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Er war bei vier Dax-Konzernen tätig: Thomas Sattelberger

© DAVIDS/Darmer

Ein Wirtschaftsinsider packt aus: Der Quotenmann

Thomas Sattelberger war Topmanager in mehreren Dax-Unternehmen. Bei der Telekom hat er durchgesetzt, dass 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt werden müssen. Er will weiter Großes bewegen.

Von Barbara Nolte

Thomas Sattelberger sitzt in der vergangenen Woche in der Lobby des „Adlon“ vor einer erkalteten Kanne Tee und formuliert seine Grabrede: „Er war oft hart …“, setzt er an, leicht schwäbelnd, „… und hat einigen Mist gebaut.“ Er spricht langsam und greift mit einer Hand vor sich in die Luft, als versuche er, die richtigen Worte zu fassen zu bekommen. „Aber er war immer davon beseelt, Ungerechtigkeit zu verringern und bessere Arbeitswelten zu schaffen.“

Sattelberger ist 65 Jahre alt. Ein kleiner, umgänglicher Mann, der sich auf das Gedankenspiel einlässt, zu dem er in seiner ersten Stelle als Ausbildungsleiter bei Daimler die Werksstudenten aufforderte. „Eine Übung“, sagt er, „um den Blick der jungen Leute dafür zu schärfen, was sie aus ihrem Leben machen wollen.“

Thomas Sattelberger, nach dieser Selbstbeschreibung besteht daran kein Zweifel, sieht sich als Mann von großem Sendungsbewusstsein und Durchsetzungskraft. Beides hat er in den Dienst der Frauen gestellt. „Quasi im Alleingang“, schrieb das Wirtschaftsmagazin „brand eins“, habe er im März 2010 bei der Telekom als erstem Dax-Konzern eine Frauenquote „durchgeboxt“. Bis Ende 2015 sollen 4500 Führungspositionen des Konzerns zu 30 Prozent mit Frauen besetzt sein. Damit wurde er, was für Personaler ungewöhnlich ist, auch außerhalb der Wirtschaftszirkel bekannt. Die Politik hat er vor sich hergetrieben, die in diesem Winter, fast fünf Jahre später, einen fixen Frauenanteil in Aufsichtsräten beschloss.

„Eine Aufsichtsratsquote ist doch nicht mehr als ein Rauscheengel oben am Christbaum. Sie schafft nur eine Frauenelite“, sagt Sattelberger.

Am Morgen ist er mit der ersten Maschine aus Wien gekommen. Er hat sich im „Adlon“, seinem Berliner Stammhotel, einquartiert. Dort sitzt er jetzt auf einem Sofa ganz hinten im Foyer. Seine Statur ist rundlich, sein Nacken breit. Bürstenhaarschnitt, warme braune Augen. Er trägt Business-Outfit: dunkelblaues Sakko mit Goldknöpfen und Einstecktuch. Sattelberger hat seine Biografie geschrieben, deshalb ist er in Berlin. Tags darauf will er sie zusammen mit Joschka Fischer, den er aus Schülerzeiten kennt, vorstellen. „Hoffentlich“, sagt Sattelberger lachend, „ist er morgen gut gelaunt.“

Sattelberger wirkt nervös, weil er sein ganzes Berufsleben ausstellt, das er häufig auf seinen Coup mit der Frauenquote verkürzt sieht. Vier Konzerne hat er von innen gesehen: außer Daimler und der Telekom noch die Lufthansa und den Automobilzulieferer Continental. In seiner Biografie zeichnet er ein Sittenbild aus deutschen Chefetagen. Es ist ein Bild der Unsitten geworden.

Zum Beispiel Jürgen Schrempp. Als Chef der DASA hatte er Thomas Sattelberger 1990 zur Daimler-Tochter geholt. Sattelberger saß neben Schrempp, als der am Telefon Kaufverhandlungen um den Flugzeugbauer Fokker führte. Plötzlich rief Schrempp laut: „It’s done.“ Dabei schlug er sich mit voller Wucht auf den Oberschenkel. Der Fokker-Kauf erwies sich später als Verlustgeschäft. „Ich fand Schrempp einen solchen Potentaten“, sagt Sattelberger. „Damals erlebte ich die Entzauberung von Macht.“

1994 flüchtete er vor Schrempp zur Lufthansa. Den Preis, ein um 20 000 Mark niedrigeres Jahresgehalt, empfand er „als Kastration“. Für einen Mann gehöre eine Gehaltskürzung zum Schlimmsten, was ihm passieren könne. Das habe er auch als Personalverantwortlicher erlebt, wenn es zu Umstrukturierungen kam. Geld fungiere im Unternehmen als Substitut für Sinnhaftigkeit, denn die originäre Arbeitsleistung des Einzelnen sei in großen Bürokratien kaum sichtbar. „Der Mensch ist ja Rädchen im Getriebe. Deswegen führen die ganzen Leistungsbeurteilungssysteme im Führungskräftebereich ins Nirwana, weil es kaum eine Leistung gibt, die man jemandem zurechnen kann.“

Sattelberger hält nicht viel von der deutschen Unternehmenskultur. Sie sei industriell geprägt, auf reine Effizienz fixiert. „Der Führungsstil hierzulande leitet sich aus heroischen Modellen der Vergangenheit ab oder aus apparatschikhaften Formen ingenieursmäßigen Managements.“ Von den Frauen erwarte er sich frischen Wind. Bei ihrer Förderung müsse weit unten angefangen werden. Junge Männer machten im Durchschnitt bereits nach 3,7 Jahren den ersten Karriereschritt, junge Frauen erst nach 5,1 Jahren. Und nach der Familiengründung „marschierten Frauen oft in eine Teilzeitfalle“. Dies seien die ersten beiden gläsernen Decken.

