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Oben und unten. Über Finanzielles nachdenken, ist uns zu banal - bis sich die ersten Unterschiede zeigen.

© Imago

Erstes Gehalt: Können wir Freunde bleiben?

Für die einen beginnt mit dem Karrierestart das große Geldverdienen, die anderen kommen gerade so über die Runden. Können Freundschaften das aushalten?

In der Phase zwischen Mitte und Ende 20 beschäftigen einen plötzlich Dinge, von denen man eben noch dachte, sie seien in weiter Ferne. Hartnäckige Rückenprobleme, ein höfliches „Sie“ aus dem Mund eines Abiturienten, die erste richtige Anstellung. Man schreibt makellose Bewerbungen, kauft sich etwas gut Geschnittenes für das Vorstellungsgespräch und übernimmt mehr Verantwortung für sich selbst. Tschüss Studentenjob, tschüss Mamas Finanzspritze.

Während die einen aber lange nach einem Job suchen und dann nur mäßig bis mau bezahlt werden, eröffnen sich für andere ganz neue finanzielle Möglichkeiten – Geld anlegen statt zusammenkratzen. Das Ergebnis: Bis dahin recht homogene Freundeskreise sind plötzlich von horizontalen Linien durchzogen, auf einmal gibt es ein Oben und Unten, eine soziale Kluft, wo eben noch Nähe war. Das kennen vielleicht auch diejenigen, die nach der Schule ins Berufsleben gestartet sind und mit 26 Jahren schon die Baufinanzierung in der Tasche hatten, während ihre ehemaligen Mitschüler sich noch auf Erstsemesterpartys schummelten (günstige Drinks!). Gleiches Alter, anderes Leben.

Essen gehen statt Stullen schmieren

M. zum Beispiel, angehender Physiker, Jahrgang ’88, hat kürzlich sein erstes Gehalt bekommen. Eine Stelle an der Uni, 30 Stunden, nebenher die Promotion, netto 1600 Euro. Das ist nicht genug, um die Nudeln mit Ketchup und Jagdwurst dauerhaft durch Kaviar zu ersetzen, doch wenn alles gut geht, verdient er in einigen Jahren schon ein Vielfaches. „Ich will jetzt erst einmal schauen, wie ich haushalten muss“, sagt er vorsichtig. Seine löchrigen Schuhe trägt er noch immer.

In einem anderen Fall ist die Sache glasklar. „Ich schaffe es gar nicht, das Geld auszugeben“, sagt Freundin L. mit einem überraschten Grinsen. Sie ist frischgebackene Assistenzärztin an einer Berliner Klinik, für ihren Traumjob hat sie viel gegeben. Zeit, Nerven, Schlaf. Jetzt bekommt sie die Belohnung monatlich auf ihr Konto. Laut Tarifverträgen liegen die Einstiegsgehälter für Assistenzärzte bei bis zu 4300 Euro brutto. Trotz Abzügen bleibt da netto schon etwas mehr übrig als beim Physikdoktoranden.

L. geht jetzt öfter in nette Restaurants und am Wochenende zum Frühstück außer Haus. Klar, Freizeit lässt sich besser nutzen, wenn man nicht selbst in der Küche stehen muss. Und der symbolische Wert erst: Wir jagen und sammeln nicht mehr, sondern lassen uns bekochen. Ein wahrhaft zivilisatorischer Akt, erst recht in der durchästhetisierten Stadtgesellschaft. Wer sich das nicht leisten kann, ist schnell raus. Man könnte auch sagen: Derjenige ist gezwungen, seine Beeren und Fleischstücke in der eigenen Höhle zu verzehren, während Homo pecuniosus in die Speisekarte vertieft ist. Kann eine Freundschaft diesen Kontrast aushalten?

Aristoteles' Vorschlag: Einschleimen und aushalten

Schon Cicero und Aristoteles sahen für asymmetrische Konstellationen keine großen Erfolgschancen. In seiner Nikomachischen Ethik betont Aristoteles, wie wichtig Gleichheit in der Freundschaft ist – nicht nur übereinstimmende Meinungen, sondern auch ähnlich große oder kleine Geldbeutel. Sein Lösungsvorschlag: Der weniger Begüterte muss dem Wohlhabenden mehr Zuneigung entgegenbringen, worauf dieser ihn an seinem Besitz teilhaben lässt. Einschleimen und aushalten? Klingt nicht sehr zeitgemäß.

