt gestorben wären, heute mit Hilfe von Medikamenten und Operationen – wenn sie in einem Land mit funktionierendem Gesundheitssystem leben – sehr alt werden. Ein Ex-US-Präsident konnte als 90-Jähriger durch optimale Behandlung ein bereits in sein Gehirn gestreutes Melanom überleben. Ein Physiker, dem eine Nervenkrankheit schon in jungen Jahren einen Großteil seiner Körperfunktionen raubte, konnte Weltstar und 76 Jahre alt werden. Aber gegen die Auflösung des Selbst gibt es keine OP, keine wirklich wirksame Pille, keine Chemo.

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Es ist fast ein Vierteljahrhundert her, da veröffentlichte Martin Suter den Roman „Small World“. Darin gelingt es erstmals, per Medikament Demenz auszubremsen. Suter schrieb keine Science Fiction, denn seinerzeit schienen die Erkenntnisse wirklich zu einem baldigen Durchbruch zu führen. Passiert ist aber so gut wie nichts. Dabei sind die meisten Demenzen nicht kategorisch anders als etwa Krebs-, Herzkreislauf- oder Stoffwechselkrankheiten.

Bei Demenz fehlt die Option, gezielt einzugreifen

Es sind alles langwierige zelluläre und Stoffwechselprozesse. Doch gerade bei Demenz, die vor allem ab einem gewissen Alter vorkommt, fehlt noch immer die Option, gezielt einzugreifen, und die Ursachen zu bekämpfen statt die Symptome. Das einzige Medikament, das dies können soll – eine Entwicklung aus den USA und von der dortigen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen – , ist hochumstritten.

Auch wenn das Gehirn generell eine besondere wissenschaftliche wie medizinische Herausforderung ist, gibt es sie, die entscheidenden Moleküle, die beeinflussbaren Prozesse. Wann der Durchbruch kommt, ist heute so unsicher wie je. Ob mehr Geld für Forschung die Erfindung der Alzheimerbremse beschleunigen würde, ebenso. Sicher ist nur eins: Alternden Gesellschaften läuft die Zeit davon, die sie zum Warten haben.

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