Man müsse „zudem über andere Karrierelogiken“ nachdenken, sagt er: Zum Beispiel, dass auf Phasen der Hochleistung auch Phasen der Entspannung folgten. „Als Leistungsträger gilt doch bislang nur, wer sich bedingungslos und vollumfänglich für ein Unternehmen einsetzt.“

Nur hat es Sattelberger selbst immer genau so gehalten. Sein früherer Chef René Obermann drückt es so aus: Sattelbergers „Work-Life-Balance“ bestehe „offensichtlich aus besonders ausgiebigem Arbeiten“.

Seinen Vertrag bei der Telekom habe er 2012 auslaufen lassen, sagt Sattelberger, um in eine „neue aktivistische Lebensphase“ einzutreten. Sein Plan war, sich für mehrere gemeinnützige Initiativen zu engagieren. „Ich hatte da viele schöne Fregatten“, sagt er, von denen sich einige „leider als Irrläufer“ entpuppt hätten. Nun könnte er die kommenden Jahre als Phase der Entspannung betrachten. „Ich lebe nicht in so einer Logik: Freizeit genießen“, sagt er. Bei einem Journalisten, den er in sein Haus am Starnberger See eingeladen hatte, klagte er: „Warum nutzt die Republik eigentlich nicht die Potenziale von Leuten wie mir? Ich bin ein erfahrenes Schlachtross, ich könnte immer noch Großes bewegen.“

Seine Autobiografie, so viel ist klar, ist nicht als Bilanz, sondern als Bewerbungsschreiben gedacht.

Thomas Sattelberger habe ein „hoch spannendes Buch“ geschrieben, sagt Joschka Fischer tags darauf mit extrem gelangweilter Stimme. Er steht auf der Bühne der European School of Management and Technology unter einem riesigen Schriftzug: „Ich halte nicht die Klappe.“ So heißt Sattelbergers Buch.

Oskar Fischer sagt: "Du bist zu alt für die Politik"

Nach einer kurzen Rede lässt er sich gegenüber von Sattelberger in einen Ledersessel fallen. Beide tragen fast die gleichen braunen Hornbrillen. Durch ein Flugblatt, das Fischers erste Ehefrau Edeltraut auf dem Stuttgarter Schlossplatz verteilt hatte, war Sattelberger zur „Unabhängigen Schülergemeinschaft Stuttgart“ gestoßen. „Es war so ein kleines Grüppchen, Gott!“, sagt Fischer, und Sattelberger lächelt.

Im „Adlon“ hatte Sattelberger sein Verhältnis zu Fischer als das von „einander wohlgesonnenen alten Bekannten“ beschrieben. Sie würden aber weder telefonieren, noch sich gegenseitig besuchen. Vor einem knappen Jahr hätten sie sich zufällig auf einem Flughafen getroffen. Beide hätten eine Dreiviertelstunde Zeit gehabt, die sie nutzten, um „über die Frage der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der digitalen Welt zu ratschen.“

Fischer nennt Sattelberger bei der Buchpräsentation „einen Freund“. Er spricht sogar von „Herzenszuneigung“. Doch als der arbeitsuchende Sattelberger den ehemaligen Außenminister um seine Einschätzung bittet, ob sich die Politik als Betätigungsfeld für ihn eigne, wiegelt der ab. „Dafür bist du zu alt.“ Dann empfiehlt er ihm die FDP.

Dabei gehörte Sattelberger in der Jugend einer maoistisch orientierten Gruppe an. Darüber hat er erst im Jahr 2007 zum ersten Mal gesprochen, als eine Recherche der „Stuttgarter Nachrichten“ das Thema aufbrachte. So offenherzig Sattelberger sich über die deutsche Wirtschaft äußert, so vorsichtig ist er, was sein Privatleben betrifft. Erst vor einem halben Jahr gab er öffentlich preis, einen Lebenspartner zu haben. Aber auch nur, weil er, wie er sagt, von Journalisten bedrängt worden sei. „Ich wollte das Gesetz des Handelns in der Hand behalten.“ Das Erscheinen seiner Autobiografie wurde von Outing-Artikeln begleitet, was ihn ärgert. „Dass eine Gesellschaft glaubt, darauf bestehen zu können, dass jemand einen Teil seines Privatlebens auf den Tisch legt, finde ich nicht in Ordnung.“

Sattelberger fürchtet, dass das Bekanntwerden seiner Homosexualität sein Engagement für Frauen in ein falsches Licht setzt. Dabei sei es ihm nur um Gerechtigkeit gegangen. Er habe auch mehr Migranten in die Telekom-Berufsausbildung gebracht oder Geisteswissenschaftlern Zugänge ins Management eröffnet.

Daran will er anknüpfen: noch einmal etwas „richtig Sinnvolles“ machen. Eine genaue Stellenbeschreibung hat er schon im Kopf. Er will „die Jugendarbeitslosigkeit durch kluge Bildungskonzepte“ bekämpfen. „Viele junge Menschen im Süden verlieren ihre Hoffnungen, Europa verliert an Substanz.“ Nötig sei eine „Infrastruktur zur Umsetzung“ seiner Ideen. Gehaltsvorstellung: ein Dollar.

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