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Josep und Marta Serra bauen Wein an. Auch Sorten, die es sonst nicht mehr gibt.

© Toni Vilches

Eigensinnige Region in Spanien: Wie die Katalanen in der Empordà ihr Erbe verteidigen

Früher waren es Bagger und Kräne, heute gefährden fremde Echsen die Sümpfe im Nordosten Kataloniens. Ob seltene Vogelart oder uralte Rebsorte, hier gibt es sie noch.

Plötzlich stand er da. Jordi Sargatal, 18 Jahre alt, ein Hänfling von einem Mann. Die Arme dünn, die Schultern schmal, und doch nahm er es mit den riesigen Maschinen auf, die vor ihm aufragten wie Endgegner in einer epochalen Schlacht. Bagger und Kräne, Betonmischer und Lastwagen waren seine Widersacher. Eigentlich konnte Sargatal diesen Kampf nicht gewinnen. Einzig der Geist dieser Tage sprach für ihn und seine 14 Mitstreiter. 1976, ein Jahr nach Francos Tod, kam Spanien gerade wieder zu Luft, nachdem der Diktator das Land fast vier Jahrzehnte gewürgt hatte. Protest galt damals noch als exotische Form der Unmutsbekundung, und womöglich machten die Baggerfahrer auch aus Verwunderung über Sargatal Halt. Vielleicht dachten sie: Was will dieser Irre da? Nun, dem jungen Protestler und seiner Gruppe ging es darum, das zu schützen, was sie am meisten liebten. Die Aiguamolls der Empordà.

Aiguamolls heißt auf Katalanisch „Sumpfgebiete“. Vor 40 Jahren sollte dort in der Empordà, einem Landkreis im äußersten Nordosten Kataloniens, nahe der französischen Grenze, eine Hotelburg entstehen. So eine wie jene, die etwas weiter südlich die Costa Brava überziehen und alles Leben unter ihren Steinen begraben. Betonklotz an Betonklotz, Auffanglager für die Touristen aus Nord- und Mitteleuropa, die in den 60er und 70er Jahren begannen, ihren Wirtschaftswunderwohlstand in Reisen gen Süden zu investieren. Die Entwicklung war unaufhaltsam, nur in der Empordà war es anders. Sargatal und seine Freunde gingen als Sieger aus dem ungleichen Kräftemessen hervor, das Jahre dauerte.

Heute sind die Aiguamolls ein Naturschutzgebiet, und Sargatal ist ihr Direktor, während die Costa Brava mit ihrem Hotspot Lloret de Mar immer noch der Inbegriff des Massentourismus ist. Rund 32 000 Betten bieten die knapp 140 Hotels von Lloret. Der Betontourismus hat Hochkonjunktur, Sargatal ärgert sich darüber.

Sie kommen aus Asien oder Nordamerika und gehören hier nicht hin

Seine Statur ist gut 30 Jahre später etwas breiter geworden, die Haare grau und die Stirn höher. Der Enthusiasmus für seine Aiguamolls ist geblieben. Von den Tier- und Vogelarten, die im Park leben, kennt er alle. Bussarde, Ammer, Zwergdommeln, Stelzenläufer. Der studierte Ornithologe hat einmal ein Buch herausgegeben, in dem jede Vogelspezies der Welt vorkommt, nicht nur die, die in den Aiguamolls leben. Wenn Sargatal im Park steht und Besuchern eifrig gestikulierend die Natur erklärt, lässt sich ahnen, wie er früher den Baumaschinen gegenübergetreten ist. Mit fuchtelnden Armen und weit aufgerissenen Augen. Die Gesichtszüge teilweise entglitten, wie auf einem Bild von Pablo Picasso. Eindringlich redet er über die Probleme und Bedrohungen der Gegenwart. Bagger und Kräne sind längst weg, die Bettenburgen woanders gebaut – jetzt sind Schildkröten, Echsen und Schlangen da. Tiere, die nicht aus der Empordà stammen, geschweige denn dort hingehören.

In den Aiguamolls leben zahlreiche Vogelarten, darunter auch Brandenten.
In den Aiguamolls leben zahlreiche Vogelarten, darunter auch Brandenten.

© mauritius images

Sie kommen aus Asien oder Nordamerika, wurden einst als exotische Haustiere gehalten, und als ihre Besitzer das Interesse an ihnen verloren, wurden sie einfach ausgesetzt. Mitten in dieses kleine Paradies mit seinem kristallklaren Wasser, auf dem man per Kanu oder beim Stand Up Paddling die Natur erkunden kann. Weil diese Tiere keine oder kaum natürliche Feinde haben, breiten sie sich schnell aus und stören das ökologische Gleichgewicht. Vor allem die Vögel sind bedroht.

Die Population der Eindringlinge in Grenzen zu halten, ist eine der größten Herausforderungen dieser Tage, erklärt Sargatal. Nur ist ihnen schwer beizukommen. Giftköder würden auch einheimische Arten töten. Oft bleibt nur der mühselige Weg, sie zu fangen und dem Tierheim zu übergeben.