Gut möglich, dass der eine Freund davon genervt ist, dass ein Treffen neuerdings automatisch mit mehrgängigen Menüs verbunden ist und nur noch exotische Ziele für den gemeinsamen Urlaub infrage kommen. Kann sein, dass der andere Freund wiederum bald die Nase voll davon hat, wahlweise die Tischrechnung zu übernehmen oder den Abend mit einem Spätibier im Park zu verbringen. Vielleicht heißt es dann irgendwann, man habe sich „halt auseinandergelebt“, ohne sich einzugestehen, was der Grund dafür ist. Denn Geld, so hat es die Generation der postmaterialistisch sozialisierten Jungerwachsenen verinnerlicht, ist viel zu banal, um darüber nachzudenken.

Verdammt, ist das noch Selbstmitleid oder schon Neid?

Wenn man aber einen Job in einer entsprechenden Branche (vorzugsweise Medien, Kultur, Soziales) hat, von dem größere Geldströme in nächster Zeit nicht zu erwarten sind, kommt man ins Grübeln. Nun wird klar, was es bedeutet, zu studieren, worauf man nach der Schule gerade Bock hatte. Was es heißt, Karriereentscheidungen zu treffen – nicht aus finanziellen Gründen (wie bieder wäre das bitte?), sondern nach Interesse und Leidenschaft. Man hadert vielleicht leise mit sich und überlegt, ob der öffentliche Dienst wirklich so langweilig ist. Dabei hat man irgendwann – eigentlich noch gar nicht lange her – Sätze gesagt wie diesen: „Ach, das Geld ist mir nicht wichtig, mein Job ist spannend und vielfältig, jeden Tag lerne ich so viel Neues.“

Stimmt. Nur der Punkt mit dem Geld ändert sich möglicherweise, wenn das soziale Umfeld, ohne mit der Wimper zu zucken, Designermöbel anschafft, Wohnungen mit mehr Zimmern als Anzahl der Bewohner bezieht und am Wochenende Eggs Benedict mit Blick auf den Landwehrkanal verspeist.

Plötzlich ploppen unangenehme Gedanken auf: Bin ich, ist meine Arbeit so viel weniger wert? Habe ich nicht auch jahrelang studiert und bringe unbezahlte Praktika als Spekulationsmasse meines kulturellen Kapitals mit? Wie kommt es, dass wir eben noch den Wocheneinkauf vom Pfandgeld bestreiten konnten und einer von uns jetzt Partys besucht, auf denen selbstredend Champagner ausgeschenkt wird? Verdammt, ist das noch Selbstmitleid oder schon Neid?

Wer zieht nach Zehlendorf, wer bleibt in der Studentenbude?

Auf großem Fuß. Tschüss Studentenjob, tschüss olle Turnschuhe! Oder doch noch nicht?
Auf großem Fuß. Tschüss Studentenjob, tschüss olle Turnschuhe! Oder doch noch nicht?

© T. Rückeis, M. Wolff. Herrenschuhe von Neri (links) gesehen bei Andreas Murkudis.

Ob es uns gefällt oder nicht, Finanzen wirken sich auf unsere Freundschaften aus. Bis zum Ende der Studienzeit redet man kaum über Geld, weil keiner besonders viel davon hat. Später dann will es keiner mehr thematisieren, weil es uns ungleich macht. Über Geld spricht man nicht – dieses urdeutsche Mantra kam uns Unter-30-Jährigen gerade noch spießig vor. Nun verstehen wir seinen Sinn.

Als L. den Vertrag mit der Klinik unterschrieben hat, gibt es am Abend ein Treffen in der Küche des Physikers. Irgendwann fragt jemand (fast verschämt): „Wie viel wirst du eigentlich verdienen?“ L. antwortet zögerlich, ein wenig peinlich berührt. Die Hälfte der Tischrunde macht große Augen, die andere Hälfte kichert. Was für ein Wahnsinnsbetrag! Die Zahl steht absurd im Raum. Zwischen Geschirrberg und Flohmarktsofa zeichnet sich der Beginn eines neuen Lebensabschnitts ab, in dem Geld plötzlich eine immer offensichtlichere Rolle spielt.

Kaufen wir jetzt teurere Geburtstagsgeschenke? Ist es noch okay, einen 2,80-Euro-Wein vom Discounter zum Essen mitzubringen? Wer zieht bald nach Zehlendorf, wer klammert sich an den alten Mietvertrag und die Studentenbude? Wer macht Urlaub auf dem Campingplatz, wer bucht Wellness im Fünf-Sterne-Spa? Haben wir sonst keine Probleme?

