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Besucher fahren auf dem Oktoberfest abends mit einem Kettenkarussell.

© dpa

„Es tut uns weh“: Münchener Oktoberfest abgesagt

Schon vor Corona wurde von der „Wiesn-Grippe“ gesprochen, weil so viele Keime durch die Luft wirbeln. Das Fest wird nicht zum ersten Mal abgeblasen.

Der eine hätte am 19. September die erste Maß zapfen, der andere sie trinken sollen. Um 12 Uhr im Schottenhamel- Festzelt, so wie das seit Urzeiten Brauch ist. Doch nun stehen die beiden starken Männer Bayerns, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU), bei ihrer Pressekonferenz im leeren Sitzungssaal der Staatskanzlei. Sie machen es kurz, ganze 13 Minuten dauert der Termin am Dienstag. Nach einigen lobenden Worten über das „bedeutendste und wichtigste Fest der Welt“ sagt Söder: „Das Oktoberfest wird in diesem Jahr nicht stattfinden. Es tut uns weh, es ist unglaublich schade.“ Der Grund, natürlich: die Corona-Pandemie.

Für viele werden es traurige zweieinhalb Wochen sein im Angesicht des 42- Hektar-Areals der Theresienwiese, auf dem dann nichts ist. Reiter spricht von einem „emotional und ökonomisch schwierigen Moment für unsere Stadt“. Seit dem Jahr 1810 findet das Oktoberfest statt, Anlass für die Gründung war die Hochzeit von Kronprinz Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese. Das Volk sollte mitfeiern, so der Wunsch der Adeligen.

Mittlerweile ist die Wiesn eine auf dem ganzen Globus bekannte Institution, eine eigene Welt. Wer im Ausland „München“ sagt, erhält mit hoher Sicherheit „Oktoberfest“ und „Hofbräuhaus“ als Antwort. Um die sechs Millionen Besucher kommen Jahr für Jahr, vier Millionen davon aus Bayern. Der Umsatz wird auf 1,2 Milliarden Euro geschätzt.

Da sind zum einen die 14 großen Zelte, passender auch Festhallen genannt. Sind sie abends alle voll – was die Regel ist – dann essen, trinken, johlen und tanzen um die 100.000 Menschen zeitgleich auf den Tischen und Bänken. Zum anderen gibt es die vielen Fahrgeschäfte vom Olympia Looping über den Fallturm „Skyfall“ bis zu Geräten, die die Besucher wild nach links und rechts, oben und unten schleudern. Zuschauern bereitet es mitunter Vergnügen zu sehen, wie da immer wieder eine Ladung Erbrochenes durch die Luft fliegt.

Doch am Bestechendsten an der Wiesn sind sicherlich die kleineren, traditionellen Schausteller wie Schichtls Enthauptungs-Theater, ein gemütliches Kettenkarussell oder der Miniatur-Flohzirkus mit echten Insekten.

Immer wieder haben Feste zur Corona-Ausbreitung geführt

Eigentlich hat jeder gewusst, dass die Wiesn in diesem Jahr nicht stattfinden kann. Ein Volksfest sei eine „Viren-Schleuder“, sagt Markus Söder. „Das Risiko ist schlicht und einfach zu hoch.“ Im Bierzelt könne man nicht mit Abstand und Mundschutz arbeiten.

Gerade Feste haben zu Corona-Ausbreitung geführt: etwa die Après-Ski-Party im österreichischen Ischgl, der Karneval in Heinsberg oder das Starkbierfest im oberpfälzischen Mitterteich. Schon zu normalen Zeiten sprach man von der „Wiesn-Grippe“, die Besucher befiel, weil so viele Keime durch die Luft geschleudert werden.

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Die Band „Münchner Zwietracht“ bespielt normalerweise Abend für Abend das für seinen hohen Promifaktor bekannte Marstallzelt. Thomas Gottschalk, Boris Becker oder Verona Poth kehren dort ein so wie jede Menge „Adabeis“ – Leute, die auch dabei sein wollen. Die Zwietracht gilt als die bekannteste Oktoberfest-Band. Jetzt sagt Organisator und Bassist Wolfgang Köbele: „Uns brechen sämtliche Gagen weg, einfach alles.“ Und das nicht nur an den 16 Tagen des Oktoberfestes. Vom Frühjahr bis Ende November wird die Band in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz gebucht. Das reicht vom Frühlingsfest im Aargauer Baden bis hin zu Oktoberfesten in Mainz und Bielefeld. Die Saison ist futsch. Köbele meint trocken: „Mal schauen, wie lange das Ersparte reicht.“

Dabei beherrscht die Band es perfekt, einen Oktoberfestabend zu orchestrieren: Langsamere, leisere Musik zu Beginn, wenn die Leute im Zelt essen. Und dann hauen sie einen Kracher-Klassiker nach dem anderen raus, bis die Menschen auf den Bänken und Tischen tanzen. „Skandal im Sperrbezirk“, „Rock me Amadeus“, „Highway to Hell“ – alles wird angespielt. Dazwischen immer wieder „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, damit ordentlich aus dem Maßkrug getrunken wird.

Das Oktoberfest wurde schon früher aufgrund von Epidemien abgesagt

Die Absage ist nicht die erste in der Geschichte. Bereits im vierten Jahr seines Bestehens muss das Oktoberfest wegen des Kriegs mit Napoleon ausfallen. Und auch Krankheiten verursachten den Ausfall des Fests. In Bayern gab es im Sommer 1854 etwa 15.000 Cholera-Fälle mit 7370 Toten.

Das Oktoberfest wurde abgeblasen. Königin Therese, zu deren Ehren das Oktoberfest ins Leben gerufen wurde, infiziert sich bei einem Dankesgottesdienst zum Ende der Epidemie und stirbt. 1866 Bayern nimmt an der Seite Österreichs an den Preußisch-Österreichischen Kriegen teil - nicht die Zeit für ein fröhliches Fest. Im Jahr 1873 wird München erneut von einer Cholera-Epidemie heimgesucht.

Auch während beider Weltkriege und der dazwischen aufflammenden Hyperinflation - in den Jahren 1923 und 1924 - ist kein Fest vorstellbar. Nach 1945 finden die Feste zunächst im kleinen Rahmen statt. Seitdem ist das Oktoberfest nicht mehr ausgefallen.

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Doch es gab auch gegenteilige Entscheidungen: So lief das Fest 1980 trotz des Oktoberfestanschlags weiter. Damals starben am 26. September im Bereich des Haupteingangs zwölf Menschen durch die selbstgebastelte Bombe eines Rechtsextremisten. 213 Besucher wurden verletzt, 68 von ihnen schwer. Auch im Jahr 2001 – nach den New Yorker Terrorattacken am 11. September – fand die Wiesn statt.

Nun bleibt 2020 die Tracht im Schrank. Hoteliers können keine völlig überteuerten Zimmer vermieten, Taxifahrer haben weniger Arbeit, der so genannte „Kotzhügel“ auf der Theresienwiese bleibt leer. Für die 500.000 Brathendl und 125 Ochsen, die normalerweise verzehrt werden, bedarf es einer anderen Verwendung.

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