Willensstarke Menschen leben hier

Die Aiguamolls, die Sümpfe, sollten einmal Hotelburgen weichen. Doch ein paar Katalanen verhinderten das.
Die Aiguamolls, die Sümpfe, sollten einmal Hotelburgen weichen. Doch ein paar Katalanen verhinderten das.

© Alamy Stock Photo

Sargatals Begeisterung für die Natur mindert all das nicht. „Schließen Sie Ihre Augen und versuchen Sie in den nächsten Sekunden zu erraten, wie viele verschiedene Vogelstimmen Sie gehört haben“, sagt er. Seine braunen Augen leuchten. Sich in der Natur nur auf seine Sinne zu verlassen, ist für viele Menschen heute ein hoffnungsloses Unterfangen. Vier? Fünf? „Sieben“, sagt Sargatal und lacht, als er das Experiment nach einer halben Minute für beendet erklärt.

Willensstarke Menschen leben in der Empordà. Katalanen von den Haar- bis in die Zehenspitzen. Überhaupt Katalonien. Land der Dichter und Künstler, der Kreativen und Freigeister. Salvador Dalí, Spitzenkoch Ferran Adrià oder Fußballtrainer Pep Guardiola – alles Menschen, die sich ihrer Leidenschaft ganz verschrieben haben. Das gilt auch für Josep Serra und seine Frau Marta.

Als beide noch an der Uni im gut 140 Kilometer entfernten Barcelona studierten, erzählte Joseps Vater eines Abends von einem Bauern im Dorf, der sein Land verkaufen möchte. Ein paar uralte Olivenbäume würden darauf stehen und ein paar mindestens genauso alte Weinreben. Könne man ja alles wegreißen. Wäre vielleicht ein ganz gutes Investment, das Land, sagte der Vater, aber Josep hatte da schon anderes im Sinn. Er ging zu dem Alten und schlug ihm etwas vor. Ich kaufe dein Land, sagte Josep, aber nur unter der Bedingung, dass du mich lehrst, wie man Wein anbaut. 15 Jahre ist das jetzt her, und inzwischen sind Josep und Marta angesehene Weinproduzenten in ihrem Dorf Mollet de Peralada, wo Josep an einem warmen Tag über sein Gut führt. Der Ort befindet sich im Landesinneren der Empordà, gut 20 Kilometer von der Küste entfernt. Vom Mittelmeer bläst der Tramuntana und bringt lindernde Kühlung. Am Horizont flimmern die Umrisse der Pyrenäen. Der Wein von Josep und Marta landet in den angesagtesten Bodegas in und um Girona. Und auf den Tischen der Dorfbevölkerung.

Im Schatten der Pyrenäen zu radeln, ist die Strapazen wert

Günstig soll er sein und trotzdem hochwertig. „Wein war in der Geschichte unserer Region stets ein Gut für jedermann, ich möchte das bewahren", sagt Josep. Historie und Traditionen haben es ihm angetan. Auf seinem Gut baut er Rebsorten an, die es woanders nicht mehr gibt. Garnacha, Macabeo und natürlich Xarel-lo, die typische Weißweinsorte Kataloniens. Salvador Dalís Frau Gala soll sie geliebt haben.

Die Gegend um Empordà, im äußersten Nordosten Kataloniens, ist heute ein Naturschutzgebiet und ein Paradies für Vogelkundler.
Die Gegend um Empordà, im äußersten Nordosten Kataloniens, ist heute ein Naturschutzgebiet und ein Paradies für Vogelkundler.

© mauritius images

Der Künstler selbst, ein Kind der Empordà, liegt in seinem eigenen Museum in Figueres zur Ruhe gebettet. Von Mollet de Peralada empfiehlt sich eine Fahrradtour in die Hauptstadt der Region. Immer wieder geht es auf und ab, aber im Schatten der Pyrenäen zu radeln, ist die Strapazen wert. Vorbei an verschlafenen Dörfern, alten Weingütern und ehemaligen Haciendas. Auf den Feldern rattern die Motoren der Mähdrescher, klappern ihre Mähwerke und ächzen die Traktoren mit den voll beladenen Hängern die Bergstraßen hinauf. Es riecht nach frischem Korn. Auf den Wiesen trocknet das Heu. Die Empordà war und ist in ihrem Innern Bauernland. Bettenburgen und betonierte Landstriche sind hier ganz weit weg. Und werden es dank Menschen wie Jordi Sargatal, Josep und Marta Serra und all ihren Helfern auch bleiben.

Reisetipps für die Empordà

Hinkommen

Von Berlin nach Barcelona fliegen täglich mehrere Airlines, Tickets ab 80 Euro. Danach mit dem Schnellzug von Barcelona-Sants nach Figueres für 40 Euro.

Unterkommen
Auf dem Landgut La Vinyeta in Mollet de Masarac. Eine Übernachtung im Doppelzimmer plus Weinprobe und Frühstück kostet 130 Euro: www.lavinyeta.es. Oder im Hotel Duran in Figueres, Doppelzimmer ab 135 Euro inklusive Frühstück: hotelduran.com.

ITB
Katalonien finden Sie in Halle 2.1/Stand 203.

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