Eine offene Gesellschaft braucht Unterschiede

In einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben 44 Prozent der Befragten an, sie hätten Freunde, die wesentlich wohlhabender sind, 41 Prozent hätten auch Freunde, denen es „finanziell deutlich schlechter“ gehe. Die meisten Beziehungen sind also homogen, ein guter Teil kommt aber auch mit Unterschieden zurecht. Gut so! Würden wir alle diese Diskrepanzen meiden, hätte die offene Gesellschaft, von der alle immer sprechen, erst gar keine Chance.

Denn bis zum ersten Job sind die meisten jungen Akademikerfreundeskreise sowieso ziemlich gleich. Und die Generation derjenigen in Deutschland, die gerade im Berufsleben ankommen, ist die vielleicht glücklichste Generation aller Zeiten. Kein Weltkrieg, kein Kalter Krieg, die Konflikte waren immer weit weg. Unsere Eltern haben uns eine flauschig-gemütliche 90er-Jahre-Kindheit ermöglicht, wir hatten Gameboys, „Bravo Hits“ und die Empfehlung fürs Gymnasium. Immer mehr haben auch dank blühender Nachhilfeindustrie Abitur gemacht. Unsere Eltern hatten meistens Arbeit und oft gut bezahlte Jobs, die man nicht ständig wechselte. Sie sponserten unser Auslandsjahr und freuten sich ehrlich, wenn man, statt Geld zu verdienen, erst mal sechs bis acht Jahre Studium anpeilte. Sogar die Finanzkrise konnte uns nichts anhaben.

Tausche Selbstverwirklichung gegen Stechuhr

Und nun das: Wissenschaftler zeichnen vermehrt düstere Zukunftsszenarien. Der renommierte US-amerikanische Ökonom Robert Gordon beschreibt in seinem gerade erschienenen Buch „The Rise and Fall of American Growth“, wie die großen Industriestaaten ihren Wohlstand über mehr als 200 Jahre kontinuierlich steigern konnten. In der Generation der „Millenials“, der heute Jungen, allerdings würden viele wohl nicht den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen. „Das Immer-Mehr können sich immer weniger leisten“, konstatiert auch der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski.

Wir sind in idyllischen Siedlungen aufgewachsen und mit wehenden Fahnen in WGs gezogen, wo wir uns über die Bürgerlichkeit des Eigenheims lustig machten. Jetzt scheint es gar nicht mehr so unwahrscheinlich, dass wir bald zum Sektfrühstück nach Suburbia fahren müssen, um den Kontakt zu Freunden zu halten. Wird uns das leichtfallen? Wir wären nicht die ersten Ernüchterten, die Selbstverwirklichung und Freelancer-Dasein gegen Stechuhr und überzeugenden Gehaltsschein tauschen. Auch weil unsere Freunde uns zeigen, was wir theoretisch haben könnten.

Der Blick auf die Freunde

Nehmen wir Freund R.: Nach der Schule hat er eine Pilotenausbildung bei einer großen deutschen Fluggesellschaft absolviert. Die Arbeit ist hart. Eine Tour dauert bis zu fünf Tage, in denen er nicht zu Hause ist, sondern in immer gleich aussehenden, nüchternen Hotelzimmern schläft. Dafür kann er sich eine Teilzeitstelle leisten, spart sich freie Tage an und kommt so auf mehrere Monate Urlaub im Jahr. Zurück zu Hause ist er genervt vom Job, der ihm zahlreiche Privatreisen ans andere Ende der Welt ermöglicht, und träumt davon, irgendwann noch mal zur Uni zu gehen, „endlich meinen Kopf benutzen“. Er, mit seinen Fernreisen, der tollen Wohnung, dem vollen Konto, beneidet Freunde, die vermeintlich erfüllendere Berufswege gegangen sind und nicht mal halb so viel verdienen.

Wird er sich neu entscheiden? Werden die prekär Beschäftigten, die Freischaffenden und kreativen Selbstausbeuter irgendwann andere Prioritäten setzen?

Zwischen Geld und Idealen auch ehrlich zu sich selbst zu sein, ist nicht nur eine Herausforderung für Berufsanfänger. Denn auf die Frage „Was will ich eigentlich?” gibt es immer seltener eine klare Antwort. Vielleicht helfen da Gespräche mit guten Freunden. Freunden aus allen Gehaltsklassen.

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